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Übelkeit und Erbrechen als evolutionäre Mechanismen der vielschichtigen Anpassung an die Schwangerschaft. eine kulturenvergleichende Untersuchung an 565 Probandinnen
Übelkeit und Erbrechen als evolutionäre Mechanismen der vielschichtigen Anpassung an die Schwangerschaft. eine kulturenvergleichende Untersuchung an 565 Probandinnen
Einleitung: Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft (nausea and vomiting during pregnancy, NVP) ist ein häufiges und bisher uneinheitlich interpretiertes Phänomen mit hohem Leidensdruck für die Betroffenen. Bemerkenswert sind eine Korrelation mit einem erfolgreicheren Schwangerschaftsausgang und ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Embryogenese. Unser funktionelles Konzept, NVP in einem evolutionsbiologischen Kontext als vielschichtige Anpassungsreaktion an die Schwangerschaft zu deuten, soll neue Denkansätze liefern. Methodik: Wir führten eine kulturenvergleichende Untersuchung an 565 Müttern in Südafrika, Guatemala und Deutschland in Form eines standardisierten retrospektiven Interviews während des Wochenbetts durch. Ergebnisse: Es zeigte sich kulturübergreifend eine ähnliche Prävalenz und Klinik mit ausgeprägtem subjektiven Leidensdruck bei geringer objektiv erfassbarer Symptomatik. Es fanden sich Hinweise für eine multifaktorielle Ätiologie mit biologischen, psychologischen und soziologischen Einflussfaktoren. Ebenfalls vielschichtig schienen die Auswirkungen von NVP zu sein, die Ernährung, Verhalten, Wahrnehmung, Psyche und Sozialstatus betrafen. Diskussion und Schlussfolgerung: Unsere und bestehende Forschungsergebnisse stützen die Vorstellung, dass NVP durch die Evolution selektiert wurde, weil es als funktionelle Anpassungsreaktion während der vulnerablen frühen Schwangerschaft mehr Nutzen als Schaden bringt. Dafür sprechen die Korrelation mit einer besseren fetalen Prognose, die kulturübergreifend hohe Prävalenz und die eher geringen biologischen Kosten bei relativ hohem subjektiven Leidensdruck. Der adaptative Wert des Syndroms könnte sich ergeben durch Nahrungsumstellung, Zunahme der sozialen Unterstützung, Verhaltensanpassung, früheres Erkennen der Schwangerschaft sowie durch positive Beeinflussung der embryonalen Entwicklung. Um die Funktionalität von NVP zu verstehen, bedarf es der Betrachtung des gesamten Symptomenkomplexes mit seinen psychisch-emotionalen Auswirkungen sowie der Einordnung in den Kontext eines “Environment of Evolutionary Adaptedness“ (EEA).
Übelkeit, Erbrechen, Schwangerschaft, Evolution, evolutionäre Medizin, Anpassung, Funktion
Kohl, Sebastian
2008
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Kohl, Sebastian (2008): Übelkeit und Erbrechen als evolutionäre Mechanismen der vielschichtigen Anpassung an die Schwangerschaft: eine kulturenvergleichende Untersuchung an 565 Probandinnen. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Einleitung: Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft (nausea and vomiting during pregnancy, NVP) ist ein häufiges und bisher uneinheitlich interpretiertes Phänomen mit hohem Leidensdruck für die Betroffenen. Bemerkenswert sind eine Korrelation mit einem erfolgreicheren Schwangerschaftsausgang und ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Embryogenese. Unser funktionelles Konzept, NVP in einem evolutionsbiologischen Kontext als vielschichtige Anpassungsreaktion an die Schwangerschaft zu deuten, soll neue Denkansätze liefern. Methodik: Wir führten eine kulturenvergleichende Untersuchung an 565 Müttern in Südafrika, Guatemala und Deutschland in Form eines standardisierten retrospektiven Interviews während des Wochenbetts durch. Ergebnisse: Es zeigte sich kulturübergreifend eine ähnliche Prävalenz und Klinik mit ausgeprägtem subjektiven Leidensdruck bei geringer objektiv erfassbarer Symptomatik. Es fanden sich Hinweise für eine multifaktorielle Ätiologie mit biologischen, psychologischen und soziologischen Einflussfaktoren. Ebenfalls vielschichtig schienen die Auswirkungen von NVP zu sein, die Ernährung, Verhalten, Wahrnehmung, Psyche und Sozialstatus betrafen. Diskussion und Schlussfolgerung: Unsere und bestehende Forschungsergebnisse stützen die Vorstellung, dass NVP durch die Evolution selektiert wurde, weil es als funktionelle Anpassungsreaktion während der vulnerablen frühen Schwangerschaft mehr Nutzen als Schaden bringt. Dafür sprechen die Korrelation mit einer besseren fetalen Prognose, die kulturübergreifend hohe Prävalenz und die eher geringen biologischen Kosten bei relativ hohem subjektiven Leidensdruck. Der adaptative Wert des Syndroms könnte sich ergeben durch Nahrungsumstellung, Zunahme der sozialen Unterstützung, Verhaltensanpassung, früheres Erkennen der Schwangerschaft sowie durch positive Beeinflussung der embryonalen Entwicklung. Um die Funktionalität von NVP zu verstehen, bedarf es der Betrachtung des gesamten Symptomenkomplexes mit seinen psychisch-emotionalen Auswirkungen sowie der Einordnung in den Kontext eines “Environment of Evolutionary Adaptedness“ (EEA).