Logo Logo
Help
Contact
Switch language to German
Studie zur Zahngesundheit Strafgefangener am Beispiel einer Justizvollzugsanstalt in Unterfranken
Studie zur Zahngesundheit Strafgefangener am Beispiel einer Justizvollzugsanstalt in Unterfranken
Das Ziel der vorliegenden Studie war es, repräsentative Daten zur Mundgesundheit und zur zahnärztlichen Versorgung von Gefangenen im Strafvollzug zu ermitteln und zu analysieren. Für die vorliegende Studie wurden dankenswerterweise alle aktuellen zahnärztlichen Karteikarteneinträgen von 263 Gefangenen einer Justizvollzugsanstalt in Unterfranken in anonymisierter Kopie zur Verfügung gestellt. Stichtag war der 29. April 2019. Verpflichtende zahnärztliche Eingangsuntersuchungen bei Haftantritt gibt es nicht. Ein Gefangener entscheidet selbst, ob er zum Zahnarzt geht und ein Befund wird erst dann erhoben, wenn auch eine Behandlung stattfindet. Dies war bei 236 Datensätzen der Fall. Die gewählte Stichprobe zeigt eine sehr ähnliche Altersverteilung wie sie für die Gesamtzahl der Inhaftierten in Deutschland angegeben wird. Ähnliches gilt für die Höhe des „Ausländeranteils“. Im Ergebnis der Auswertung zeigte sich ein Phänomen, das bei Menschen auftritt, die selten zum Zahnarzt gehen. Die Altersgruppe der Häftlinge, die sich mit einer Gruppe der deutschlandweit repräsentativen aktuellen Deutschen Mundgesundheitsstudie vergleichen lässt („jüngere Erwachsene“; 35 bis 44 Jahre), zeigt einen deutlich kleineren mittleren DMFT-Wert (9,8) als die Gruppe der „extramuralen“ Bevölkerung (11,2). Dafür ist der festgestellte Behandlungsbedarf dann aber sehr hoch. Das Interesse, einen festgestellten Behandlungsbedarf tatsächlich mit dem Ziel einer vollständigen Sanierung abzuarbeiten, ist bei den Häftlingen gering ausgeprägt, besonders gering bei älteren Häftlingen. Wenn behandelt wird, dann in allen Altersgruppen nur etwa die Hälfte dessen, was eigentlich nötig wäre. Die Quote der vollständigen „Behandlungsverweigerer“ ist in allen Altersgruppen groß und betrifft jeden 9ten bis 7ten Strafgefangenen. Das gesamte Bild bestätigt die Vermutungen, die man aus den wenigen Berichten zur Gefängniszahnmedizin gewinnen kann. Häftlinge haben oft noch ein altes Bild von der Zahnmedizin: Ich gehe, wenn es weh tut und warte dann ab bis es wieder weh tut. Dieses Bild bestätigt sich auch bei der Ausprägung der präventiven Zahnmedizin im Gefängnis. Zahnstein wird zwar sehr oft diagnostiziert, aber nur in einem Drittel dieser Fälle entfernt. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass das geringe Interesse und Verständnis der Häftlinge dafür verantwortlich ist. Dies scheint dann aber auch auf eine nicht ganz so präventions-orientierte Zahnmedizin im Gefängnis zu treffen, die Gingivitis und Parodontitis nur in einer völlig unglaubwürdig geringen Häufigkeit erkennen will. Hier mag sich jedoch auch eine Resignation gegenüber dem Desinteresse der Häftlinge ausdrücken. Der erste Impuls für die Zukunft wäre, eine verpflichtende zahnärztliche Untersuchung bei Haftantritt zu fordern. Der Appell an die Aufsichtsbehörden sollte darüberhinaus lauten, mehr Unterstützung für eine präventions-orientierte Zahnmedizin auch im Gefängnis zu bieten. Nicht unwahrscheinlich, dass damit ein Self-Empowerment entstünde, das über den Mund hinaus wirkt.
Not available
Wissmann, Elena
2021
German
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Wissmann, Elena (2021): Studie zur Zahngesundheit Strafgefangener am Beispiel einer Justizvollzugsanstalt in Unterfranken. Dissertation, LMU München: Faculty of Medicine
[thumbnail of Wissmann_Elena.pdf]
Preview
PDF
Wissmann_Elena.pdf

8MB

Abstract

Das Ziel der vorliegenden Studie war es, repräsentative Daten zur Mundgesundheit und zur zahnärztlichen Versorgung von Gefangenen im Strafvollzug zu ermitteln und zu analysieren. Für die vorliegende Studie wurden dankenswerterweise alle aktuellen zahnärztlichen Karteikarteneinträgen von 263 Gefangenen einer Justizvollzugsanstalt in Unterfranken in anonymisierter Kopie zur Verfügung gestellt. Stichtag war der 29. April 2019. Verpflichtende zahnärztliche Eingangsuntersuchungen bei Haftantritt gibt es nicht. Ein Gefangener entscheidet selbst, ob er zum Zahnarzt geht und ein Befund wird erst dann erhoben, wenn auch eine Behandlung stattfindet. Dies war bei 236 Datensätzen der Fall. Die gewählte Stichprobe zeigt eine sehr ähnliche Altersverteilung wie sie für die Gesamtzahl der Inhaftierten in Deutschland angegeben wird. Ähnliches gilt für die Höhe des „Ausländeranteils“. Im Ergebnis der Auswertung zeigte sich ein Phänomen, das bei Menschen auftritt, die selten zum Zahnarzt gehen. Die Altersgruppe der Häftlinge, die sich mit einer Gruppe der deutschlandweit repräsentativen aktuellen Deutschen Mundgesundheitsstudie vergleichen lässt („jüngere Erwachsene“; 35 bis 44 Jahre), zeigt einen deutlich kleineren mittleren DMFT-Wert (9,8) als die Gruppe der „extramuralen“ Bevölkerung (11,2). Dafür ist der festgestellte Behandlungsbedarf dann aber sehr hoch. Das Interesse, einen festgestellten Behandlungsbedarf tatsächlich mit dem Ziel einer vollständigen Sanierung abzuarbeiten, ist bei den Häftlingen gering ausgeprägt, besonders gering bei älteren Häftlingen. Wenn behandelt wird, dann in allen Altersgruppen nur etwa die Hälfte dessen, was eigentlich nötig wäre. Die Quote der vollständigen „Behandlungsverweigerer“ ist in allen Altersgruppen groß und betrifft jeden 9ten bis 7ten Strafgefangenen. Das gesamte Bild bestätigt die Vermutungen, die man aus den wenigen Berichten zur Gefängniszahnmedizin gewinnen kann. Häftlinge haben oft noch ein altes Bild von der Zahnmedizin: Ich gehe, wenn es weh tut und warte dann ab bis es wieder weh tut. Dieses Bild bestätigt sich auch bei der Ausprägung der präventiven Zahnmedizin im Gefängnis. Zahnstein wird zwar sehr oft diagnostiziert, aber nur in einem Drittel dieser Fälle entfernt. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, dass das geringe Interesse und Verständnis der Häftlinge dafür verantwortlich ist. Dies scheint dann aber auch auf eine nicht ganz so präventions-orientierte Zahnmedizin im Gefängnis zu treffen, die Gingivitis und Parodontitis nur in einer völlig unglaubwürdig geringen Häufigkeit erkennen will. Hier mag sich jedoch auch eine Resignation gegenüber dem Desinteresse der Häftlinge ausdrücken. Der erste Impuls für die Zukunft wäre, eine verpflichtende zahnärztliche Untersuchung bei Haftantritt zu fordern. Der Appell an die Aufsichtsbehörden sollte darüberhinaus lauten, mehr Unterstützung für eine präventions-orientierte Zahnmedizin auch im Gefängnis zu bieten. Nicht unwahrscheinlich, dass damit ein Self-Empowerment entstünde, das über den Mund hinaus wirkt.