Gatscher, Moritz (2025): Ethische Fragen in der Berg- und Höhenmedizin: eine qualitative sozialempirische Studie. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät |
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Abstract
In mountain, high-altitude and expedition medicine, physicians are confronted with ethical challenges that differ from routine clinical care, as they treat patients under special conditions regarding the medical care situation, external circumstances, limited medical resources and their own risk exposure. While some of the resulting ethical aspects have already been discussed analytically in the literature, a systematic investigation of the ethical issues that physicians in mountain, high-altitude and expedition medicine are confronted with in their practice is still lacking. We therefore conducted a qualitative interview study with ten physicians who, due to their many years of experience in various areas of mountain, high-altitude and expedition medicine, can be regarded as experts in these fields (maximum variation sampling) in order to answer the following research questions: 1. What ethical issues do medical practitioners perceive in the field of mountain, high altitude and expedition medicine? 2. How do mountain physicians deal with these ethical issues? 3. What would mountain physicians wish for in dealing with these ethical issues in the future? The interviews were recorded, transcribed and analyzed using the Saldaña coding method. The interview participants reported challenging working conditions characterized by limited medical resources, limited diagnostic and prognostic information, difficult external circumstances, the risk exposure of the rescuers themselves and the risk-taking behaviour of the mountaineers. In the field of mountain rescue medicine, the experts described ethical challenges of balancing the duty to help the casualties with the health risks for the rescuers, the personal responsibility of the mountaineers, resuscitation situations under difficult external conditions, triage situations with multiple burials and the allocation of resources in the rescue system. In the field of high-altitude and expedition medicine, the study participants mentioned the ethical justifiability of strictly advising against participation in a high-risk undertaking and the ethical question of the medical prescription of prophylactic and performance-enhancing medication. The other results focused on distributive justice on a global level. In dealing with these medical ethical issues, the experts interviewed can only partially fall back on guidelines or recommendations from professional societies. They therefore usually have to resolve medical-ethical conflict situations on a case-by-case basis by balancing the unclear or conflicting ethical obligations in individual cases. The results presented and discussed in the light of the limited scientific findings available to date can raise awareness of ethically relevant constellations in mountain, high-altitude and expedition medicine and serve as a basis for the development of decision-making aids for the actors involved. The present study can serve as a starting point for further research into ethical issues in these medical fields. It can also be inferred from the results of this study that ethical issues should be explicitly addressed in the training of doctors working in mountain medicine in the future. In view of the increasing importance of leisure activities in the mountains, this could raise the awareness of trained physicians with regard to ethical issues and considerations and create an ethically justified basis for action. Overall, the present interview study succeeded in identifying and discussing the broad spectrum of ethical issues in mountain, high-altitude and expedition medicine and how they are dealt with. In view of the different approaches practiced by the actors, it would seem appropriate to investigate in greater depth in future scientific work how the various ethical challenges can be met in an ethically well-founded manner under the given difficult conditions.
Abstract
Ärzte sind in der Berg-, Höhen- und Expeditionsmedizin mit ethischen Herausforderungen konfrontiert, welche sich von der klinischen Routineversorgung unterscheiden, da sie die Patienten unter besonderen Rahmenbedingungen hinsichtlich der medizinischen Versorgungssituation, der externen Umstände, limitierter medizinischer Ressourcen und der eigenen Risikoexposition versorgen. Während einige der resultierenden ethischen Aspekte bereits analytisch in der Literatur diskutiert wurden, fehlt bislang eine systematische Untersuchung, mit welchen ethischen Fragen die handelnden Akteure in der Berg-, Höhen- und Expeditionsmedizin in ihrer ärztlichen Praxis konfrontiert werden. Daher führten wir eine qualitative Interviewstudie mit zehn Ärzten durch, welche durch ihre jahrelange Erfahrung in unterschiedlichen Bereichen der Berg-, Höhen- und Expeditionsmedizin als ausgewiesene Experten auf diesen Gebieten gelten (maximum variation sampling), um folgende Forschungsfragen zu beantworten: 1. Welche ethischen Fragen nehmen Mediziner im Bereich der Berg-, Höhen- und Expeditionsmedizin wahr? 2. Wie gehen die Bergmediziner mit diesen ethischen Fragen um? 3. Was wünschen sich die Bergmediziner für den Umgang mit diesen ethischen Fragen in der Zukunft? Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und mittels des Kodierverfahrens nach Saldaña inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Interviewteilnehmer berichteten über herausfordernden Arbeitsbedingungen, welche durch begrenzte medizinische Ressourcen, limitierte diagnostische sowie prognostische Informationen, schwierige äußere Umstände, die Risikoexposition der Retter selbst und das Risikoverhalten der Bergsteiger charakterisiert sind. Auf dem Gebiet der Bergrettungsmedizin beschrieben die Experten als ethische Herausforderungen die Abwägung der Hilfsverpflichtungen gegenüber den Verunglückten mit den gesundheitlichen Risiken für die Retter, die Eigenverantwortung der Bergsteiger, Reanimationssituationen unter schwierigen äußeren Bedingungen, Triagesituationen bei Mehrfachverschüttungen und die Ressourcenallokation im Rettungswesen. Auf dem Gebiet der Höhen- und Expeditionsmedizin nannten die Studienteilnehmer die ethische Vertretbarkeit des strikten Abratens von der Teilnahme an einer risikoreichen Unternehmung sowie die ethische Frage nach der ärztlichen Verschreibung prophylaktisch wirksamer und leistungssteigernder Medikamente. Im Mittelpunkt der weiteren Ergebnisse stand die Verteilungsgerechtigkeit auf globaler Ebene. Die befragten Experten können im Umgang mit diesen medizinethischen Fragen lediglich teilweise auf Leitlinien oder Empfehlungen von Fachgesellschaften zurückgreifen. Sie müssen daher die medizinethischen Konfliktsituationen meist fallbezogen lösen, indem sie eine begründete Abwägung zwischen den im Einzelfall unklaren oder konfligierenden ethischen Verpflichtungen treffen. Die dargestellten und im Spiegel der bislang nur spärlich verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse diskutierten Ergebnisse können das Bewusstsein für ethisch relevante Konstellationen in der Berg-, Höhen- und Expeditionsmedizin schärfen und als Grundlage für die Entwicklung von Entscheidungshilfen für die handelnden Akteure dienen. Die vorliegende Studie kann als Ausgangspunkt für weitere Forschung zu ethischen Fragestellungen in diesen medizinischen Fachbereichen dienen. Aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie lässt sich zudem ableiten, dass zukünftig ethische Fragen in der Ausbildung bergmedizinisch tätiger Ärzte ausdrücklich thematisiert werden sollten. Damit könnte angesichts der weiter zunehmenden Bedeutung von Freizeitaktivitäten in den Bergen eine Sensibilisierung der ausgebildeten Mediziner hinsichtlich ethischer Fragen und Abwägungen erreicht und eine ethisch begründete Handlungsbasis geschaffen werden. Insgesamt gelang es mit der vorliegenden Interviewstudie, das breite Spektrum an ethischen Fragen in der Berg-, Höhen- und Expeditionsmedizin sowie den Umgang mit denselben herauszuarbeiten und zu diskutieren. Angesichts der unterschiedlichen von den Akteuren praktizierten Lösungsansätzen erscheint es sinnvoll, in zukünftigen wissenschaftlichen Arbeiten vertiefend zu untersuchen, wie den verschiedenen ethischen Herausforderungen unter den gegebenen schwierigen Rahmenbedingungen auf eine ethisch gut begründete Art und Weise begegnet werden kann.
Dokumententyp: | Dissertationen (Dissertation, LMU München) |
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Keywords: | Bergmedizin, Notfallmedizin, Höhenmedizin, Expeditionsmedizin, Medizinethik |
Themengebiete: | 600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften
600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften > 610 Medizin und Gesundheit |
Fakultäten: | Medizinische Fakultät |
Sprache der Hochschulschrift: | Deutsch |
Datum der mündlichen Prüfung: | 8. Mai 2025 |
1. Berichterstatter:in: | Marckmann, Georg |
MD5 Prüfsumme der PDF-Datei: | 45f24b3e48e57cc35f9e08a235dfdebf |
Signatur der gedruckten Ausgabe: | 0700/UMD 22320 |
ID Code: | 35299 |
Eingestellt am: | 23. Jun. 2025 10:01 |
Letzte Änderungen: | 23. Jun. 2025 10:01 |