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Strategien zur Evakuierung von Milchvieh bei Stallbränden
Strategien zur Evakuierung von Milchvieh bei Stallbränden
Stallbrände sind ein betriebliches Risiko, welches sich nie gänzlich ausschließen lässt. Auf Grund einer schlechten Datenlage lässt sich aber nicht genau beschreiben, wie oft Ställe brennen und wie viele Tiere dabei zu Schaden kommen. Auch wenn das Entstehen von Bränden möglichst zu verhindern ist, dürfen sich die Bemühungen um den vorbeugenden Brandschutz in Tierhaltungen nicht nur auf die Brandverhütung beschränken, denn die Tierrettung im Brandfall ist keineswegs trivial. Das Prinzip der Selbstrettung ist auf Kühe nicht ohne Weiteres übertragbar. Sie fliehen auch bei geöffneten Stalltoren in der Regel nicht selbstständig, sondern weichen vor aufgeregten Helfern, Einsatzkräften, Fahrzeugen, Sirenen und Warnlichtern zurück und suchen mitunter Schutz in dem als „sicher“ kennengelernten Stall. Folglich besteht Aufklärungsbedarf, wie Rettungswege an die sinnesphysiologischen und ethologischen Bedürfnisse der Rinder angepasst werden können, um im Notfall die Evakuierung zu erleichtern. Dabei müssen die Anpassungen in der Praxis umsetzbar und ihre Prinzipien verständlich sein, um im Ernstfall schnell und sachgerecht von Rettungskräften und Landwirten anwendbar zu sein. In einem Evakuierungsversuch wurde der Effekt solcher Anpassungen auf das Tierverhalten, die benötigte Zeit für den Austrieb und der erlebte Stress der Tiere untersucht. Zudem wurde untersucht, ob eine vorhergehende Gewöhnung der Rinder an den Austrieb, am Tag und in Ruhe, einen Effekt auf eine nächtliche Evakuierung hat. Ergänzend wurde eine Online-Befragung durchgeführt, um Erfahrungen von Feuerwehrangehörigen und Landwirten aus bisherigen Stallbränden zu erfassen und die beschriebenen Evakuierungsverläufe und das Tierverhalten auszuwerten. Die Evakuierung von 69 Milchrindern, aufgeteilt in drei Versuchsgruppen zu je 23 Rindern mit jeweils einem eigenen Ausgang aus einem Boxenlaufstall, erfolgte nachts in Zusammenarbeit mit der örtlichen Feuerwehr, die einsatzmäßig mit kompletter persönlicher Schutzausrüstung, Blaulicht und Martinshorn anrückte. Eine der Versuchsgruppen wurde zuvor über 8 Tage hinweg jeweils morgens nach dem Melken in Ruhe stundenweise auf die angrenzende Weide getrieben (HABIT), um sie an ihren Ausgang zu gewöhnen. Die anderen zwei Gruppen erfuhren keine Gewöhnung daran, den Stall zu verlassen. Bei der Evakuierung unterschieden sich die Rettungswege dieser beiden Gruppen. Während eine Gruppe so wie HABIT eine einfache, breite Öffnung zur Verfügung hatte (NonH), wurde die andere Gruppe über einen Treibgang aus Weidepanelen und angebrachtem Sichtschutz auf die Weide getrieben (NonH-R). Der Treibgang sollte die Tiere am Umkehren außerhalb des Stalls hindern und ihnen die womöglich Stress induzierende Sicht auf die Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht blockieren. Die Feuerwehr leuchtete die Weide aus, ohne die Ausgänge aus dem Stall direkt anzuleuchten, um die Rinder nicht zu blenden und ihnen freie Sicht auf die gut ausgeleuchtete Weide vor ihnen zu geben. Querverbindungen zwischen den Gängen im Stall wurden geschlossen, sodass die Rinder in gerader Linie ausgetrieben werden konnten. Die Stallausgänge endeten jeweils an einem Gülleabwurfgitter, welche rutschfest mit Holzplatten mit Gummibeschlag, sowie mit passgenau in die Gitter greifenden Streben an der Unterseite, überdeckt wurden. Mit diesen Maßnahmen konnten die Tiergruppen HABIT und NonH erfolgreich in unter einer Minute aus dem Stall verbracht werden. Der Treibgang von NonH-R erwies sich als nicht zielführend. Nur eine Kuh von NonH versuchte außerhalb des Stalls umzukehren und konnte leicht von den nachrückenden Treibern davon abgebracht werden. Die gewöhnte Versuchsgruppe HABIT aber lief zielstrebig und signifikant (p=0,01) dichter beisammen auf die Weide. Innerhalb von 14 Sekunden, nachdem die erste Kuh den Stall verließ, war die ganze Gruppe evakuiert. Bei NonH dauerte dies 38 Sekunden. Um den Stress der Tiere zu bewerten, wurden Kotproben genommen um die fäkalen Kortisolmetaboliten (FCM) zu bestimmen. Es wurden jedoch keine signifikanten Unterschiede im Anstieg der FCM-Konzentrationen, von den tierindividuellen Basalwerten ausgehend, nach der Evakuierung zwischen den drei Gruppen gefunden. Auch wurden keine signifikanten Unterschiede in der Reduktion der Milchleistung nach der Evakuierung zwischen den drei Gruppen gefunden. Die Online-Umfrage hatte 950 Teilnehmende. Es konnte ein signifikant (p=0,038) besserer Evakuierungserfolg bei Weidebetrieben gegenüber Betrieben ohne Auslaufmöglichkeit festgestellt werden. Die Anzahl betroffener Tiere hatte jedoch keinen Einfluss auf den Evakuierungserfolg. Dass die Rettungskräfte wenig Erfahrung im Umgang mit landwirtschaftlichen Nutztieren hatten, stellte sich als Schwierigkeit bei der Tierrettung heraus. Diese Ergebnisse bestätigen, dass der Weidezugang für Rinder einen positiven Effekt auf eine nächtliche Evakuierung hat. Mit gewissen Vorbereitungen im Vorfeld durch den Landwirt und mit Sachverstand der Rettungskräfte ist jedoch auch die Tierrettung einer nicht an den Austrieb gewöhnten Milchviehherde zügig umsetzbar. Rettungskräfte benötigen daher ein erweitertes Schulungsangebot zu den Besonderheiten beim Brand landwirtschaftlicher Betriebe., There is much discussion about preventing fires in barns, but the evacuation of farm animals is a rarely considered subject. Field reports of firefighters and affected farmers state that barn animals hesitate to leave their familiar surroundings and rather try to withdraw to their known housing, which they deem as safe. Tangible figures about the occurrence of barn fires and prospects of a successful evacuation of farm animals are scarce internationally. In this pilot study, the effect of prepared exits and habituation, on the readiness of cattle to leave the barn and on their stress level was examined on a planned evacuation at night. For this purpose, we examined the evacuation of three groups of dairy cattle with 23 animals each, out of a freestall barn to an adjacent pasture. Each group had a separate exit out of the barn. One group of cattle was herded to pasture for 8 days prior to evacuation, habituating them to using their exit (HABIT). The other two groups had no habituation to exiting the barn. Between them, the means of egress differed, with one group exiting through a single-file race (NonH-R) and the other group exiting through a wider opening (NonH). Evacuation took place at night in collaboration with the fire brigade, advancing with sirens and flashing lights. Along with the time needed for evacuating all animals, we measured faecal cortisol metabolites (FCMs) and daily milk yield to assess stress levels in the animals. In addition, an online survey was conducted to assess experiences made in past barn fires by fire fighters and farmers. After evacuation, there was neither a significant difference in the rise of FCM concentrations nor in the milk reduction between groups. However, the habituated group HABIT left the barn significantly (p=0.01) more in bulk. After the first cow left the barn, it took only 14 seconds for the rest of the group to follow. This was 38 seconds for NonH. Both groups left the barn in under one minute after opening the gates. The single-file race of NonH-R did not prove to be more effective. Only one cow in NonH tried to return to the stable. The online survey had 950 participants. A significantly (p=0.038) higher percentage of cows per farm have been evacuated in past barn fires when cows had access to pasture for grazing, compared to when cows were not habituated to pasture or other outdoor areas.. The number of affected cows had no significant impact on the success of evacuation. Rescue services not having experience in handling cattle was described as the main challenge in evacuating cattle. These results confirm the positive impact of access to pasture for cattle on the success of an evacuation at night. However, given a certain amount of preparedness and given that the rescue services apply the depicted strategies, the rescue of unhabituated dairy cattle can be quickly achieved, too. Thus, rescue services need more support and training about the particular challenges of barn fires.
Großtierrettung; Nutztierhaltung; Vorbeugender Brandschutz; Sinnesphysiologie; Notfall-Management; livestock evacuation; fire preparedness; stockmanship; husbandry; sensory physiology; emergency management
Diel, Florian
2023
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Diel, Florian (2023): Strategien zur Evakuierung von Milchvieh bei Stallbränden. Dissertation, LMU München: Tierärztliche Fakultät
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14MB

Abstract

Stallbrände sind ein betriebliches Risiko, welches sich nie gänzlich ausschließen lässt. Auf Grund einer schlechten Datenlage lässt sich aber nicht genau beschreiben, wie oft Ställe brennen und wie viele Tiere dabei zu Schaden kommen. Auch wenn das Entstehen von Bränden möglichst zu verhindern ist, dürfen sich die Bemühungen um den vorbeugenden Brandschutz in Tierhaltungen nicht nur auf die Brandverhütung beschränken, denn die Tierrettung im Brandfall ist keineswegs trivial. Das Prinzip der Selbstrettung ist auf Kühe nicht ohne Weiteres übertragbar. Sie fliehen auch bei geöffneten Stalltoren in der Regel nicht selbstständig, sondern weichen vor aufgeregten Helfern, Einsatzkräften, Fahrzeugen, Sirenen und Warnlichtern zurück und suchen mitunter Schutz in dem als „sicher“ kennengelernten Stall. Folglich besteht Aufklärungsbedarf, wie Rettungswege an die sinnesphysiologischen und ethologischen Bedürfnisse der Rinder angepasst werden können, um im Notfall die Evakuierung zu erleichtern. Dabei müssen die Anpassungen in der Praxis umsetzbar und ihre Prinzipien verständlich sein, um im Ernstfall schnell und sachgerecht von Rettungskräften und Landwirten anwendbar zu sein. In einem Evakuierungsversuch wurde der Effekt solcher Anpassungen auf das Tierverhalten, die benötigte Zeit für den Austrieb und der erlebte Stress der Tiere untersucht. Zudem wurde untersucht, ob eine vorhergehende Gewöhnung der Rinder an den Austrieb, am Tag und in Ruhe, einen Effekt auf eine nächtliche Evakuierung hat. Ergänzend wurde eine Online-Befragung durchgeführt, um Erfahrungen von Feuerwehrangehörigen und Landwirten aus bisherigen Stallbränden zu erfassen und die beschriebenen Evakuierungsverläufe und das Tierverhalten auszuwerten. Die Evakuierung von 69 Milchrindern, aufgeteilt in drei Versuchsgruppen zu je 23 Rindern mit jeweils einem eigenen Ausgang aus einem Boxenlaufstall, erfolgte nachts in Zusammenarbeit mit der örtlichen Feuerwehr, die einsatzmäßig mit kompletter persönlicher Schutzausrüstung, Blaulicht und Martinshorn anrückte. Eine der Versuchsgruppen wurde zuvor über 8 Tage hinweg jeweils morgens nach dem Melken in Ruhe stundenweise auf die angrenzende Weide getrieben (HABIT), um sie an ihren Ausgang zu gewöhnen. Die anderen zwei Gruppen erfuhren keine Gewöhnung daran, den Stall zu verlassen. Bei der Evakuierung unterschieden sich die Rettungswege dieser beiden Gruppen. Während eine Gruppe so wie HABIT eine einfache, breite Öffnung zur Verfügung hatte (NonH), wurde die andere Gruppe über einen Treibgang aus Weidepanelen und angebrachtem Sichtschutz auf die Weide getrieben (NonH-R). Der Treibgang sollte die Tiere am Umkehren außerhalb des Stalls hindern und ihnen die womöglich Stress induzierende Sicht auf die Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht blockieren. Die Feuerwehr leuchtete die Weide aus, ohne die Ausgänge aus dem Stall direkt anzuleuchten, um die Rinder nicht zu blenden und ihnen freie Sicht auf die gut ausgeleuchtete Weide vor ihnen zu geben. Querverbindungen zwischen den Gängen im Stall wurden geschlossen, sodass die Rinder in gerader Linie ausgetrieben werden konnten. Die Stallausgänge endeten jeweils an einem Gülleabwurfgitter, welche rutschfest mit Holzplatten mit Gummibeschlag, sowie mit passgenau in die Gitter greifenden Streben an der Unterseite, überdeckt wurden. Mit diesen Maßnahmen konnten die Tiergruppen HABIT und NonH erfolgreich in unter einer Minute aus dem Stall verbracht werden. Der Treibgang von NonH-R erwies sich als nicht zielführend. Nur eine Kuh von NonH versuchte außerhalb des Stalls umzukehren und konnte leicht von den nachrückenden Treibern davon abgebracht werden. Die gewöhnte Versuchsgruppe HABIT aber lief zielstrebig und signifikant (p=0,01) dichter beisammen auf die Weide. Innerhalb von 14 Sekunden, nachdem die erste Kuh den Stall verließ, war die ganze Gruppe evakuiert. Bei NonH dauerte dies 38 Sekunden. Um den Stress der Tiere zu bewerten, wurden Kotproben genommen um die fäkalen Kortisolmetaboliten (FCM) zu bestimmen. Es wurden jedoch keine signifikanten Unterschiede im Anstieg der FCM-Konzentrationen, von den tierindividuellen Basalwerten ausgehend, nach der Evakuierung zwischen den drei Gruppen gefunden. Auch wurden keine signifikanten Unterschiede in der Reduktion der Milchleistung nach der Evakuierung zwischen den drei Gruppen gefunden. Die Online-Umfrage hatte 950 Teilnehmende. Es konnte ein signifikant (p=0,038) besserer Evakuierungserfolg bei Weidebetrieben gegenüber Betrieben ohne Auslaufmöglichkeit festgestellt werden. Die Anzahl betroffener Tiere hatte jedoch keinen Einfluss auf den Evakuierungserfolg. Dass die Rettungskräfte wenig Erfahrung im Umgang mit landwirtschaftlichen Nutztieren hatten, stellte sich als Schwierigkeit bei der Tierrettung heraus. Diese Ergebnisse bestätigen, dass der Weidezugang für Rinder einen positiven Effekt auf eine nächtliche Evakuierung hat. Mit gewissen Vorbereitungen im Vorfeld durch den Landwirt und mit Sachverstand der Rettungskräfte ist jedoch auch die Tierrettung einer nicht an den Austrieb gewöhnten Milchviehherde zügig umsetzbar. Rettungskräfte benötigen daher ein erweitertes Schulungsangebot zu den Besonderheiten beim Brand landwirtschaftlicher Betriebe.

Abstract

There is much discussion about preventing fires in barns, but the evacuation of farm animals is a rarely considered subject. Field reports of firefighters and affected farmers state that barn animals hesitate to leave their familiar surroundings and rather try to withdraw to their known housing, which they deem as safe. Tangible figures about the occurrence of barn fires and prospects of a successful evacuation of farm animals are scarce internationally. In this pilot study, the effect of prepared exits and habituation, on the readiness of cattle to leave the barn and on their stress level was examined on a planned evacuation at night. For this purpose, we examined the evacuation of three groups of dairy cattle with 23 animals each, out of a freestall barn to an adjacent pasture. Each group had a separate exit out of the barn. One group of cattle was herded to pasture for 8 days prior to evacuation, habituating them to using their exit (HABIT). The other two groups had no habituation to exiting the barn. Between them, the means of egress differed, with one group exiting through a single-file race (NonH-R) and the other group exiting through a wider opening (NonH). Evacuation took place at night in collaboration with the fire brigade, advancing with sirens and flashing lights. Along with the time needed for evacuating all animals, we measured faecal cortisol metabolites (FCMs) and daily milk yield to assess stress levels in the animals. In addition, an online survey was conducted to assess experiences made in past barn fires by fire fighters and farmers. After evacuation, there was neither a significant difference in the rise of FCM concentrations nor in the milk reduction between groups. However, the habituated group HABIT left the barn significantly (p=0.01) more in bulk. After the first cow left the barn, it took only 14 seconds for the rest of the group to follow. This was 38 seconds for NonH. Both groups left the barn in under one minute after opening the gates. The single-file race of NonH-R did not prove to be more effective. Only one cow in NonH tried to return to the stable. The online survey had 950 participants. A significantly (p=0.038) higher percentage of cows per farm have been evacuated in past barn fires when cows had access to pasture for grazing, compared to when cows were not habituated to pasture or other outdoor areas.. The number of affected cows had no significant impact on the success of evacuation. Rescue services not having experience in handling cattle was described as the main challenge in evacuating cattle. These results confirm the positive impact of access to pasture for cattle on the success of an evacuation at night. However, given a certain amount of preparedness and given that the rescue services apply the depicted strategies, the rescue of unhabituated dairy cattle can be quickly achieved, too. Thus, rescue services need more support and training about the particular challenges of barn fires.