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Konzeptualisierung und Pilot-Evaluation eines Psychoedukationsprogramms über Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen sowie Analyse von Persönlichkeitsfaktoren und Steroidhormonen bei Posttraumatischer Belastungsstörung
Konzeptualisierung und Pilot-Evaluation eines Psychoedukationsprogramms über Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen sowie Analyse von Persönlichkeitsfaktoren und Steroidhormonen bei Posttraumatischer Belastungsstörung
Einleitung. Persönlichkeitsmerkmale, -akzentuierungen und -störungen sind nachweislich mit der Diagnose, dem Schweregrad und dem Behandlungsverlauf psychischer Störungen, wie beispielsweise einer affektiven Störung, Angststörung oder Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) assoziiert. Persönlichkeitsstörungen gehen zudem häufig mit einem niedrigen allgemeinen Funktionsniveau, sowie einer niedrigen Lebensqualität einher. Psychoedukation stellt eine wichtige Komponente in der Behandlung psychischer Erkrankungen dar. In ihrem Rahmen werden Patienten über ihre Problematik und deren Entwicklung informiert und Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Psychoedukation über Persönlichkeitsstörungen wird jedoch nur selten durchgeführt und manualisierte Psychoedukationskonzepte existieren vor allem als störungsspezifische Ansätze für die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Für eine Psychoedukation, die unterschiedliche Persönlichkeitsstörungen aufgreift, ist in der deutschsprachigen Literatur bisher ein einziges Manual verfügbar, das aber ebenfalls nur sechs ausgewählte Persönlichkeitsstile und -störungen thematisiert. Zielsetzungen. Die Ziele der Arbeit sind deshalb, (1) ein genuin persönlichkeitskategorienübergreifendes Psychoedukationskonzept zu etablieren, das Patienten mit jeglicher Art einer Persönlichkeitsakzentuierung oder -störung angeboten werden kann, und (2) im Rahmen einer Pilot-Evaluation zu untersuchen, ob das Konzept von Patienten der Zielgruppe angenommen wird und diese subjektiv von einer Teilnahme profitieren. Da Persönlichkeitsakzentuierungen und -störungen neben unterschiedlichen anderen psychischen Störungen vorliegen können, ist es ein weiteres Ziel der Arbeit, zu einem besseren Verständnis der Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen im Rahmen einer PTBS – als eine exemplarische psychische Störung bei Teilnehmern des Psychoedukationsprogramms – beizutragen. Es wird deshalb (3) die Ausprägung der Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren bei PTBS-Patienten und deren Zusammenhang zum Symptomschweregrad, sowie zu Steroidhormonspiegeln als potenziell mit Persönlichkeitsmerkmalen assoziierte biologische Variablen untersucht. Studie 1 – Konzeptualisierung eines Psychoedukationsprogramms. Auf der Grundlage einer umfassenden Literaturrecherche und anhand des Intervention Mapping Approach als theorie- und evidenzgeleitetes Vorgehen wurde ein Manual für ein psychoedukatives Gruppentraining mit dem Titel Persönlichkeit entdecken! entwickelt. Die psychoedukativen Themen der insgesamt 14 Module sind so konzipiert, dass sie auf unterschiedliche, pathologische und nicht-pathologische Persönlichkeitsmerkmale bezogen werden können, und somit sowohl für Patienten mit unterschiedlichen Persönlichkeitsakzentuierungen und -störungen, als auch für eine Anwendung im Kontext neuer Persönlichkeitsstörungsklassifikationen im alternativen DSM-5-Modell für Persönlichkeitsstörungen und in der ICD-11 offen sind. Im Rahmen von Persönlichkeit entdecken! werden Patienten über das Thema Persönlichkeit und psychisches Befinden informiert und außerdem dazu angeregt, sich in Selbstreflexions- und Veränderungsübungen mit ihren individuellen funktionalen und dysfunktionalen Persönlichkeitsmerkmalen auseinanderzusetzen und sich mit anderen Patienten über die Thematik auszutauschen. Aufgrund des hohen Stigmatisierungspotenzials von Persönlichkeitsstörungen wurde explizit auf ein anti-stigmatisierendes, non-konfrontatives und ressourcenorientiertes Vorgehen geachtet. Das Training will über die Förderung von Einsicht in die eigene Person und Probleme, Kennenlernen von Bewältigungsstrategien und Motivation zur weiteren Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit bei den Patienten mittel- und langfristig eine Verbesserung von persönlichkeitsbedingten psychischen und Lebensproblemen erreichen. Studie 2 – Pilot-Evaluation des Psychoedukationsprogramms. Zur Beantwortung der Fragestellung, ob das neu konzipierte Psychoedukationskonzept von der Zielgruppe angenommen wird und Patienten subjektiv von einer Teilnahme profitieren, wurde eine quantitative Pilot-Evaluationsstudie durchgeführt. Die Stichprobe umfasste N = 158 ambulante, tagesklinische, offen-stationäre und geschützt-stationäre Patienten einer Akutpsychiatrie mit einer Persönlichkeitsakzentuierung oder -störung und unterschiedlichen anderen psychischen Störungen. Es wurden 661 Stundenbögen mit Einschätzungen der Patienten zu ihrem Profitieren von den Prozesszielen Einsicht in die eigene Person und Probleme, Kennenlernen von Bewältigungsstrategien und Motivation zur weiteren Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit herangezogen, die in insgesamt 78 Gruppensitzungen des psychoeduaktiven Gruppentrainings Persönlichkeit entdecken! erhoben wurden. Diese Daten eines beobachtenden Prozess-Monitorings im Ein-Gruppen-Messwiederholungs-Design wurden zusammen mit soziodemographischen Daten, klinischen Diagnosen, dem Schweregrad der depressiven Symptomatik (HAMD) und dem Nutzungsverhalten der Patienten retrospektiv aus den Krankenakten erfasst und ausgewertet. Es zeigte sich, dass das Training mit einer mittleren Teilnehmeranzahl von 8.47 Patienten pro Sitzung von der Zielgruppe prinzipiell genutzt und angenommen wurde. Die Patienten profitierten von den Prozesszielen, und dabei am stärksten hinsichtlich einer Motivationssteigerung zur weiteren Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit. Außerdem gewannen sie Einsicht in die eigene Person und Probleme, und lernten in geringerem Ausmaß auch neue Bewältigungsstrategien für ihre Schwierigkeiten kennen. Das Profitieren von den Prozesszielen in einer Gruppensitzung war – unter Kontrolle der jeweils anderen Variablen im Rahmen hierarchisch linearer Modelle – unabhängig von der Gruppengröße in den einzelnen Sitzungen, dem Geschlecht, dem Schweregrad depressiver Symptome, der Anzahl, und weitgehend auch der Art psychischer Diagnosen. Einen (tendenziell) signifikanten, negativen Einfluss auf das Profitieren von einzelnen der Prozessziele hatte die Diagnose einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, die Diagnose einer unipolar depressiven Störung, ein jüngeres Alter und ein niedriger Bildungsstand. Außerdem zeigten sich Unterschiede im Profitieren speziell von Einsicht und Bewältigung in Abhängigkeit von den Themenmodulen der einzelnen Sitzungen, und vom Themenmodul der Sitzung, die ein Patienten als erstes besuchte. Insgesamt schätzten die Patienten ihr Profitieren von allen drei Prozesszielen im späteren Verlauf ihrer Gruppenteilnahme signifikant höher ein als während ihres ersten Besuchs. Die Dropout-Rate lag bei 37.0 % – was im Rahmen von Vorbefunden zum Dropout aus Therapieangeboten für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen liegt – und war signifikant assoziiert mit einer höheren psychischen Komorbidität, der Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, einem schlechteren Befinden nach den einzelnen Gruppensitzungen und einem geringeren Profitieren von den Prozesszielen. Aus den Ergebnissen der Pilot-Evaluation wurden im Rahmen des Ausblicks der Dissertation Hinweise zur weiteren Anwendung und Optimierung des Psychoedukationsprogramms abgeleitet. Studie 3 – Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren und Steroidhormone bei Patienten mit PTBS. Zur Beantwortung der Fragestellung nach der Ausprägung von Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren bei Patienten mit einer PTBS und Zusammenhängen zu Steroidhormonspiegeln wurde eine Querschnittsdatenanalyse durchgeführt. Die Stichprobe bestand aus N = 68 Patienten (w/m: 56/12) mit der Diagnose einer PTBS nach DSM-IV-Kriterien. Es wurden retrospektiv erfasste Daten aus der Eingangsdiagnostik in einer Traumaambulanz analysiert, die eine Messung der Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren (NEO-FFI), des Schweregrads der PTBS (CAPS), verschiedener Traumacharakteristika, komorbider klinischer Diagnosen, des Schweregrads der depressiven Symptomatik (BDI), der generellen Ängstlichkeit (STAI) und morgendlicher, basaler Serumcortisol- und Serumtestosteronspiegel umfassten. Zum einen zeigten sich Zusammenhänge zwischen den Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren und der Diagnose einer PTBS. Neurotizismus war in der PTBS-Stichprobe überdurchschnittlich ausgeprägt, der mittlere T-Wert der PTBS-Patienten lag im Bereich oberhalb einer Standardabweichung um den Mittelwert alters- und geschlechtsspezifischer, nicht-klinischer Normstichproben. Der mittlere T-Wert für Extraversion der PTBS-Patienten lag an der unteren Grenze des Bereichs einer Standardabweichung um den Mittelwert der Normstichproben und war somit tendenziell unterdurchschnittlich ausgeprägt. Hinsichtlich Offenheit für neue Erfahrungen zeigte sich eine durchschnittliche Ausprägung mit einem mittleren T-Wert der PTBS-Patienten innerhalb des Bereichs einer Standardabweichung um den Mittelwert der Normstichproben, jedoch mit einer Tendenz zu einer Häufung niedriger Offenheitswerte. Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit waren in der PTBS-Stichprobe durchschnittlich ausgeprägt. Eine positive Assoziation zwischen einer PTBS-Diagnose und Neurotizismus stellt einen relativ stabilen Vorbefund dar, der sich hier bestätigte. Die hier gefundene, tendenziell negative Assoziation zu Extraversion bekräftigt die Tendenz einzelner Vorgängerstudien. Bezüglich Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit fanden bisherige Studien keine oder eine negative Assoziation zur Diagnose einer PTBS, sodass auch vor dem Hintergrund der hier vorliegenden Befunde stichprobenabhängige Zusammenhänge angenommen werden. Weiterhin zeigten sich Zusammenhänge zwischen den Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren und dem Schweregrad der PTBS. Höherer Neurotizismus, geringere Extraversion und geringere Verträglichkeit waren mit einem höheren Gesamtschweregrad der PTBS, und insbesondere einem höheren Schweregrad der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik (Cluster C-Symptomatik der PTBS im DSM-IV), sowie teilweise einer stärkeren Hyperarousalsymptomatik (Cluster D) assoziiert. Höhere Offenheit für Erfahrungen ging hingegen mit einer stärker ausgeprägten Wiedererlebenssymptomatik (Cluster B) einher. Gewissenhaftigkeit zeigte keine signifikanten Zusammenhänge zum Schweregrad der PTBS. In multiplen linearen Regressionsanalysen leistete Extraversion auch unter Berücksichtigung des Geschlechts, des Alters, der Art, der Dauer und des Zeitpunkts der Traumatisierung sowie anderer Persönlichkeitsfaktoren einen signifikanten Vorhersagebeitrag bezüglich des Schwergrads der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik. Extraversion stellte in diesem Modell den einzigen signifikanten Prädiktor dar und konnte auch die Zusammenhänge zwischen Neurotizismus sowie Verträglichkeit und der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik erklären. Dieser negative Zusammenhang zwischen Extraversion und der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik stellt einen bisher nicht in der Literatur vorbeschriebenen Befund dar. Darüber hinaus konnte nur der Zusammenhang zwischen der Wiedererlebenssymptomatik und Offenheit unter Kontrolle von Drittvariablen bestätigt werden. In einer zusätzlichen, geschlechtsspezifischen Auswertung in der Teilstichprobe der weiblichen PTBS-Patienten (n = 56) zeigte sich außerdem ein positiver Zusammenhang zwischen Verträglichkeit und der Wiedererlebenssymptomatik – auch unter Kontrolle von Drittvariablen. Während der positive Zusammenhang der Wiedererlebenssymptomatik zu Offenheit einzelne Vorbefunde bestätigt, stellt der positive Zusammenhang zu Verträglichkeit bei Frauen ein nicht vorbeschriebenes Ergebnis dar. In der hinsichtlich ihrer Cortisolspiegel analysierten Teilstichprobe von n = 21 weiblichen PTBS-Patienten korrelierte Neurotizismus signifikant positiv und Extraversion signifikant negativ mit dem morgendlichen, basalen Serumcortisolspiegel. Die Zusammenhänge bestätigten sich auch unter Kontrolle des Alters, konnten aber durch eine bei hohen Neurotizismus- und geringen Extraversionswerten stärker ausgeprägte Depressivität und höhere Trait-Angst erklärt werden. Die Ergebnisse haben Neuheitswert, da die Fragestellung nach Zusammenhängen zwischen Big-Five-Faktoren und dem basalen Cortisolspiegel bis dato nur in einer männlichen PTBS-Stichprobe untersucht wurde. In jener Studie zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Cortisol, der durch Extraversion negativ moduliert wurde. In der hinsichtlich ihrer Testosteronspiegel analysierten Teilstichprobe von n = 15 weiblichen PTBS-Patienten zeigte sich ein signifikanter, negativer Zusammenhang zwischen Offenheit für Erfahrungen und dem Testosteronspiegel, der sich auch unter Kontrolle des Alters, des Schweregrads depressiver Symptome, der Trait-Angst und der signifikant negativ mit dem Testosteronspiegel assoziierten Hyperarousalsymptomatik bestätigte. Dies stellt ebenfalls einen nicht vorbeschriebenen Befund dar, da Zusammenhänge zwischen den Big-Five-Faktoren und dem Testosteronspiegel bisher nicht bei PTBS-Patienten untersucht wurden. Konklusion. Zusammenfassend bietet die vorliegende Arbeit mit dem psychoedukativen Gruppentraining Persönlichkeit entdecken! ein neues, vielversprechendes Psychoedukationskonzept für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und -akzentuierungen, das der Pilot-Evaluation zufolge von Patienten einer akutpsychiatrischen Klinik angenommen wurde, und insbesondere einen Einsichtsgewinn und eine Motivationssteigerung zur weiteren Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit erreichen konnte. Somit kann das Training für einen Einsatz in der klinischen Praxis empfohlen und weiterführend hinsichtlich seiner mittel- und langfristigen Wirkungen evaluiert werden. Die Befunde über Zusammenhänge zwischen den Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren, der Diagnose und dem Schweregrad einer PTBS, sowie Cortisol- und Testosteronspiegeln leisten einen Beitrag in Richtung eines besseren Verständnisses der Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen im Rahmen einer PTBS. Während Neurotizismus bei den PTBS-Patienten im Vergleich zur nicht-klinischen Bevölkerung eindeutig erhöht war, stellte sich insbesondere Extraversion als potenzieller Schutzfaktor bezüglich der Diagnose und des Schweregrads einer PTBS und im Speziellen der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik heraus. Eine niedrige Offenheit für Erfahrungen – die bei den PTBS-Patienten im Vergleich zu nicht-klinischen Stichproben überzufällig häufig gefunden wurde – könnte möglicherweise als Schutzfaktor bezüglich stärkerem Wiedererleben gewirkt haben. Die Assoziationen zwischen Neurotizismus sowie Extraversion und dem Cortisolspiegel und zwischen Offenheit und dem Testosteronspiegel geben außerdem einen Hinweis auf eine hormonelle Grundlage persönlichkeitskonstituierender, psychischer Prozesse und deren spezifische Ausprägung speziell bei Patienten mit PTBS – als eine in Vorbefunden teilweise mit Abweichungen in den Steroidhormonspiegeln assoziierte psychische Störung. Potenzielle Mechanismen dieser Zusammenhänge werden diskutiert. Zukünftige Studien sollten die Generalisierbarkeit und die kausale Wirkrichtung sowie Mediatoren und Moderatoren der Zusammenhänge weiterführend untersuchen. Perspektivisch können die Erkenntnisse zur Entwicklung auf Persönlichkeitsmerkmale bezogener, präventiver und therapeutischer Interventionen für PTBS-Patienten genutzt werden, und darunter auch zu Gestaltung für PTBS-Patienten besonders relevanter Inhalte für das Persönlichkeit entdecken!-Training.
Persönlichkeit, Persönlichkeitsstörung, Psychoedukation, Posttraumatische Belastungsstörung, Steroidhormone
Wechsler, Theresa Friederike
2019
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Wechsler, Theresa Friederike (2019): Konzeptualisierung und Pilot-Evaluation eines Psychoedukationsprogramms über Persönlichkeit und Persönlichkeitsstörungen sowie Analyse von Persönlichkeitsfaktoren und Steroidhormonen bei Posttraumatischer Belastungsstörung. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Einleitung. Persönlichkeitsmerkmale, -akzentuierungen und -störungen sind nachweislich mit der Diagnose, dem Schweregrad und dem Behandlungsverlauf psychischer Störungen, wie beispielsweise einer affektiven Störung, Angststörung oder Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) assoziiert. Persönlichkeitsstörungen gehen zudem häufig mit einem niedrigen allgemeinen Funktionsniveau, sowie einer niedrigen Lebensqualität einher. Psychoedukation stellt eine wichtige Komponente in der Behandlung psychischer Erkrankungen dar. In ihrem Rahmen werden Patienten über ihre Problematik und deren Entwicklung informiert und Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Psychoedukation über Persönlichkeitsstörungen wird jedoch nur selten durchgeführt und manualisierte Psychoedukationskonzepte existieren vor allem als störungsspezifische Ansätze für die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Für eine Psychoedukation, die unterschiedliche Persönlichkeitsstörungen aufgreift, ist in der deutschsprachigen Literatur bisher ein einziges Manual verfügbar, das aber ebenfalls nur sechs ausgewählte Persönlichkeitsstile und -störungen thematisiert. Zielsetzungen. Die Ziele der Arbeit sind deshalb, (1) ein genuin persönlichkeitskategorienübergreifendes Psychoedukationskonzept zu etablieren, das Patienten mit jeglicher Art einer Persönlichkeitsakzentuierung oder -störung angeboten werden kann, und (2) im Rahmen einer Pilot-Evaluation zu untersuchen, ob das Konzept von Patienten der Zielgruppe angenommen wird und diese subjektiv von einer Teilnahme profitieren. Da Persönlichkeitsakzentuierungen und -störungen neben unterschiedlichen anderen psychischen Störungen vorliegen können, ist es ein weiteres Ziel der Arbeit, zu einem besseren Verständnis der Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen im Rahmen einer PTBS – als eine exemplarische psychische Störung bei Teilnehmern des Psychoedukationsprogramms – beizutragen. Es wird deshalb (3) die Ausprägung der Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren bei PTBS-Patienten und deren Zusammenhang zum Symptomschweregrad, sowie zu Steroidhormonspiegeln als potenziell mit Persönlichkeitsmerkmalen assoziierte biologische Variablen untersucht. Studie 1 – Konzeptualisierung eines Psychoedukationsprogramms. Auf der Grundlage einer umfassenden Literaturrecherche und anhand des Intervention Mapping Approach als theorie- und evidenzgeleitetes Vorgehen wurde ein Manual für ein psychoedukatives Gruppentraining mit dem Titel Persönlichkeit entdecken! entwickelt. Die psychoedukativen Themen der insgesamt 14 Module sind so konzipiert, dass sie auf unterschiedliche, pathologische und nicht-pathologische Persönlichkeitsmerkmale bezogen werden können, und somit sowohl für Patienten mit unterschiedlichen Persönlichkeitsakzentuierungen und -störungen, als auch für eine Anwendung im Kontext neuer Persönlichkeitsstörungsklassifikationen im alternativen DSM-5-Modell für Persönlichkeitsstörungen und in der ICD-11 offen sind. Im Rahmen von Persönlichkeit entdecken! werden Patienten über das Thema Persönlichkeit und psychisches Befinden informiert und außerdem dazu angeregt, sich in Selbstreflexions- und Veränderungsübungen mit ihren individuellen funktionalen und dysfunktionalen Persönlichkeitsmerkmalen auseinanderzusetzen und sich mit anderen Patienten über die Thematik auszutauschen. Aufgrund des hohen Stigmatisierungspotenzials von Persönlichkeitsstörungen wurde explizit auf ein anti-stigmatisierendes, non-konfrontatives und ressourcenorientiertes Vorgehen geachtet. Das Training will über die Förderung von Einsicht in die eigene Person und Probleme, Kennenlernen von Bewältigungsstrategien und Motivation zur weiteren Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit bei den Patienten mittel- und langfristig eine Verbesserung von persönlichkeitsbedingten psychischen und Lebensproblemen erreichen. Studie 2 – Pilot-Evaluation des Psychoedukationsprogramms. Zur Beantwortung der Fragestellung, ob das neu konzipierte Psychoedukationskonzept von der Zielgruppe angenommen wird und Patienten subjektiv von einer Teilnahme profitieren, wurde eine quantitative Pilot-Evaluationsstudie durchgeführt. Die Stichprobe umfasste N = 158 ambulante, tagesklinische, offen-stationäre und geschützt-stationäre Patienten einer Akutpsychiatrie mit einer Persönlichkeitsakzentuierung oder -störung und unterschiedlichen anderen psychischen Störungen. Es wurden 661 Stundenbögen mit Einschätzungen der Patienten zu ihrem Profitieren von den Prozesszielen Einsicht in die eigene Person und Probleme, Kennenlernen von Bewältigungsstrategien und Motivation zur weiteren Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit herangezogen, die in insgesamt 78 Gruppensitzungen des psychoeduaktiven Gruppentrainings Persönlichkeit entdecken! erhoben wurden. Diese Daten eines beobachtenden Prozess-Monitorings im Ein-Gruppen-Messwiederholungs-Design wurden zusammen mit soziodemographischen Daten, klinischen Diagnosen, dem Schweregrad der depressiven Symptomatik (HAMD) und dem Nutzungsverhalten der Patienten retrospektiv aus den Krankenakten erfasst und ausgewertet. Es zeigte sich, dass das Training mit einer mittleren Teilnehmeranzahl von 8.47 Patienten pro Sitzung von der Zielgruppe prinzipiell genutzt und angenommen wurde. Die Patienten profitierten von den Prozesszielen, und dabei am stärksten hinsichtlich einer Motivationssteigerung zur weiteren Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit. Außerdem gewannen sie Einsicht in die eigene Person und Probleme, und lernten in geringerem Ausmaß auch neue Bewältigungsstrategien für ihre Schwierigkeiten kennen. Das Profitieren von den Prozesszielen in einer Gruppensitzung war – unter Kontrolle der jeweils anderen Variablen im Rahmen hierarchisch linearer Modelle – unabhängig von der Gruppengröße in den einzelnen Sitzungen, dem Geschlecht, dem Schweregrad depressiver Symptome, der Anzahl, und weitgehend auch der Art psychischer Diagnosen. Einen (tendenziell) signifikanten, negativen Einfluss auf das Profitieren von einzelnen der Prozessziele hatte die Diagnose einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, die Diagnose einer unipolar depressiven Störung, ein jüngeres Alter und ein niedriger Bildungsstand. Außerdem zeigten sich Unterschiede im Profitieren speziell von Einsicht und Bewältigung in Abhängigkeit von den Themenmodulen der einzelnen Sitzungen, und vom Themenmodul der Sitzung, die ein Patienten als erstes besuchte. Insgesamt schätzten die Patienten ihr Profitieren von allen drei Prozesszielen im späteren Verlauf ihrer Gruppenteilnahme signifikant höher ein als während ihres ersten Besuchs. Die Dropout-Rate lag bei 37.0 % – was im Rahmen von Vorbefunden zum Dropout aus Therapieangeboten für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen liegt – und war signifikant assoziiert mit einer höheren psychischen Komorbidität, der Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, einem schlechteren Befinden nach den einzelnen Gruppensitzungen und einem geringeren Profitieren von den Prozesszielen. Aus den Ergebnissen der Pilot-Evaluation wurden im Rahmen des Ausblicks der Dissertation Hinweise zur weiteren Anwendung und Optimierung des Psychoedukationsprogramms abgeleitet. Studie 3 – Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren und Steroidhormone bei Patienten mit PTBS. Zur Beantwortung der Fragestellung nach der Ausprägung von Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren bei Patienten mit einer PTBS und Zusammenhängen zu Steroidhormonspiegeln wurde eine Querschnittsdatenanalyse durchgeführt. Die Stichprobe bestand aus N = 68 Patienten (w/m: 56/12) mit der Diagnose einer PTBS nach DSM-IV-Kriterien. Es wurden retrospektiv erfasste Daten aus der Eingangsdiagnostik in einer Traumaambulanz analysiert, die eine Messung der Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren (NEO-FFI), des Schweregrads der PTBS (CAPS), verschiedener Traumacharakteristika, komorbider klinischer Diagnosen, des Schweregrads der depressiven Symptomatik (BDI), der generellen Ängstlichkeit (STAI) und morgendlicher, basaler Serumcortisol- und Serumtestosteronspiegel umfassten. Zum einen zeigten sich Zusammenhänge zwischen den Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren und der Diagnose einer PTBS. Neurotizismus war in der PTBS-Stichprobe überdurchschnittlich ausgeprägt, der mittlere T-Wert der PTBS-Patienten lag im Bereich oberhalb einer Standardabweichung um den Mittelwert alters- und geschlechtsspezifischer, nicht-klinischer Normstichproben. Der mittlere T-Wert für Extraversion der PTBS-Patienten lag an der unteren Grenze des Bereichs einer Standardabweichung um den Mittelwert der Normstichproben und war somit tendenziell unterdurchschnittlich ausgeprägt. Hinsichtlich Offenheit für neue Erfahrungen zeigte sich eine durchschnittliche Ausprägung mit einem mittleren T-Wert der PTBS-Patienten innerhalb des Bereichs einer Standardabweichung um den Mittelwert der Normstichproben, jedoch mit einer Tendenz zu einer Häufung niedriger Offenheitswerte. Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit waren in der PTBS-Stichprobe durchschnittlich ausgeprägt. Eine positive Assoziation zwischen einer PTBS-Diagnose und Neurotizismus stellt einen relativ stabilen Vorbefund dar, der sich hier bestätigte. Die hier gefundene, tendenziell negative Assoziation zu Extraversion bekräftigt die Tendenz einzelner Vorgängerstudien. Bezüglich Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit fanden bisherige Studien keine oder eine negative Assoziation zur Diagnose einer PTBS, sodass auch vor dem Hintergrund der hier vorliegenden Befunde stichprobenabhängige Zusammenhänge angenommen werden. Weiterhin zeigten sich Zusammenhänge zwischen den Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren und dem Schweregrad der PTBS. Höherer Neurotizismus, geringere Extraversion und geringere Verträglichkeit waren mit einem höheren Gesamtschweregrad der PTBS, und insbesondere einem höheren Schweregrad der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik (Cluster C-Symptomatik der PTBS im DSM-IV), sowie teilweise einer stärkeren Hyperarousalsymptomatik (Cluster D) assoziiert. Höhere Offenheit für Erfahrungen ging hingegen mit einer stärker ausgeprägten Wiedererlebenssymptomatik (Cluster B) einher. Gewissenhaftigkeit zeigte keine signifikanten Zusammenhänge zum Schweregrad der PTBS. In multiplen linearen Regressionsanalysen leistete Extraversion auch unter Berücksichtigung des Geschlechts, des Alters, der Art, der Dauer und des Zeitpunkts der Traumatisierung sowie anderer Persönlichkeitsfaktoren einen signifikanten Vorhersagebeitrag bezüglich des Schwergrads der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik. Extraversion stellte in diesem Modell den einzigen signifikanten Prädiktor dar und konnte auch die Zusammenhänge zwischen Neurotizismus sowie Verträglichkeit und der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik erklären. Dieser negative Zusammenhang zwischen Extraversion und der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik stellt einen bisher nicht in der Literatur vorbeschriebenen Befund dar. Darüber hinaus konnte nur der Zusammenhang zwischen der Wiedererlebenssymptomatik und Offenheit unter Kontrolle von Drittvariablen bestätigt werden. In einer zusätzlichen, geschlechtsspezifischen Auswertung in der Teilstichprobe der weiblichen PTBS-Patienten (n = 56) zeigte sich außerdem ein positiver Zusammenhang zwischen Verträglichkeit und der Wiedererlebenssymptomatik – auch unter Kontrolle von Drittvariablen. Während der positive Zusammenhang der Wiedererlebenssymptomatik zu Offenheit einzelne Vorbefunde bestätigt, stellt der positive Zusammenhang zu Verträglichkeit bei Frauen ein nicht vorbeschriebenes Ergebnis dar. In der hinsichtlich ihrer Cortisolspiegel analysierten Teilstichprobe von n = 21 weiblichen PTBS-Patienten korrelierte Neurotizismus signifikant positiv und Extraversion signifikant negativ mit dem morgendlichen, basalen Serumcortisolspiegel. Die Zusammenhänge bestätigten sich auch unter Kontrolle des Alters, konnten aber durch eine bei hohen Neurotizismus- und geringen Extraversionswerten stärker ausgeprägte Depressivität und höhere Trait-Angst erklärt werden. Die Ergebnisse haben Neuheitswert, da die Fragestellung nach Zusammenhängen zwischen Big-Five-Faktoren und dem basalen Cortisolspiegel bis dato nur in einer männlichen PTBS-Stichprobe untersucht wurde. In jener Studie zeigte sich ein positiver Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Cortisol, der durch Extraversion negativ moduliert wurde. In der hinsichtlich ihrer Testosteronspiegel analysierten Teilstichprobe von n = 15 weiblichen PTBS-Patienten zeigte sich ein signifikanter, negativer Zusammenhang zwischen Offenheit für Erfahrungen und dem Testosteronspiegel, der sich auch unter Kontrolle des Alters, des Schweregrads depressiver Symptome, der Trait-Angst und der signifikant negativ mit dem Testosteronspiegel assoziierten Hyperarousalsymptomatik bestätigte. Dies stellt ebenfalls einen nicht vorbeschriebenen Befund dar, da Zusammenhänge zwischen den Big-Five-Faktoren und dem Testosteronspiegel bisher nicht bei PTBS-Patienten untersucht wurden. Konklusion. Zusammenfassend bietet die vorliegende Arbeit mit dem psychoedukativen Gruppentraining Persönlichkeit entdecken! ein neues, vielversprechendes Psychoedukationskonzept für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und -akzentuierungen, das der Pilot-Evaluation zufolge von Patienten einer akutpsychiatrischen Klinik angenommen wurde, und insbesondere einen Einsichtsgewinn und eine Motivationssteigerung zur weiteren Beschäftigung mit der eigenen Persönlichkeit erreichen konnte. Somit kann das Training für einen Einsatz in der klinischen Praxis empfohlen und weiterführend hinsichtlich seiner mittel- und langfristigen Wirkungen evaluiert werden. Die Befunde über Zusammenhänge zwischen den Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren, der Diagnose und dem Schweregrad einer PTBS, sowie Cortisol- und Testosteronspiegeln leisten einen Beitrag in Richtung eines besseren Verständnisses der Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen im Rahmen einer PTBS. Während Neurotizismus bei den PTBS-Patienten im Vergleich zur nicht-klinischen Bevölkerung eindeutig erhöht war, stellte sich insbesondere Extraversion als potenzieller Schutzfaktor bezüglich der Diagnose und des Schweregrads einer PTBS und im Speziellen der Vermeidungs- und Benommenheitssymptomatik heraus. Eine niedrige Offenheit für Erfahrungen – die bei den PTBS-Patienten im Vergleich zu nicht-klinischen Stichproben überzufällig häufig gefunden wurde – könnte möglicherweise als Schutzfaktor bezüglich stärkerem Wiedererleben gewirkt haben. Die Assoziationen zwischen Neurotizismus sowie Extraversion und dem Cortisolspiegel und zwischen Offenheit und dem Testosteronspiegel geben außerdem einen Hinweis auf eine hormonelle Grundlage persönlichkeitskonstituierender, psychischer Prozesse und deren spezifische Ausprägung speziell bei Patienten mit PTBS – als eine in Vorbefunden teilweise mit Abweichungen in den Steroidhormonspiegeln assoziierte psychische Störung. Potenzielle Mechanismen dieser Zusammenhänge werden diskutiert. Zukünftige Studien sollten die Generalisierbarkeit und die kausale Wirkrichtung sowie Mediatoren und Moderatoren der Zusammenhänge weiterführend untersuchen. Perspektivisch können die Erkenntnisse zur Entwicklung auf Persönlichkeitsmerkmale bezogener, präventiver und therapeutischer Interventionen für PTBS-Patienten genutzt werden, und darunter auch zu Gestaltung für PTBS-Patienten besonders relevanter Inhalte für das Persönlichkeit entdecken!-Training.