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Herausforderungen im ambulanten Suchthilfesystem. Kohorten-, Perioden- und Alterseffekte der Inanspruchnahme unter besonderer Berücksichtigung der „Babyboomer“-Generation
Herausforderungen im ambulanten Suchthilfesystem. Kohorten-, Perioden- und Alterseffekte der Inanspruchnahme unter besonderer Berücksichtigung der „Babyboomer“-Generation
Hintergrund: Um die Public Health Last, die durch den Konsum psychotroper Substanzen entsteht, zu verringern, ist neben (universeller und indizierter) Prävention eine adäquate Betreuung und Behandlung von Menschen mit bereits verfestigten Konsumproblemen entscheidend. Hierbei nimmt das ambulante Suchthilfesystem eine wichtige Rolle ein. Um Trends bezüglich der Inanspruchnahme ambulanter Suchthilfe-leistungen besser zu verstehen und die zu Grunde liegenden Entwicklungen erkennen zu können, ist eine Aufschlüsselung dieser Trends in die zugrunde liegenden Alters-, Perioden- und Kohorteneffekte erforderlich. Dies trägt zur bedarfsgerechten Weiter-entwicklung der bestehenden Versorgungsangebote bei. In diesem Zusammenhang stellt das Altern der Kohorte der Babyboomer das Suchthilfesystem annahmegemäß vor neue Herausforderungen, denn diese erlebten eine konsumfreudige Sozialisierung im Hinblick auf psychoaktive Substanzen und bilden heute aufgrund ihrer Kohortengröße eine wichtige Gruppe im Suchthilfesystem. Ziele: Die vorliegende Dissertation verfolgt das übergeordnete Ziel, Alters-, Perioden- und Kohorteneffekte hinsichtlich der Inanspruchnahme ambulanter Suchthilfeleistungen unter besonderer Berücksichtigung der Kohorte der Babyboomer zu untersuchen. Hierfür werden die folgenden beiden untergeordneten Ziele in jeweils einem englisch-sprachigen Fachartikel adressiert: 1.) Eine Identifikation spezifischer Charakteristika der Babyboomer hinsichtlich des primären Betreuungsanlasses sowie substanzbezogener Komorbidität im Vergleich zu einer früher und später geborenen Kohorte 2.) Eine Aufschlüsselung der voneinander unabhängigen Alters-, Perioden- und Kohorteneffekte in der Entwicklung der Inanspruchnahme von ambulanten Suchthilfeleistungen aufgrund von Störungen durch den Konsum von Alkohol und illegalen Substanzen Methodik: Beide Untersuchungen werden mit Daten der ambulanten Berliner Suchthilfestatistik durchgeführt, die ein querschnittlich angelegtes Monitoringsystem darstellt. Die Dokumentation der Daten erfolgt anhand des bundesweit einheitlich eingesetzten Deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation in der Suchtkrankenhilfe (KDS) durch die Betreuenden. Der Erhebungszeitraum umfasst jeweils die Periode zwischen 2008 und 2016, da in dieser Zeit dieselbe Version des KDS Anwendung fand. Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage werden die Babyboomer jeweils mit einer früheren (Substichprobe 1: N = 6.524) und einer späteren Kohorte (Substichprobe 2: N = 15 .677) in den sich überschneidenden Altersgruppen verglichen. Zur Analyse der zweiten Forschungsfrage wird ausgehend von der Anzahl betreuter Personen mit Störungen durch den Konsum von Alkohol (n = 46.706, 18-81 Jahre) bzw. illegalen Substanzen (n = 51.113, 18-70 Jahre) und Informationen zur Berliner Wohnbevölkerung (n = 25.297.254 für 18-81-Jährige bzw. n = 22.378.614 für 18-70-Jährige) eine Inanspruchnahmerate für ambulante Suchthilfeleistungen ermittelt und bezüglich der Alters-, Perioden- und Kohorteneffekte analysiert. Ergebnisse: Die erste Publikation hat die nachfolgenden Unterschiede zwischen den Babyboomern und den beiden Vergleichskohorten herausgearbeitet. Störungen durch den Konsum von Alkohol sind bei den Babyboomern von geringerer Bedeutung als in der früheren Kohorte, während Störungen durch den Konsum illegaler Substanzen größere Relevanz besitzen. Babyboomer weisen zudem eine höhere Anzahl komorbider Störungen durch den Konsum psychotroper Substanzen auf als die frühere Kohorte. Im Vergleich zur späteren Kohorte zeigen die Unterschiede jeweils in die entgegengesetzte Richtung. Die zweite Publikation belegt, dass Periodeneffekte im Vergleich zu Alters- und Kohorteneffekten relativ gering ausfallen. Die höchsten Inanspruchnahmeraten bei Störungen durch den Konsum von Alkohol finden sich bei 18- bis 19-Jährigen sowie bei 39- bis 59-Jährigen, wohingegen die Inanspruchnahmerate bei Störungen durch den Konsum illegaler Substanzen mit zunehmendem Alter abnimmt. In den Geburtskohorten von 1951 bis 1986 ist die Inanspruchnahmerate bei Störungen durch den Konsum von Alkohol höher als in den anderen Geburtskohorten. Bei Störungen durch den Konsum illegaler Substanzen nimmt die Inanspruchnahmerate in den Geburtskohorten zwischen 1954 und 1973 zunächst zu und danach in derselben Größenordnung wieder ab. Schlussfolgerungen: Das ambulante Suchthilfesystem steht vor einem anhaltenden Wandel hin zu mehr Störungen durch den Konsum illegaler Substanzen und komorbider Störungen durch den Konsum psychotroper Substanzen. Mit der steigenden Lebenserwartung und der Alterung der Babyboomer wird die Klientel in höheren Altersgruppen, die bisher in der ambulanten Suchthilfe unterrepräsentiert war, weiter an Relevanz gewinnen. Dies erfordert eine Anpassung der Angebote der ambulanten Suchthilfe an die Bedürfnisse der genannten Gruppen. Der Anstieg der Inanspruch-nahmerate bei Störungen durch den Konsum von Alkohol insbesondere im mittleren Lebensalter legt nahe, dass der Störungsbeginn der Hilfesuchenden schon einige Jahre zurückliegt. Um eine Verstetigung und Intensivierung der Störungen durch den Konsum von Alkohol über längere Zeiträume hinweg zu vermeiden, sollte daher die Hilfeinanspruchnahme in frühen Phasen der Abhängigkeitsentwicklung gezielt gefördert werden. Die deutlich erhöhten Inanspruchnahmeraten in der Kohorte der Babyboomer und den darauffolgenden Geburtskohorten legen nahe, dass ein erhöhter Substanzmissbrauch im Jugend- und jungen Erwachsenenalter zu einer erhöhten Nachfrage an Suchthilfeleistungen im höheren Alter führt und unterstreichen die steigende Nachfrage an Suchthilfeleistungen.
alcohol treatment, drug treatment, addiction treatment, substance abuse treatment, addiction care, addiction counseling, substance use disorder, alcohol use disorder, illicit substances use disorder, comorbid substance use disorders, cohort effect, baby boomers, APC analyses, trends
Specht, Sara
2023
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Specht, Sara (2023): Herausforderungen im ambulanten Suchthilfesystem: Kohorten-, Perioden- und Alterseffekte der Inanspruchnahme unter besonderer Berücksichtigung der „Babyboomer“-Generation. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Hintergrund: Um die Public Health Last, die durch den Konsum psychotroper Substanzen entsteht, zu verringern, ist neben (universeller und indizierter) Prävention eine adäquate Betreuung und Behandlung von Menschen mit bereits verfestigten Konsumproblemen entscheidend. Hierbei nimmt das ambulante Suchthilfesystem eine wichtige Rolle ein. Um Trends bezüglich der Inanspruchnahme ambulanter Suchthilfe-leistungen besser zu verstehen und die zu Grunde liegenden Entwicklungen erkennen zu können, ist eine Aufschlüsselung dieser Trends in die zugrunde liegenden Alters-, Perioden- und Kohorteneffekte erforderlich. Dies trägt zur bedarfsgerechten Weiter-entwicklung der bestehenden Versorgungsangebote bei. In diesem Zusammenhang stellt das Altern der Kohorte der Babyboomer das Suchthilfesystem annahmegemäß vor neue Herausforderungen, denn diese erlebten eine konsumfreudige Sozialisierung im Hinblick auf psychoaktive Substanzen und bilden heute aufgrund ihrer Kohortengröße eine wichtige Gruppe im Suchthilfesystem. Ziele: Die vorliegende Dissertation verfolgt das übergeordnete Ziel, Alters-, Perioden- und Kohorteneffekte hinsichtlich der Inanspruchnahme ambulanter Suchthilfeleistungen unter besonderer Berücksichtigung der Kohorte der Babyboomer zu untersuchen. Hierfür werden die folgenden beiden untergeordneten Ziele in jeweils einem englisch-sprachigen Fachartikel adressiert: 1.) Eine Identifikation spezifischer Charakteristika der Babyboomer hinsichtlich des primären Betreuungsanlasses sowie substanzbezogener Komorbidität im Vergleich zu einer früher und später geborenen Kohorte 2.) Eine Aufschlüsselung der voneinander unabhängigen Alters-, Perioden- und Kohorteneffekte in der Entwicklung der Inanspruchnahme von ambulanten Suchthilfeleistungen aufgrund von Störungen durch den Konsum von Alkohol und illegalen Substanzen Methodik: Beide Untersuchungen werden mit Daten der ambulanten Berliner Suchthilfestatistik durchgeführt, die ein querschnittlich angelegtes Monitoringsystem darstellt. Die Dokumentation der Daten erfolgt anhand des bundesweit einheitlich eingesetzten Deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation in der Suchtkrankenhilfe (KDS) durch die Betreuenden. Der Erhebungszeitraum umfasst jeweils die Periode zwischen 2008 und 2016, da in dieser Zeit dieselbe Version des KDS Anwendung fand. Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage werden die Babyboomer jeweils mit einer früheren (Substichprobe 1: N = 6.524) und einer späteren Kohorte (Substichprobe 2: N = 15 .677) in den sich überschneidenden Altersgruppen verglichen. Zur Analyse der zweiten Forschungsfrage wird ausgehend von der Anzahl betreuter Personen mit Störungen durch den Konsum von Alkohol (n = 46.706, 18-81 Jahre) bzw. illegalen Substanzen (n = 51.113, 18-70 Jahre) und Informationen zur Berliner Wohnbevölkerung (n = 25.297.254 für 18-81-Jährige bzw. n = 22.378.614 für 18-70-Jährige) eine Inanspruchnahmerate für ambulante Suchthilfeleistungen ermittelt und bezüglich der Alters-, Perioden- und Kohorteneffekte analysiert. Ergebnisse: Die erste Publikation hat die nachfolgenden Unterschiede zwischen den Babyboomern und den beiden Vergleichskohorten herausgearbeitet. Störungen durch den Konsum von Alkohol sind bei den Babyboomern von geringerer Bedeutung als in der früheren Kohorte, während Störungen durch den Konsum illegaler Substanzen größere Relevanz besitzen. Babyboomer weisen zudem eine höhere Anzahl komorbider Störungen durch den Konsum psychotroper Substanzen auf als die frühere Kohorte. Im Vergleich zur späteren Kohorte zeigen die Unterschiede jeweils in die entgegengesetzte Richtung. Die zweite Publikation belegt, dass Periodeneffekte im Vergleich zu Alters- und Kohorteneffekten relativ gering ausfallen. Die höchsten Inanspruchnahmeraten bei Störungen durch den Konsum von Alkohol finden sich bei 18- bis 19-Jährigen sowie bei 39- bis 59-Jährigen, wohingegen die Inanspruchnahmerate bei Störungen durch den Konsum illegaler Substanzen mit zunehmendem Alter abnimmt. In den Geburtskohorten von 1951 bis 1986 ist die Inanspruchnahmerate bei Störungen durch den Konsum von Alkohol höher als in den anderen Geburtskohorten. Bei Störungen durch den Konsum illegaler Substanzen nimmt die Inanspruchnahmerate in den Geburtskohorten zwischen 1954 und 1973 zunächst zu und danach in derselben Größenordnung wieder ab. Schlussfolgerungen: Das ambulante Suchthilfesystem steht vor einem anhaltenden Wandel hin zu mehr Störungen durch den Konsum illegaler Substanzen und komorbider Störungen durch den Konsum psychotroper Substanzen. Mit der steigenden Lebenserwartung und der Alterung der Babyboomer wird die Klientel in höheren Altersgruppen, die bisher in der ambulanten Suchthilfe unterrepräsentiert war, weiter an Relevanz gewinnen. Dies erfordert eine Anpassung der Angebote der ambulanten Suchthilfe an die Bedürfnisse der genannten Gruppen. Der Anstieg der Inanspruch-nahmerate bei Störungen durch den Konsum von Alkohol insbesondere im mittleren Lebensalter legt nahe, dass der Störungsbeginn der Hilfesuchenden schon einige Jahre zurückliegt. Um eine Verstetigung und Intensivierung der Störungen durch den Konsum von Alkohol über längere Zeiträume hinweg zu vermeiden, sollte daher die Hilfeinanspruchnahme in frühen Phasen der Abhängigkeitsentwicklung gezielt gefördert werden. Die deutlich erhöhten Inanspruchnahmeraten in der Kohorte der Babyboomer und den darauffolgenden Geburtskohorten legen nahe, dass ein erhöhter Substanzmissbrauch im Jugend- und jungen Erwachsenenalter zu einer erhöhten Nachfrage an Suchthilfeleistungen im höheren Alter führt und unterstreichen die steigende Nachfrage an Suchthilfeleistungen.