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Heterogenität des Behandler- und Patientenkollektivs. professions- und patientenspezifische Faktoren bei der Implementierung klinischer Leitlinien
Heterogenität des Behandler- und Patientenkollektivs. professions- und patientenspezifische Faktoren bei der Implementierung klinischer Leitlinien
Die Implementierung von evidenz- und konsensusbasierten Leitlinien in der psychischen Gesundheitsversorgung stellt eine große Herausforderung dar – nicht zuletzt aufgrund eines vielschichtigen und heterogenen Behandler- und Patientenkollektivs. In der vorliegenden kumulativen Promotion wurde daher ein besonderes Augenmerk auf Patienten- und Behandlergruppen gelegt, welche in bisherigen Implementierungsstudien vernachlässigt wurden. Ziel der aus zwei Originalarbeiten bestehenden Dissertation war es, folgende übergeordnete Fragestellung zu beantworten: Welche professions- und patientenspezifischen Faktoren beeinflussen die Implementierung klinischer Leitlinien vor dem Hintergrund eines heterogenen Behandler- und Patientenkollektivs? In Projekt 1, welches sich dem Behandlerkollektiv widmet, wurde die Perspektive sämtlicher Hauptakteure der psychischen Gesundheitsversorgung in den Mittelpunkt der Forschung gerückt. Im Rahmen dessen wurden der Implementierungsstatus sowie die Barrieren bei der Inanspruchnahme der aktuellen S3-Leitlinien für Schizophrenie und Psychosoziale Therapien (Stand: 2022) aus Sicht von Mediziner:innen, Psycholog:innen/Psychotherapeut:innen, Gesundheits- und Krankenpfleger:innen sowie psychosozialen Therapeut:innen untersucht. Ergänzend zu professionsspezifischen Barrieren wurden in Projekt 2 patientenspezifische Barrieren durch Einnahme der Perspektive des Patientenkollektivs ermittelt. Menschen mit Migrationshintergrund scheinen in der psychischen Gesundheitsversorgung quantitativ und qualitativ benachteiligt zu sein und wurden daher in den Fokus von Projekt 2 gerückt. Im Zuge dessen wurden die Inanspruchnahme von Leistungen, der Behandlungsbedarf sowie die Behandlungszufriedenheit in der psychischen Gesundheitsversorgung von Menschen mit versus ohne Migrationshintergrund analysiert. Insgesamt wurden 657 Fachkräfte der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung (Projekt 1) und 387 Patient:innen mit schweren psychischen Erkrankungen (Projekt 2) miteinbezogen. Im Kontext von Projekt 1 zeigten Mediziner:innen höhere Kenntnisraten beider Leitlinien als psychosoziale Therapeut:innen und Pflegekräfte und zugleich höhere Anwendungsraten beider Leitlinien als Psycholog:innen/Psychotherapeut:innen und Pflegekräfte. Keine Unterschiede konnten hinsichtlich verhaltensbezogener Barrieren (z. B. lange Versionen) identifiziert werden. Deutliche Differenzen zwischen den Professionen zeigten sich hingegen bzgl. wissensbasierter Barrieren – Mediziner:innen gaben an, diesen in geringerem Ausmaß exponiert zu sein als sämtliche Vergleichsberufsgruppen. Während ausgeprägte professionsbezogene Differenzen in der Leitlinienimplementierung identifiziert wurden, konnten im Rahmen von Projekt 2 keine migrationsspezifischen Unterschiede in der Inanspruchnahme von Leistungen sowie im Hinblick auf (un-)erfüllte Behandlungsbedarfe in der psychischen Gesundheitsversorgung ermittelt werden. Nichtsdestotrotz gaben Menschen mit Migrationshintergrund an, insgesamt zufriedener mit der im Vorjahr erhaltenen psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung zu sein. Diese erhöhte Zufriedenheit – trotz ähnlichen Ausmaßes an erhaltenen Leistungen sowie erfüllten Behandlungsbedarfen – deutet auf eine Überschätzung der Zufriedenheit (z. B. aufgrund suboptimaler Erfahrungen im Herkunftsland) und damit auf die Gefahr der Vernachlässigung von Menschen mit Migrationshintergrund der in psychischen Gesundheitsversorgung hin. Insgesamt implizieren die vorliegenden Ergebnisse, die Profession (von Behandler:innen) sowie den Migrationshintergrund (von Patient:innen) als mögliche Barrieren bei der Leitlinienimplementierung zu betrachten. Um Diskrepanzen bei der Umsetzung von Leitlinienempfehlungen und dem Erhalt leitliniengerechter Behandlungsmethoden zu verhindern, sollten zielgerichtete, d.h. professions- und patientenspezifische Implementierungsstrategien in Betracht gezogen werden. Insbesondere bei der Behandlung von Migrant:innen der ersten Generation kann sowohl eine kultursensible Therapie unter Berücksichtigung individueller Bedürfnisse, als auch die Förderung des Patient Empowerments die Leitlinienimplementierung unterstützen. Des Weiteren sollten wissensbasierte Implementierungsstrategien (z. B. Optimierung der Leitlinienkompetenz durch Behandlerschulungen) in Erwägung gezogen werden, um die Differenzen in der Leitlinienimplementierung zwischen den Professionen der Behandelnden zu verringern., The implementation of evidence- and consensus-based guidelines in mental healthcare is a major challenge, not least due to a multifaceted and heterogeneous clinician and patient collective. Therefore, the present doctoral dissertation has drawn special attention to specific groups of patients and clinicians, which have been neglected in previous implementation studies. The purpose of the dissertation, which consists of two original papers, was to address the following overarching question: What profession- and patient-specific factors influence the implementation of clinical guidelines in the context of a heterogeneous clinician and patient collective? Project 1, dedicated to the clinician collective, focused on the perspective of all key stakeholders in mental healthcare. In this context, the implementation status and implementation barriers of the current German evidence- and consensus-based guidelines for schizophrenia and psychosocial therapies (as of 2022) were investigated from the perspective of medical doctors, psychologists/psychotherapists, care givers, and psychosocial therapists (Project 1). In addition to profession-specific barriers, the perspective of the patient collective was taken, and patient-related barriers were investigated (Project 2). More specifically, Project 2 focused on patients with migration background as they seem to be disadvantaged in terms of quantity and quality in mental healthcare. Thus, an analysis of the following aspects was conducted: the use of supply services, treatment needs, and treatment satisfaction of people with vs. without migration background. In total, 657 mental healthcare professionals (Project 1) and 387 patients with severe mental illness (Project 2) were included. In the context of Project 1, medical doctors showed higher awareness rates of both guidelines than psychosocial therapists and care givers as well as higher adherence rates of both guidelines than psychologists/psychotherapists and care givers. Moreover, regarding behavior-related barriers (e.g., long versions), no differences across professions were identified. However, significant differences between professions were found with respect to knowledge-related barriers – medical doctors were less exposed to knowledge-related barriers than the reference groups. While profession-related differences in guideline implementation were identified in Project 1, Project 2 did not identify any migration-specific differences in service utilization or (un)met treatment needs in mental healthcare. Nevertheless, migrant participants showed a higher overall satisfaction with mental healthcare received in the previous year. This increased satisfaction – despite similar levels of services received as well as met/unmet treatment needs – indicates an overestimation of satisfaction (e.g., due to suboptimal experiences in the country of origin) and thus the risk to overlook the needs of patients with migration background in mental healthcare. In conclusion, the present findings imply to consider the clinician’s profession, as well as migration-related factors of patients as potential barriers in guideline implementation. To prevent discrepancies in guideline implementation as well as in the provision of guideline-based treatment methods, target-specific implementation strategies should be considered. Especially in the treatment of first-generation migrants, a culturally sensitive treatment setting, focusing on individual needs and patient empowerment, may enhance guideline implementation. Furthermore, the application of knowledge-related implementation strategies (e.g., guideline workshops) should be considered to reduce the gap in guideline implementation between mental healthcare professionals.
Not available
Gaigl, Gabriele
2023
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Gaigl, Gabriele (2023): Heterogenität des Behandler- und Patientenkollektivs: professions- und patientenspezifische Faktoren bei der Implementierung klinischer Leitlinien. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Die Implementierung von evidenz- und konsensusbasierten Leitlinien in der psychischen Gesundheitsversorgung stellt eine große Herausforderung dar – nicht zuletzt aufgrund eines vielschichtigen und heterogenen Behandler- und Patientenkollektivs. In der vorliegenden kumulativen Promotion wurde daher ein besonderes Augenmerk auf Patienten- und Behandlergruppen gelegt, welche in bisherigen Implementierungsstudien vernachlässigt wurden. Ziel der aus zwei Originalarbeiten bestehenden Dissertation war es, folgende übergeordnete Fragestellung zu beantworten: Welche professions- und patientenspezifischen Faktoren beeinflussen die Implementierung klinischer Leitlinien vor dem Hintergrund eines heterogenen Behandler- und Patientenkollektivs? In Projekt 1, welches sich dem Behandlerkollektiv widmet, wurde die Perspektive sämtlicher Hauptakteure der psychischen Gesundheitsversorgung in den Mittelpunkt der Forschung gerückt. Im Rahmen dessen wurden der Implementierungsstatus sowie die Barrieren bei der Inanspruchnahme der aktuellen S3-Leitlinien für Schizophrenie und Psychosoziale Therapien (Stand: 2022) aus Sicht von Mediziner:innen, Psycholog:innen/Psychotherapeut:innen, Gesundheits- und Krankenpfleger:innen sowie psychosozialen Therapeut:innen untersucht. Ergänzend zu professionsspezifischen Barrieren wurden in Projekt 2 patientenspezifische Barrieren durch Einnahme der Perspektive des Patientenkollektivs ermittelt. Menschen mit Migrationshintergrund scheinen in der psychischen Gesundheitsversorgung quantitativ und qualitativ benachteiligt zu sein und wurden daher in den Fokus von Projekt 2 gerückt. Im Zuge dessen wurden die Inanspruchnahme von Leistungen, der Behandlungsbedarf sowie die Behandlungszufriedenheit in der psychischen Gesundheitsversorgung von Menschen mit versus ohne Migrationshintergrund analysiert. Insgesamt wurden 657 Fachkräfte der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung (Projekt 1) und 387 Patient:innen mit schweren psychischen Erkrankungen (Projekt 2) miteinbezogen. Im Kontext von Projekt 1 zeigten Mediziner:innen höhere Kenntnisraten beider Leitlinien als psychosoziale Therapeut:innen und Pflegekräfte und zugleich höhere Anwendungsraten beider Leitlinien als Psycholog:innen/Psychotherapeut:innen und Pflegekräfte. Keine Unterschiede konnten hinsichtlich verhaltensbezogener Barrieren (z. B. lange Versionen) identifiziert werden. Deutliche Differenzen zwischen den Professionen zeigten sich hingegen bzgl. wissensbasierter Barrieren – Mediziner:innen gaben an, diesen in geringerem Ausmaß exponiert zu sein als sämtliche Vergleichsberufsgruppen. Während ausgeprägte professionsbezogene Differenzen in der Leitlinienimplementierung identifiziert wurden, konnten im Rahmen von Projekt 2 keine migrationsspezifischen Unterschiede in der Inanspruchnahme von Leistungen sowie im Hinblick auf (un-)erfüllte Behandlungsbedarfe in der psychischen Gesundheitsversorgung ermittelt werden. Nichtsdestotrotz gaben Menschen mit Migrationshintergrund an, insgesamt zufriedener mit der im Vorjahr erhaltenen psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung zu sein. Diese erhöhte Zufriedenheit – trotz ähnlichen Ausmaßes an erhaltenen Leistungen sowie erfüllten Behandlungsbedarfen – deutet auf eine Überschätzung der Zufriedenheit (z. B. aufgrund suboptimaler Erfahrungen im Herkunftsland) und damit auf die Gefahr der Vernachlässigung von Menschen mit Migrationshintergrund der in psychischen Gesundheitsversorgung hin. Insgesamt implizieren die vorliegenden Ergebnisse, die Profession (von Behandler:innen) sowie den Migrationshintergrund (von Patient:innen) als mögliche Barrieren bei der Leitlinienimplementierung zu betrachten. Um Diskrepanzen bei der Umsetzung von Leitlinienempfehlungen und dem Erhalt leitliniengerechter Behandlungsmethoden zu verhindern, sollten zielgerichtete, d.h. professions- und patientenspezifische Implementierungsstrategien in Betracht gezogen werden. Insbesondere bei der Behandlung von Migrant:innen der ersten Generation kann sowohl eine kultursensible Therapie unter Berücksichtigung individueller Bedürfnisse, als auch die Förderung des Patient Empowerments die Leitlinienimplementierung unterstützen. Des Weiteren sollten wissensbasierte Implementierungsstrategien (z. B. Optimierung der Leitlinienkompetenz durch Behandlerschulungen) in Erwägung gezogen werden, um die Differenzen in der Leitlinienimplementierung zwischen den Professionen der Behandelnden zu verringern.

Abstract

The implementation of evidence- and consensus-based guidelines in mental healthcare is a major challenge, not least due to a multifaceted and heterogeneous clinician and patient collective. Therefore, the present doctoral dissertation has drawn special attention to specific groups of patients and clinicians, which have been neglected in previous implementation studies. The purpose of the dissertation, which consists of two original papers, was to address the following overarching question: What profession- and patient-specific factors influence the implementation of clinical guidelines in the context of a heterogeneous clinician and patient collective? Project 1, dedicated to the clinician collective, focused on the perspective of all key stakeholders in mental healthcare. In this context, the implementation status and implementation barriers of the current German evidence- and consensus-based guidelines for schizophrenia and psychosocial therapies (as of 2022) were investigated from the perspective of medical doctors, psychologists/psychotherapists, care givers, and psychosocial therapists (Project 1). In addition to profession-specific barriers, the perspective of the patient collective was taken, and patient-related barriers were investigated (Project 2). More specifically, Project 2 focused on patients with migration background as they seem to be disadvantaged in terms of quantity and quality in mental healthcare. Thus, an analysis of the following aspects was conducted: the use of supply services, treatment needs, and treatment satisfaction of people with vs. without migration background. In total, 657 mental healthcare professionals (Project 1) and 387 patients with severe mental illness (Project 2) were included. In the context of Project 1, medical doctors showed higher awareness rates of both guidelines than psychosocial therapists and care givers as well as higher adherence rates of both guidelines than psychologists/psychotherapists and care givers. Moreover, regarding behavior-related barriers (e.g., long versions), no differences across professions were identified. However, significant differences between professions were found with respect to knowledge-related barriers – medical doctors were less exposed to knowledge-related barriers than the reference groups. While profession-related differences in guideline implementation were identified in Project 1, Project 2 did not identify any migration-specific differences in service utilization or (un)met treatment needs in mental healthcare. Nevertheless, migrant participants showed a higher overall satisfaction with mental healthcare received in the previous year. This increased satisfaction – despite similar levels of services received as well as met/unmet treatment needs – indicates an overestimation of satisfaction (e.g., due to suboptimal experiences in the country of origin) and thus the risk to overlook the needs of patients with migration background in mental healthcare. In conclusion, the present findings imply to consider the clinician’s profession, as well as migration-related factors of patients as potential barriers in guideline implementation. To prevent discrepancies in guideline implementation as well as in the provision of guideline-based treatment methods, target-specific implementation strategies should be considered. Especially in the treatment of first-generation migrants, a culturally sensitive treatment setting, focusing on individual needs and patient empowerment, may enhance guideline implementation. Furthermore, the application of knowledge-related implementation strategies (e.g., guideline workshops) should be considered to reduce the gap in guideline implementation between mental healthcare professionals.