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Hirnfunktionelle Korrelate bei Zwangsstörungen: Untersuchung mit ereigniskorrelierten Potentialen
Hirnfunktionelle Korrelate bei Zwangsstörungen: Untersuchung mit ereigniskorrelierten Potentialen
Die Zwangsstörung wurde lange Zeit als eine relativ seltene Krankheit angesehen. Erst durch neuere epidemiologische Untersuchungen zeigte sich, dass sie die vierthäufigste neuro-psychiatrische Erkrankung darstellt. Das Besondere an ihr ist, dass sie im Gegensatz zu anderen neuro-psychiatrischen Erkrankungen, mit einer hirnelektrischen Überaktivität assoziiert sein soll. Vor allem dem überaktivierten orbito-frontalen Kortex wird in zahlreichen Studien eine wichtige Rolle bei der Ätiopathogenese der Zwangsstörung beigemessen. Da die Literatur dazu hauptsächlich auf bildgebende Untersuchungsverfahren mit mangelhafter zeitlicher Auflösung basiert, erscheint es wichtig, die Validität der Erklärungsmodelle zur Entstehung der Zwangsstörung mit einem Analyseverfahren zu überprüfen, das diesen Nachteil nicht hat. Unabhängig davon existieren Befunde, dass bei der Zwangssymptomatik im Ableitungskanal Pz, verkürzte Latenzen bei akustischen P300-Oddball-Paradigmen vorzufinden sind, welche ebenfalls Ausdruck dieser gesteigerten zerebralen Aktivität sein sollen. Die Ergebnisse zu den analogen P300-Amplituden sind dagegen weit weniger konsistent, was auf die recht kleinen Untersuchungskollektive bisheriger Studien zurückzuführen ist. Vorteilhaft an unserem Analyseverfahren ist, dass zu den zerebralen Generatoren der P300 auch Hirnareale zählen, die für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Zwangssymptomatik verantwortlich gemacht werden. Dazu gehört insbesondere der orbito-frontale Kortex. Das Ziel dieser Arbeit war somit die Klärung, ob nicht nur die P300-Latenz bei Zwangsstörungen eine Veränderung, im Sinne einer Verkürzung, zeigt, sondern ob auch die P300-Amplitude sich anders darstellt. Erhöhte Amplituden bei Patienten mit Zwangsstörungen wären besser mit der in der Literatur beschriebenen Hyperaktivität vereinbar. Weiterhin gingen wir der Frage nach, in welchen Hirnregionen diese Veränderungen lokalisiert seien und ob eine Hypo- oder Hyperaktivität damit verbunden wäre. Wir erwarteten eine Bestätigung der postulierten Überaktivierung im orbito-frontalen Kortex. Als nächstes wollten wir mögliche Therapieeffekte auf die P300 bzw. auf die zerebrale Hyperaktivität prüfen. Eine Angleichung der hirnfunktionellen Veränderungen an den gesunden Normalzustand nach einer Kombinationstherapie aus Sertralin und multimodaler Verhaltenstherapie wurde angenommen. Letztendlich sollte noch die Frage geklärt werden, ob diese hirnfunktionellen Abnormitäten bei Patienten mit Zwangsstörungen mit der Schwere der Erkrankung korrelieren. Wir untersuchten 71 unbehandelte Patienten mit Zwangsstörungen und 71 gesunden Personen mit einem akustischen P300-Oddball-Paradigma und zeichneten dabei die ereigniskorrelierten Potentiale mit 31 Elektroden auf. Wie bereits angenommen, konnte bei den Patienten mit Zwangsstörungen eine erhöhte P300-Amplitude beobachtet werde. Die P300-Latenz zeigte im Vergleich zu den gesunden Kontrollen nur eine deskriptive Verkürzung. Die Stromdichteverteilung im Talairach-Raum wurde mit der Low Resolution Electromagnetic Tomography (LORETA) durchgeführt. Wir konnten im Zeitintervall der P300 (240 - 580 ms) vier Hirnareale, alle in der linken Hirnhälfte lokalisiert, mit einer signifikant erhöhten Überaktivität bei Patienten mit Zwangsstörungen identifizieren. So zeigten neben dem inferio-temporalen Kortex des Temporallappens, dem inferio-parietalen Kortex des Parietallappens und dem mittleren Gyrus frontalis, vor allem der orbito-frontale Kortex des Frontallappens, signifikant höhere elektrische Aktivierung. Die von uns aufgestellte Hypothese einer orbito-frontalen Hyperaktivität erwies sich also als richtig. Der Einfluss der 10-wöchigen Kombinationstherapie wurde bei 43 von den ursprünglichen 71 Patienten mit Zwangsstörungen untersucht. Nach der Kombinationstherapie normalisierte sich die Überaktivität lediglich im mittleren Gyrus frontalis. Auf der Potentialbasis wiesen hingegen die P300-Amplituden und -Latenzen keine signifikanten Veränderungen auf. In der abschließenden Untersuchung ließ sich kein Zusammenhang zwischen der Psychopathologie (Y-BOCS) und den hirnfunktionellen Abnormitäten bei Zwangsstörungen festgestellen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind größtenteils konsistent mit der aktuellen Literatur zur Zwangssymptomatik. Es ist die einzige Arbeit zur Untersuchung der zerebralen Aktivität bei Patienten mit Zwangsstörungen, die dafür einen linearen Lösungsansatz für das inverse EEG-Problems verwendete. Auch existieren nur wenige Studien, die eine vergleichbar große Anzahl an Patienten mit Zwangsstörungen analysiert haben. Dies gilt insbesondere für die Erkenntnisse aus der funktionelle Bildgebung (PET, fMRT, SPECT), die letztendlich den Hauptbeitrag zur Bildung der Hypothese einer zerebralen Hyperaktivität bei Zwangsstörungen leisteten. So wiesen PET- bzw. fMRT-Studien selten mehr 25 zu untersuchende Patienten auf. Die hier verwendete Stromdichte-Analyse bestätigt somit die Befunde aus der funktionellen Bildgebung (fMRT, SPECT, PET) mit ihrem mangelhaften zeitlichen Auflösungsvermögen, dass vor allem eine orbito-frontale Überaktivität die Zwangsstörung charakterisiert. Darüber hinaus konnte zum ersten Mal eine Verbindung zwischen den abnormen P300-Potentialwerten und der zerebralen Hyperaktivität bei Zwangsstörungen hergestellt worden. Auch konnte erstmalig eine Normalisierung der Überaktivität im Gyrus frontalis medius nach Therapie beobachtet werden.
Zwangsstörungen,P300,LORETA,Hyperaktivität,orbito-frontaler Kortex
Popescu, Alexandru Vlad
2005
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Popescu, Alexandru Vlad (2005): Hirnfunktionelle Korrelate bei Zwangsstörungen: Untersuchung mit ereigniskorrelierten Potentialen. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Die Zwangsstörung wurde lange Zeit als eine relativ seltene Krankheit angesehen. Erst durch neuere epidemiologische Untersuchungen zeigte sich, dass sie die vierthäufigste neuro-psychiatrische Erkrankung darstellt. Das Besondere an ihr ist, dass sie im Gegensatz zu anderen neuro-psychiatrischen Erkrankungen, mit einer hirnelektrischen Überaktivität assoziiert sein soll. Vor allem dem überaktivierten orbito-frontalen Kortex wird in zahlreichen Studien eine wichtige Rolle bei der Ätiopathogenese der Zwangsstörung beigemessen. Da die Literatur dazu hauptsächlich auf bildgebende Untersuchungsverfahren mit mangelhafter zeitlicher Auflösung basiert, erscheint es wichtig, die Validität der Erklärungsmodelle zur Entstehung der Zwangsstörung mit einem Analyseverfahren zu überprüfen, das diesen Nachteil nicht hat. Unabhängig davon existieren Befunde, dass bei der Zwangssymptomatik im Ableitungskanal Pz, verkürzte Latenzen bei akustischen P300-Oddball-Paradigmen vorzufinden sind, welche ebenfalls Ausdruck dieser gesteigerten zerebralen Aktivität sein sollen. Die Ergebnisse zu den analogen P300-Amplituden sind dagegen weit weniger konsistent, was auf die recht kleinen Untersuchungskollektive bisheriger Studien zurückzuführen ist. Vorteilhaft an unserem Analyseverfahren ist, dass zu den zerebralen Generatoren der P300 auch Hirnareale zählen, die für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Zwangssymptomatik verantwortlich gemacht werden. Dazu gehört insbesondere der orbito-frontale Kortex. Das Ziel dieser Arbeit war somit die Klärung, ob nicht nur die P300-Latenz bei Zwangsstörungen eine Veränderung, im Sinne einer Verkürzung, zeigt, sondern ob auch die P300-Amplitude sich anders darstellt. Erhöhte Amplituden bei Patienten mit Zwangsstörungen wären besser mit der in der Literatur beschriebenen Hyperaktivität vereinbar. Weiterhin gingen wir der Frage nach, in welchen Hirnregionen diese Veränderungen lokalisiert seien und ob eine Hypo- oder Hyperaktivität damit verbunden wäre. Wir erwarteten eine Bestätigung der postulierten Überaktivierung im orbito-frontalen Kortex. Als nächstes wollten wir mögliche Therapieeffekte auf die P300 bzw. auf die zerebrale Hyperaktivität prüfen. Eine Angleichung der hirnfunktionellen Veränderungen an den gesunden Normalzustand nach einer Kombinationstherapie aus Sertralin und multimodaler Verhaltenstherapie wurde angenommen. Letztendlich sollte noch die Frage geklärt werden, ob diese hirnfunktionellen Abnormitäten bei Patienten mit Zwangsstörungen mit der Schwere der Erkrankung korrelieren. Wir untersuchten 71 unbehandelte Patienten mit Zwangsstörungen und 71 gesunden Personen mit einem akustischen P300-Oddball-Paradigma und zeichneten dabei die ereigniskorrelierten Potentiale mit 31 Elektroden auf. Wie bereits angenommen, konnte bei den Patienten mit Zwangsstörungen eine erhöhte P300-Amplitude beobachtet werde. Die P300-Latenz zeigte im Vergleich zu den gesunden Kontrollen nur eine deskriptive Verkürzung. Die Stromdichteverteilung im Talairach-Raum wurde mit der Low Resolution Electromagnetic Tomography (LORETA) durchgeführt. Wir konnten im Zeitintervall der P300 (240 - 580 ms) vier Hirnareale, alle in der linken Hirnhälfte lokalisiert, mit einer signifikant erhöhten Überaktivität bei Patienten mit Zwangsstörungen identifizieren. So zeigten neben dem inferio-temporalen Kortex des Temporallappens, dem inferio-parietalen Kortex des Parietallappens und dem mittleren Gyrus frontalis, vor allem der orbito-frontale Kortex des Frontallappens, signifikant höhere elektrische Aktivierung. Die von uns aufgestellte Hypothese einer orbito-frontalen Hyperaktivität erwies sich also als richtig. Der Einfluss der 10-wöchigen Kombinationstherapie wurde bei 43 von den ursprünglichen 71 Patienten mit Zwangsstörungen untersucht. Nach der Kombinationstherapie normalisierte sich die Überaktivität lediglich im mittleren Gyrus frontalis. Auf der Potentialbasis wiesen hingegen die P300-Amplituden und -Latenzen keine signifikanten Veränderungen auf. In der abschließenden Untersuchung ließ sich kein Zusammenhang zwischen der Psychopathologie (Y-BOCS) und den hirnfunktionellen Abnormitäten bei Zwangsstörungen festgestellen. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind größtenteils konsistent mit der aktuellen Literatur zur Zwangssymptomatik. Es ist die einzige Arbeit zur Untersuchung der zerebralen Aktivität bei Patienten mit Zwangsstörungen, die dafür einen linearen Lösungsansatz für das inverse EEG-Problems verwendete. Auch existieren nur wenige Studien, die eine vergleichbar große Anzahl an Patienten mit Zwangsstörungen analysiert haben. Dies gilt insbesondere für die Erkenntnisse aus der funktionelle Bildgebung (PET, fMRT, SPECT), die letztendlich den Hauptbeitrag zur Bildung der Hypothese einer zerebralen Hyperaktivität bei Zwangsstörungen leisteten. So wiesen PET- bzw. fMRT-Studien selten mehr 25 zu untersuchende Patienten auf. Die hier verwendete Stromdichte-Analyse bestätigt somit die Befunde aus der funktionellen Bildgebung (fMRT, SPECT, PET) mit ihrem mangelhaften zeitlichen Auflösungsvermögen, dass vor allem eine orbito-frontale Überaktivität die Zwangsstörung charakterisiert. Darüber hinaus konnte zum ersten Mal eine Verbindung zwischen den abnormen P300-Potentialwerten und der zerebralen Hyperaktivität bei Zwangsstörungen hergestellt worden. Auch konnte erstmalig eine Normalisierung der Überaktivität im Gyrus frontalis medius nach Therapie beobachtet werden.