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Pharmazeutische Betreuung in der Geriatrie: Effekte auf die Verordnungsqualität
Pharmazeutische Betreuung in der Geriatrie: Effekte auf die Verordnungsqualität
Einleitung Viele geriatrische Patienten leiden unter Multimorbidität und benötigen demzufolge auch Polypharmazie. Deshalb sollte der Einsatz von Medikamenten sorgfältig abgewogen werden. Wir führten ein systematisches Literaturreview über die Studienlage zum Effekt von pharmazeutischen Interventionen auf geriatrische Patienten, ihre Medikamente sowie die Gesundheitskosten in Krankenhäusern in Europa durch. Basierend auf diesem Literaturreview entwickelten wir eine Intervention und untersuchten den Effekt eines Stationsapothekers auf die Verordnungsqualität von geriatrischen Patienten in einem deutschen Universitätsklinikum. Außerdem entwickelten wir einen Score für anticholinerge Belastung (ACB) von Arzneimitteln, die in Deutschland zugelassen sind, damit dieser von Ärzten beim Verordnen verwendet werden kann. Methoden Für das Literaturreview schlossen wir alle Studien über pharmazeutische Interventionen bei stationären, geriatrischen Patienten (65 Jahre und älter) in Europa seit 2001 ein. Die anschließende Vorher-Nachher-Studie mit historischer Kontrollgruppe wurde auf der akutgeriatrischen Station des LMU Klinikums durchgeführt. Die Intervention war eine klinische Apothekerin, die eine pharmazeutische Betreuung der Patienten von der Aufnahme auf bis zur Entlassung von der akutgeriatrischen Station leistete. Die Verordnungsqualität wurde bei Aufnahme und Entlassung mit Hilfe des Medication Appropriateness Index (MAI) gemessen. Zur Bewertung des Einflusses der Intervention auf den MAI wurde eine lineare Regressionsanalyse sowohl unadjustiert als auch adjustiert nach anderen Variablen wie Alter, Geschlecht, Komorbiditäten und Anzahl von Medikamenten bei Aufnahme durchgeführt. Für den ACB Score wurde eine systematische Literaturrecherche in PubMed durchgeführt, die bereits veröffentlichte ACB Instrumente ermittelte. Quantitative Scores wurden extrahiert, auf in Deutschland erhältliche Arzneimittel reduziert und mit Hilfe von Expertendiskussion reevaluiert. Arzneimittel wurden nach keinen, leichten, mittleren und starken anticholinergen Effekten eingestuft. Ergebnisse Nach der Datenbank- und der manuellen Suche wurden 21 Veröffentlichungen aus sieben europäischen Ländern in das systematische Literaturreview eingeschlossen, unter anderem Studien aus Belgien, Dänemark, England, Irland, den Niederlanden, Schweden und Spanien. Sie zeigen, dass pharmazeutische Betreuung auf Krankenhausstationen zu besserer Verordnungsqualität führt und Folgeprobleme wie arzneimittelbezogene Wiedereinweisungen reduzieren kann. In der Interventionsstudie waren Patienten in der Interventionsgruppe (n = 152, im Durchschnitt 83 Jahre und 8 Arzneimittel) älter und nahmen mehr Arzneimittel als Patienten in der Kontrollgruppe (n = 159, im Durchschnitt 81 Jahre und 7 Arzneimittel). In beiden Gruppen verbesserte sich der durchschnittliche MAI pro Patient von Aufnahme zu Entlassung. Obwohl die Intervention den Gesamt-MAI pro Patient nicht signifikant beeinflusste, reduzierte die Intervention den Anteil an inadäquat bewerteten Verordnungszeilen für die MAI Kriterien Dosierung (p = 0,006), Korrekte Anweisungen (p = 0,016) und Praktikable Anweisungen (p = 0,004) signifikant. Ebenso reduzierte die Intervention den Anteil an Verordnungszeilen mit inadäquaten MAI Bewertungen (mindestens eins von neun Kriterien inadäquat) signifikant (p = 0,015). Beim Vergleich der Kontroll- und der Interventionsgruppe mittels multipler Regression bestätigen die angepassten Modelle die Ergebnisse des unangepassten Modells. Für den ACB Score wurden 504 Arzneimittel beurteilt. Davon wurden 353 mit keinen, 104 Arzneimittel mit leichten, 18 mit mittleren und 29 mit starken anticholinergen Effekten eingestuft. Diskussion Das systematische Literaturreview zeigt, dass Stationsapotheker die Verordnungsqualität, die nahtlose Versorgung und die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) für geriatrische Patienten verbessern und gleichzeitig kosteneffektiv sein können. Obwohl in der Interventionsstudie kein signifikanter Effekt der Intervention auf den Gesamt-MAI pro Patient gezeigt werden konnte, verbesserte die pharmazeutische Betreuung auf Station den Anteil an Verordnungszeilen mit inadäquaten Bewertungen für die MAI Kriterien für Dosierung, korrekte und praktikable Anweisungen signifikant. Ebenso reduzierte die Intervention den Anteil an Verordnungszeilen mit inadäquaten MAI Bewertungen (mindestens eins von neun Kriterien inadäquat) signifikant. Der neu entwickelte ACB Score für Arzneimittel in Deutschland kann im klinischen Alltag verwendet werden, um potenziell unangemessene Arzneimittel für ältere Patienten zu reduzieren.
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Kiesel, Esther
2021
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Kiesel, Esther (2021): Pharmazeutische Betreuung in der Geriatrie: Effekte auf die Verordnungsqualität. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Einleitung Viele geriatrische Patienten leiden unter Multimorbidität und benötigen demzufolge auch Polypharmazie. Deshalb sollte der Einsatz von Medikamenten sorgfältig abgewogen werden. Wir führten ein systematisches Literaturreview über die Studienlage zum Effekt von pharmazeutischen Interventionen auf geriatrische Patienten, ihre Medikamente sowie die Gesundheitskosten in Krankenhäusern in Europa durch. Basierend auf diesem Literaturreview entwickelten wir eine Intervention und untersuchten den Effekt eines Stationsapothekers auf die Verordnungsqualität von geriatrischen Patienten in einem deutschen Universitätsklinikum. Außerdem entwickelten wir einen Score für anticholinerge Belastung (ACB) von Arzneimitteln, die in Deutschland zugelassen sind, damit dieser von Ärzten beim Verordnen verwendet werden kann. Methoden Für das Literaturreview schlossen wir alle Studien über pharmazeutische Interventionen bei stationären, geriatrischen Patienten (65 Jahre und älter) in Europa seit 2001 ein. Die anschließende Vorher-Nachher-Studie mit historischer Kontrollgruppe wurde auf der akutgeriatrischen Station des LMU Klinikums durchgeführt. Die Intervention war eine klinische Apothekerin, die eine pharmazeutische Betreuung der Patienten von der Aufnahme auf bis zur Entlassung von der akutgeriatrischen Station leistete. Die Verordnungsqualität wurde bei Aufnahme und Entlassung mit Hilfe des Medication Appropriateness Index (MAI) gemessen. Zur Bewertung des Einflusses der Intervention auf den MAI wurde eine lineare Regressionsanalyse sowohl unadjustiert als auch adjustiert nach anderen Variablen wie Alter, Geschlecht, Komorbiditäten und Anzahl von Medikamenten bei Aufnahme durchgeführt. Für den ACB Score wurde eine systematische Literaturrecherche in PubMed durchgeführt, die bereits veröffentlichte ACB Instrumente ermittelte. Quantitative Scores wurden extrahiert, auf in Deutschland erhältliche Arzneimittel reduziert und mit Hilfe von Expertendiskussion reevaluiert. Arzneimittel wurden nach keinen, leichten, mittleren und starken anticholinergen Effekten eingestuft. Ergebnisse Nach der Datenbank- und der manuellen Suche wurden 21 Veröffentlichungen aus sieben europäischen Ländern in das systematische Literaturreview eingeschlossen, unter anderem Studien aus Belgien, Dänemark, England, Irland, den Niederlanden, Schweden und Spanien. Sie zeigen, dass pharmazeutische Betreuung auf Krankenhausstationen zu besserer Verordnungsqualität führt und Folgeprobleme wie arzneimittelbezogene Wiedereinweisungen reduzieren kann. In der Interventionsstudie waren Patienten in der Interventionsgruppe (n = 152, im Durchschnitt 83 Jahre und 8 Arzneimittel) älter und nahmen mehr Arzneimittel als Patienten in der Kontrollgruppe (n = 159, im Durchschnitt 81 Jahre und 7 Arzneimittel). In beiden Gruppen verbesserte sich der durchschnittliche MAI pro Patient von Aufnahme zu Entlassung. Obwohl die Intervention den Gesamt-MAI pro Patient nicht signifikant beeinflusste, reduzierte die Intervention den Anteil an inadäquat bewerteten Verordnungszeilen für die MAI Kriterien Dosierung (p = 0,006), Korrekte Anweisungen (p = 0,016) und Praktikable Anweisungen (p = 0,004) signifikant. Ebenso reduzierte die Intervention den Anteil an Verordnungszeilen mit inadäquaten MAI Bewertungen (mindestens eins von neun Kriterien inadäquat) signifikant (p = 0,015). Beim Vergleich der Kontroll- und der Interventionsgruppe mittels multipler Regression bestätigen die angepassten Modelle die Ergebnisse des unangepassten Modells. Für den ACB Score wurden 504 Arzneimittel beurteilt. Davon wurden 353 mit keinen, 104 Arzneimittel mit leichten, 18 mit mittleren und 29 mit starken anticholinergen Effekten eingestuft. Diskussion Das systematische Literaturreview zeigt, dass Stationsapotheker die Verordnungsqualität, die nahtlose Versorgung und die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) für geriatrische Patienten verbessern und gleichzeitig kosteneffektiv sein können. Obwohl in der Interventionsstudie kein signifikanter Effekt der Intervention auf den Gesamt-MAI pro Patient gezeigt werden konnte, verbesserte die pharmazeutische Betreuung auf Station den Anteil an Verordnungszeilen mit inadäquaten Bewertungen für die MAI Kriterien für Dosierung, korrekte und praktikable Anweisungen signifikant. Ebenso reduzierte die Intervention den Anteil an Verordnungszeilen mit inadäquaten MAI Bewertungen (mindestens eins von neun Kriterien inadäquat) signifikant. Der neu entwickelte ACB Score für Arzneimittel in Deutschland kann im klinischen Alltag verwendet werden, um potenziell unangemessene Arzneimittel für ältere Patienten zu reduzieren.