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Anwendung eines bildgestützten Assistenzsystems bei der endoskopischen Nasennebenhöhlenchirurgie in Ausbildung und Lehre
Anwendung eines bildgestützten Assistenzsystems bei der endoskopischen Nasennebenhöhlenchirurgie in Ausbildung und Lehre
Navigationssysteme werden in der Nasennebenhöhlenchirurgie seit über einer Dekade erfolgreich von erfahrenen Rhinologen eingesetzt. Die meisten Nebenhöhlenchirurgen berichten nach dem Einsatz der Navigation über eine verbesserte räumliche Orientierung, daher sollte es besonders in der Ausbildung Sinn machen, ein Navigationsgerät frühzeitig einzusetzen. Demgegenüber stehen Bedenken, dass der Einsatz solcher Assistenzsysteme gefährlich sein könnte und zum Verlust wichtiger anatomischer Kenntnisse und chirurgischer Fähigkeiten führen könnte. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit war es, chirurgische, ergonomische und wirtschaftliche Aspekte beim Einsatz eines Navigationssystems in der Ausbildung und Lehre systematisch zu evaluieren. Es wurden 8 Operateure in Ausbildung und 32 Patienten mit bilateralen Erkrankungen des Nasennebenhöhlensystems eingeschlossen. Nach Randomisierung wurde die eine Seite des Patienten mit dem Vector Vision compact® der Firma BrainLAB Sales AG, Feldkirchen, navigiert operiert, die andere Seite ohne Navigation operiert. Während der Operation war der Operateur an ein Biofeedbackgerät (NeXus 10, MindMedia, Roermond, NL) angeschlossen, das kontinuierlich die Herzfrequenz zur Herzratenvariabilitätsanalyse, die Atmung und den Tonus des Musculus Masseter registrierte, um so Rückschlüsse auf die physische und psychische Arbeitsbelastung des Operateurs ziehen zu können. Es wurde erfasst, wie oft der Chirurg den Navigationspointer an welcher anatomischen Struktur eingesetzt hat, und wie oft er daraufhin sein Vorgehen geändert hat. Jeder Operateur füllte nach der ersten und vierten (letzten) Operation einen standardisierten und validierten Fragebogen der HNO Klinik der Uni Leipzig und Fachgruppe für Arbeitspsychologie der TU Berlin aus. Im ersten Teil dieses Fragebogens wurde die kognitive Belastung beim Einsatz des Navigationssystems im OP erfasst. Im zweiten Teil mussten Fragen zur Anwendungseffizienz (Situationsbewußtsein, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Bedienung, Risikobereitschaft) beantwortet werden. Beim Einsatz im Studentenunterricht wurde untersucht, ob die Studenten die Zusatzinformation, die das Navigationsgerät lieferte, verarbeiten und ihr anatomisches Verständnis vertiefen konnten. Bei 32 Patienten (Durchschnittsalter: 46 Jahre) waren insgesamt 157 Nebenhöhlen (rechts und links) präoperativ erkrankt und im CT verschattet. In dieser Studie haben alle eingeschlossenen Probanden (Ärzte) die vorgegebene Anzahl an Operationen (n=4) abgeschlossen. In vier Fällen kam es zu technischen Problemen mit dem Navigationsgerät, die in der Folge zu einem Totalausfall führten. Es wurden 80 Nebenhöhlen unter Zuhilfenahme der Navigation und 77 ohne Einsatz der Navigation operiert. Die Operationen dauerten auf der Navigationsseite durchschnittlich 16 min länger. Es kam zu keinen bedeutenden Komplikationen. Der Supervisor (Oberarzt) musste auf der Studienseite genauso oft in den Operationsablauf eingreifen, wie auf der Kontrollseite. Intraoperativ zeigten sich auf der Kontrollseite 5 Nebenhöhlen, die ohne Navigation nicht eröffnet wurden. Die Nutzung des Pointers war individuell sehr unterschiedlich. Wobei nicht nur der Operateur, sondern auch die zu eröffnende Nebenhöhle und der Patient eine entscheidende Rolle spielten. Nur in 10-13% der Fälle wurde nach dem Pointereinsatz das chirurgische Vorgehen geändert. Postoperativ waren die meisten Chirurgen der Meinung, mit dem Navigationssystem bestimmte Schritte der Operation zuverlässiger und sicherer zu tätigen und sie auch deshalb eher zu wagen. Während sich fast alle Probanden einig darüber waren, dass mit dem System Nebenhöhleneingriffe sicherer durchgeführt werden können, waren viel weniger der Meinung, dass mit dem System ein hoher Schutz vor Behandlungsfehlern bestünde. Analog zur intraoperativen Genauigkeit und dem wiederholten Einsatz stieg das Gesamtvertrauen in das System. Gleichzeitig gaben viele Operateure auch eine gesteigerte Risikobereitschaft durch die scheinbare Sicherheit bei Anwendung eines Navigators zu. Es konnte keine gesteigerte mentale Arbeitsbelastung durch die Navigation festgestellt werden, weder bei subjektiver Befragung noch in der objektiven Herzratenvariabilitätsanalyse. Als mentale Stressoren konnten dafür das Betreten des OP-Saales durch andere Kollegen und der Einsatz der 45° Optik identifiziert werden. Eine Änderung der chirurgischen Strategie in nur 13% der Fälle ist deutlich weniger häufig als in der Literatur angegeben. Zusätzlich ist fraglich, ob der Operateur auch ohne das Feedback des Supervisors der Information des Navigationssystems soweit vertraut hätte, dass er seine chirurgische Strategie selbstständig geändert hätte. Insgesamt herrschten ein großes Interesse und ein Vertrauensvorschuss in das Navigationssystem. Gefährlich wird diese Eigenschaft im Zusammenhang mit der gesteigerten Risikobereitschaft durch die gefühlte Sicherheit, die das Navigationssystem vermittelt. Gerade Anfänger der Nebenhöhlenchirurgie, die den Einsatz eines Navigationsgerätes beim erfahrenen Kollegen sehen, neigen dazu, die Möglichkeiten eines solchen Systems zu über- und die Gefahren zu unterschätzen. Dies kann zu schwerwiegenden Fehlleitungen führen und den Patienten gefährden. Der (oberärztliche) Supervisor bleibt somit unverzichtbar bei Ausbildungseingriffen. Die Angst älterer Chirurgen, dass durch die Navigation das anatomische Wissen des Operateurs verloren gehen könnte, scheint allerdings unbegründet. Im Rahmen einer strukturierten Ausbildung mit Landmarkenpräparation bleibt die genaue Kenntnis der Nebenhöhlenanatomie Grundvoraussetzung. Für die meisten Operateure war die Navigation mental entlastend und der Umgang mit der Technik motivierend statt frustrierend. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass das Navigationssystem nach systematischer Einweisung unter Supervision und im Rahmen dieser klinischen Studie ohne Zeitdruck angewendet wurde. Dabei konnte eine steile Lernkurve festgestellt werden. Besonders effektiv wurde das Assistenzsystem in der Gruppe der etwas erfahreneren Operateure (>30 Nebenhöhlenoperationen) eingesetzt. Hier war der zeitliche Mehraufwand geringer und die Navigation hat deutlich zur Vertiefung des anatomischen Orientierungssinns beigetragen. Im Hinblick auf zukünftige Situationen, in denen die Navigation wirklich gebraucht wird, macht eine häufige (routinemäßige) Anwendung Sinn, um dann im „Ernstfall“ diese auch effektiv einsetzen zu können. Die Navigation sollte in einer strukturierten Ausbildung zum Nebenhöhlenchirurgen einen festen Platz einnehmen. Je nach Technikbegeisterung und Ausbildungsstand begegnen Operateure dieser Technologie positiv oder negativ voreingenommen. Diese Vorurteile können durch den gezielten Einsatz des Gerätes in Standardsituationen abgebaut werden.
Navigation, FESS, Nebenhöhlenchirurgie, Ausbildung, Stressoren, Herzratenvariabilität, NASA, Workload, Risikobereitschaft, Situationsbewusstsein
Stelter, Klaus
2010
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Stelter, Klaus (2010): Anwendung eines bildgestützten Assistenzsystems bei der endoskopischen Nasennebenhöhlenchirurgie in Ausbildung und Lehre. Habilitationsschrift, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Navigationssysteme werden in der Nasennebenhöhlenchirurgie seit über einer Dekade erfolgreich von erfahrenen Rhinologen eingesetzt. Die meisten Nebenhöhlenchirurgen berichten nach dem Einsatz der Navigation über eine verbesserte räumliche Orientierung, daher sollte es besonders in der Ausbildung Sinn machen, ein Navigationsgerät frühzeitig einzusetzen. Demgegenüber stehen Bedenken, dass der Einsatz solcher Assistenzsysteme gefährlich sein könnte und zum Verlust wichtiger anatomischer Kenntnisse und chirurgischer Fähigkeiten führen könnte. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit war es, chirurgische, ergonomische und wirtschaftliche Aspekte beim Einsatz eines Navigationssystems in der Ausbildung und Lehre systematisch zu evaluieren. Es wurden 8 Operateure in Ausbildung und 32 Patienten mit bilateralen Erkrankungen des Nasennebenhöhlensystems eingeschlossen. Nach Randomisierung wurde die eine Seite des Patienten mit dem Vector Vision compact® der Firma BrainLAB Sales AG, Feldkirchen, navigiert operiert, die andere Seite ohne Navigation operiert. Während der Operation war der Operateur an ein Biofeedbackgerät (NeXus 10, MindMedia, Roermond, NL) angeschlossen, das kontinuierlich die Herzfrequenz zur Herzratenvariabilitätsanalyse, die Atmung und den Tonus des Musculus Masseter registrierte, um so Rückschlüsse auf die physische und psychische Arbeitsbelastung des Operateurs ziehen zu können. Es wurde erfasst, wie oft der Chirurg den Navigationspointer an welcher anatomischen Struktur eingesetzt hat, und wie oft er daraufhin sein Vorgehen geändert hat. Jeder Operateur füllte nach der ersten und vierten (letzten) Operation einen standardisierten und validierten Fragebogen der HNO Klinik der Uni Leipzig und Fachgruppe für Arbeitspsychologie der TU Berlin aus. Im ersten Teil dieses Fragebogens wurde die kognitive Belastung beim Einsatz des Navigationssystems im OP erfasst. Im zweiten Teil mussten Fragen zur Anwendungseffizienz (Situationsbewußtsein, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Bedienung, Risikobereitschaft) beantwortet werden. Beim Einsatz im Studentenunterricht wurde untersucht, ob die Studenten die Zusatzinformation, die das Navigationsgerät lieferte, verarbeiten und ihr anatomisches Verständnis vertiefen konnten. Bei 32 Patienten (Durchschnittsalter: 46 Jahre) waren insgesamt 157 Nebenhöhlen (rechts und links) präoperativ erkrankt und im CT verschattet. In dieser Studie haben alle eingeschlossenen Probanden (Ärzte) die vorgegebene Anzahl an Operationen (n=4) abgeschlossen. In vier Fällen kam es zu technischen Problemen mit dem Navigationsgerät, die in der Folge zu einem Totalausfall führten. Es wurden 80 Nebenhöhlen unter Zuhilfenahme der Navigation und 77 ohne Einsatz der Navigation operiert. Die Operationen dauerten auf der Navigationsseite durchschnittlich 16 min länger. Es kam zu keinen bedeutenden Komplikationen. Der Supervisor (Oberarzt) musste auf der Studienseite genauso oft in den Operationsablauf eingreifen, wie auf der Kontrollseite. Intraoperativ zeigten sich auf der Kontrollseite 5 Nebenhöhlen, die ohne Navigation nicht eröffnet wurden. Die Nutzung des Pointers war individuell sehr unterschiedlich. Wobei nicht nur der Operateur, sondern auch die zu eröffnende Nebenhöhle und der Patient eine entscheidende Rolle spielten. Nur in 10-13% der Fälle wurde nach dem Pointereinsatz das chirurgische Vorgehen geändert. Postoperativ waren die meisten Chirurgen der Meinung, mit dem Navigationssystem bestimmte Schritte der Operation zuverlässiger und sicherer zu tätigen und sie auch deshalb eher zu wagen. Während sich fast alle Probanden einig darüber waren, dass mit dem System Nebenhöhleneingriffe sicherer durchgeführt werden können, waren viel weniger der Meinung, dass mit dem System ein hoher Schutz vor Behandlungsfehlern bestünde. Analog zur intraoperativen Genauigkeit und dem wiederholten Einsatz stieg das Gesamtvertrauen in das System. Gleichzeitig gaben viele Operateure auch eine gesteigerte Risikobereitschaft durch die scheinbare Sicherheit bei Anwendung eines Navigators zu. Es konnte keine gesteigerte mentale Arbeitsbelastung durch die Navigation festgestellt werden, weder bei subjektiver Befragung noch in der objektiven Herzratenvariabilitätsanalyse. Als mentale Stressoren konnten dafür das Betreten des OP-Saales durch andere Kollegen und der Einsatz der 45° Optik identifiziert werden. Eine Änderung der chirurgischen Strategie in nur 13% der Fälle ist deutlich weniger häufig als in der Literatur angegeben. Zusätzlich ist fraglich, ob der Operateur auch ohne das Feedback des Supervisors der Information des Navigationssystems soweit vertraut hätte, dass er seine chirurgische Strategie selbstständig geändert hätte. Insgesamt herrschten ein großes Interesse und ein Vertrauensvorschuss in das Navigationssystem. Gefährlich wird diese Eigenschaft im Zusammenhang mit der gesteigerten Risikobereitschaft durch die gefühlte Sicherheit, die das Navigationssystem vermittelt. Gerade Anfänger der Nebenhöhlenchirurgie, die den Einsatz eines Navigationsgerätes beim erfahrenen Kollegen sehen, neigen dazu, die Möglichkeiten eines solchen Systems zu über- und die Gefahren zu unterschätzen. Dies kann zu schwerwiegenden Fehlleitungen führen und den Patienten gefährden. Der (oberärztliche) Supervisor bleibt somit unverzichtbar bei Ausbildungseingriffen. Die Angst älterer Chirurgen, dass durch die Navigation das anatomische Wissen des Operateurs verloren gehen könnte, scheint allerdings unbegründet. Im Rahmen einer strukturierten Ausbildung mit Landmarkenpräparation bleibt die genaue Kenntnis der Nebenhöhlenanatomie Grundvoraussetzung. Für die meisten Operateure war die Navigation mental entlastend und der Umgang mit der Technik motivierend statt frustrierend. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass das Navigationssystem nach systematischer Einweisung unter Supervision und im Rahmen dieser klinischen Studie ohne Zeitdruck angewendet wurde. Dabei konnte eine steile Lernkurve festgestellt werden. Besonders effektiv wurde das Assistenzsystem in der Gruppe der etwas erfahreneren Operateure (>30 Nebenhöhlenoperationen) eingesetzt. Hier war der zeitliche Mehraufwand geringer und die Navigation hat deutlich zur Vertiefung des anatomischen Orientierungssinns beigetragen. Im Hinblick auf zukünftige Situationen, in denen die Navigation wirklich gebraucht wird, macht eine häufige (routinemäßige) Anwendung Sinn, um dann im „Ernstfall“ diese auch effektiv einsetzen zu können. Die Navigation sollte in einer strukturierten Ausbildung zum Nebenhöhlenchirurgen einen festen Platz einnehmen. Je nach Technikbegeisterung und Ausbildungsstand begegnen Operateure dieser Technologie positiv oder negativ voreingenommen. Diese Vorurteile können durch den gezielten Einsatz des Gerätes in Standardsituationen abgebaut werden.