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Umweltfaktoren, Pestizide und Brustkrebs - eine klinische Fall-Kontroll-Studie
Umweltfaktoren, Pestizide und Brustkrebs - eine klinische Fall-Kontroll-Studie
Teil I: Bereits seit Jahrzehnten wird der Anteil des nicht-genetisch bedingten Risikos für Brustkrebs auf über 60% geschätzt. Umweltfaktoren wie Adipositas, Ernährung und körperliche Aktivität, sozioökonomischer Status, elektromagnetische Felder und Nikotin sind in vielen Studien mit dem Brustkrebsrisiko assoziiert; jedoch nur radioaktive Bestrahlung und hormonelle Faktoren, die östrogenimitierend wirken, sind anerkannte Risikofaktoren für Brustkrebs. Teil II: 17 Studien mit Messung im Fettgewebe und 25 Serumstudien sind bisher zu der Fragestellung Pestizide und Brustkrebs als Fall-Kontroll-Studien publiziert, die in der Mehrzahl keine signifikanten Assoziationen zum Brustkrebsrisiko beobachteten. Für Untergruppen mit erhöhter Exposition, wie bei dunkelhäutigen Frauen oder bei Frauen, die nicht stillten, wird ein erhöhtes Brustkrebsrisiko mit steigenden Konzentrationen einiger Substanzen berichtet. Teil III: Für die Substanzen DDT/DDE, HCB, HCH, Pyrethroide, PCP und PCB existieren experimentelle Daten über hormonimitierende, zumeist östrogene Wirkungen, die bei hormonsensitiven Tumoren, wie dem Brustkrebs, an der Karzinogenese beteiligt sind. DDT/DDE, -HCH, HCB und PCP gelten als möglicherweise humankanzerogen, PCB als wahrscheinlich humankanzerogen. DDE, -HCH, HCB und hochchlorierte PCBs sind persistent und schwer abbaubar. Teil IV: Es wurde eine krankenhausbasierte Fall-Kontroll-Studie an neun Patientinnen mit histologisch nachgewiesenen Mammakarzinomen und sieben nach dem Alter gematchten Kontrollpatientinnen mit benignen Mammaveränderungen, die sich einem operativen Eingriff an ihrer Brust unterzogen, durchgeführt. Bezüglich der Confounder Alter, Alter bei Menarche, Alter bei erster Geburt, Stilldauer (Monate), BMI und Zahl der Kinder bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen Fall- und Kontrollgruppe. Die Patientinnen der Fallgruppe waren überwiegend postmenopausal, die in der Kontrollgruppe überwiegend prämenopausal; in der Fallgruppe rauchte eine von neun Patientinnen (= 11%), in der Kontrollgruppe fünf von sieben (= 71%). Es wurde Brust- bzw. Tumorgewebe auf die Gehalte an DDT/DDE, HCB, ß-HCH, Permethrin, PCP und die Summe der PCB-Abkömmlinge Nr. 28, 52, 101, 138, 153 und 180 gaschromatografisch mit Elektroneneinfangdetektor untersucht. Permethrin wurde in keiner Probe oberhalb der Nachweisgrenze von 50 ppb detektiert. Statistisch signifikante Unterschiede zwischen Fall- und Kontrollgruppe wurden für keine Substanz festgestellt. Die von uns gemessenen HCB-Konzentrationen sind mit 794/561 ppb in Fall-/Kontrollgruppe (arithmetrisches Mittel) nach hiesiger Kenntnis die höchsten, welche bisher im Brustgewebe festgestellt wurden. Dies ist vermutlich auf eine stärkere Belastung der deutschen Nahrungsmittel mit HCB zurückzuführen. Bei der Untersuchung der Werte des Gesamtkollektivs korrelierte die Anzahl der Geburten signifikant negativ mit dem Gehalt an DDT (r=-0,72; p<0,01), nicht jedoch mit dem Gehalt an DDE. Es zeigt sich eine signifikante Korrelation zwischen ß-HCH und DDT, wobei der Signifikanzlevel durch einen „Ausreißer“ stark beeinflusst wird: hoch signifikant (r=0,79; p<0,001) mit Ausreißer, schwach signifikant (r=0,45, p<0,05) ohne Ausreißer. Die Altersabhängigkeit der Pestizidgehalte konnte nur für HCB bei Karzinompatientinnen signifikant (r=0,69; p<0,01), weiterhin schwach signifikant für HCB im Gesamtkollektiv (r=0,60; p<0,05) und für die Summe der PCB (r=0,50; p<0,05) belegt werden; für DDE, DDT und PCP zeigte sich keine Altersabhängigkeit; ß-HCH korrelierte dagegen schwach negativ mit dem Alter der Patientinnen (r=-0,54; p<0,05). Korrelationen zum Ernährungsverhalten der Patientinnen konnten nicht beobachtet werden. Der BMI war nur mit den HCB-Konzentrationen knapp nicht mehr signifikant assoziiert (r=0,48; p=0,06). Bei den vier Einzeldarstellungen wird versucht, Gründe für sehr hohe Expositionslevels zu finden, und bei einer Patientin werden die Gehalte zwischen malignem und benignem Mammagewebe verglichen. Allein der Nachweis von DDE, DDT, HCB, ß-HCH, PCB-Kongeneren und PCP im Fettgewebe der Mamma zeigt, dass diese Substanzen über lange Zeit in Kontakt mit den duktalen Epithelzellen stehen und dort hormonimitierende und z.T. kanzerogene Wirkungen entfalten können. Nach heutigem Wissensstand lässt sich ein additiver Effekt von persistenten chlororganischen Substanzen auf die Mammakarzinogenese nicht ausschließen. Dabei sind insbesondere die Effekte von Substanzgemischen und die Auswirkungen der Exposition während besonders vulnerabler Phasen der Brustentwicklung wie in utero, postnatal sowie in Kindheit und Pubertät noch nicht ausreichend erforscht. Neben besonders vulnerablen Phasen der Brustdrüsenentwicklung müssen in Zukunft auch individuelle Suszeptibilitäten in Folge genetischer Polymorphismen von Rezeptoren, Signaltransduktoren, Tumorsuppressoren, Transportern und fremdstoffmetabolisierenden Enzymen bei der Identifikation von Risikofaktoren oder -gruppen für Brustkrebs berücksichtigt werden.
Mammakarzinom, Umweltrisikofaktoren, Pestizide, Brustkrebs
Spechter, Achim-Jürgen
2004
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Spechter, Achim-Jürgen (2004): Umweltfaktoren, Pestizide und Brustkrebs - eine klinische Fall-Kontroll-Studie. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Teil I: Bereits seit Jahrzehnten wird der Anteil des nicht-genetisch bedingten Risikos für Brustkrebs auf über 60% geschätzt. Umweltfaktoren wie Adipositas, Ernährung und körperliche Aktivität, sozioökonomischer Status, elektromagnetische Felder und Nikotin sind in vielen Studien mit dem Brustkrebsrisiko assoziiert; jedoch nur radioaktive Bestrahlung und hormonelle Faktoren, die östrogenimitierend wirken, sind anerkannte Risikofaktoren für Brustkrebs. Teil II: 17 Studien mit Messung im Fettgewebe und 25 Serumstudien sind bisher zu der Fragestellung Pestizide und Brustkrebs als Fall-Kontroll-Studien publiziert, die in der Mehrzahl keine signifikanten Assoziationen zum Brustkrebsrisiko beobachteten. Für Untergruppen mit erhöhter Exposition, wie bei dunkelhäutigen Frauen oder bei Frauen, die nicht stillten, wird ein erhöhtes Brustkrebsrisiko mit steigenden Konzentrationen einiger Substanzen berichtet. Teil III: Für die Substanzen DDT/DDE, HCB, HCH, Pyrethroide, PCP und PCB existieren experimentelle Daten über hormonimitierende, zumeist östrogene Wirkungen, die bei hormonsensitiven Tumoren, wie dem Brustkrebs, an der Karzinogenese beteiligt sind. DDT/DDE, -HCH, HCB und PCP gelten als möglicherweise humankanzerogen, PCB als wahrscheinlich humankanzerogen. DDE, -HCH, HCB und hochchlorierte PCBs sind persistent und schwer abbaubar. Teil IV: Es wurde eine krankenhausbasierte Fall-Kontroll-Studie an neun Patientinnen mit histologisch nachgewiesenen Mammakarzinomen und sieben nach dem Alter gematchten Kontrollpatientinnen mit benignen Mammaveränderungen, die sich einem operativen Eingriff an ihrer Brust unterzogen, durchgeführt. Bezüglich der Confounder Alter, Alter bei Menarche, Alter bei erster Geburt, Stilldauer (Monate), BMI und Zahl der Kinder bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen Fall- und Kontrollgruppe. Die Patientinnen der Fallgruppe waren überwiegend postmenopausal, die in der Kontrollgruppe überwiegend prämenopausal; in der Fallgruppe rauchte eine von neun Patientinnen (= 11%), in der Kontrollgruppe fünf von sieben (= 71%). Es wurde Brust- bzw. Tumorgewebe auf die Gehalte an DDT/DDE, HCB, ß-HCH, Permethrin, PCP und die Summe der PCB-Abkömmlinge Nr. 28, 52, 101, 138, 153 und 180 gaschromatografisch mit Elektroneneinfangdetektor untersucht. Permethrin wurde in keiner Probe oberhalb der Nachweisgrenze von 50 ppb detektiert. Statistisch signifikante Unterschiede zwischen Fall- und Kontrollgruppe wurden für keine Substanz festgestellt. Die von uns gemessenen HCB-Konzentrationen sind mit 794/561 ppb in Fall-/Kontrollgruppe (arithmetrisches Mittel) nach hiesiger Kenntnis die höchsten, welche bisher im Brustgewebe festgestellt wurden. Dies ist vermutlich auf eine stärkere Belastung der deutschen Nahrungsmittel mit HCB zurückzuführen. Bei der Untersuchung der Werte des Gesamtkollektivs korrelierte die Anzahl der Geburten signifikant negativ mit dem Gehalt an DDT (r=-0,72; p<0,01), nicht jedoch mit dem Gehalt an DDE. Es zeigt sich eine signifikante Korrelation zwischen ß-HCH und DDT, wobei der Signifikanzlevel durch einen „Ausreißer“ stark beeinflusst wird: hoch signifikant (r=0,79; p<0,001) mit Ausreißer, schwach signifikant (r=0,45, p<0,05) ohne Ausreißer. Die Altersabhängigkeit der Pestizidgehalte konnte nur für HCB bei Karzinompatientinnen signifikant (r=0,69; p<0,01), weiterhin schwach signifikant für HCB im Gesamtkollektiv (r=0,60; p<0,05) und für die Summe der PCB (r=0,50; p<0,05) belegt werden; für DDE, DDT und PCP zeigte sich keine Altersabhängigkeit; ß-HCH korrelierte dagegen schwach negativ mit dem Alter der Patientinnen (r=-0,54; p<0,05). Korrelationen zum Ernährungsverhalten der Patientinnen konnten nicht beobachtet werden. Der BMI war nur mit den HCB-Konzentrationen knapp nicht mehr signifikant assoziiert (r=0,48; p=0,06). Bei den vier Einzeldarstellungen wird versucht, Gründe für sehr hohe Expositionslevels zu finden, und bei einer Patientin werden die Gehalte zwischen malignem und benignem Mammagewebe verglichen. Allein der Nachweis von DDE, DDT, HCB, ß-HCH, PCB-Kongeneren und PCP im Fettgewebe der Mamma zeigt, dass diese Substanzen über lange Zeit in Kontakt mit den duktalen Epithelzellen stehen und dort hormonimitierende und z.T. kanzerogene Wirkungen entfalten können. Nach heutigem Wissensstand lässt sich ein additiver Effekt von persistenten chlororganischen Substanzen auf die Mammakarzinogenese nicht ausschließen. Dabei sind insbesondere die Effekte von Substanzgemischen und die Auswirkungen der Exposition während besonders vulnerabler Phasen der Brustentwicklung wie in utero, postnatal sowie in Kindheit und Pubertät noch nicht ausreichend erforscht. Neben besonders vulnerablen Phasen der Brustdrüsenentwicklung müssen in Zukunft auch individuelle Suszeptibilitäten in Folge genetischer Polymorphismen von Rezeptoren, Signaltransduktoren, Tumorsuppressoren, Transportern und fremdstoffmetabolisierenden Enzymen bei der Identifikation von Risikofaktoren oder -gruppen für Brustkrebs berücksichtigt werden.