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Collective irrationality. an agent-based approach
Collective irrationality. an agent-based approach
Kollektive Irrationalität durchdringt alle Bereiche des sozialen Lebens. Von der Herdenbildung an Börsen zur politischen Polarisierung und sogar bis in die epistemische Gemeinschaft der Wissenschaft misslingt es Gruppen, die optimalen Mittel zu wählen, um ihre Ziele zu erreichen. Der Begriff der kollektiven Rationalität lässt sich präzise fassen durch eine Analyse der Argumente, die seine Zuschreibung rechtfertigen. Dazu ist es erforderlich, die Entscheidungsumgebung, die ablaufenden sozialen Prozesse und die relevanten normativen Standards zu erfassen, wozu sich insbesondere agentenbasierte Modellierung und Simulationen eignen. Diese Methode wird auf zwei Fallstudien angewendet, jeweils eines aus dem Bereich der theoretischen und eines aus dem der praktischen Rationalität. Die erste Fallstudie beschreibt die Entstehung sogenannter \textit{unpopular social norms}, also solcher sozialer Normen, die dem Interesse der überwiegenden Mehrheit der Gruppe zuwiderlaufen. Die Analyse eines entsprechenden Modells, in dem begrenzt rationale Akteure mit eingeschränkter Information versuchen, eine optimale Norm zu wählen, zeigt, dass der zugrundeliegende Prozess zwar ineffiziente Normen generieren kann, häufig jedoch effiziente Ergebnisse liefert. Das unmittelbare Urteil der kollektiven Irrationalität muss daher zurückgewiesen werden. In der zweiten Fallstudie wird der Einfluss strategischen Verhaltens in einer Gruppe von Agenten, die Informationen aggregieren, untersucht. Simulationen unterstützen die These, dass es keine universell optimale epistemische Strategie gibt: Agenten, die unter idealen Bedingungen erfolgreich sind, unterliegen im Falle strategischer Einflüsse konkurrierenden Agenten, die wiederum unter idealen Bedingungen suboptimale Ergebnisse erzielen. Eine evolutionäre Analyse des Modells belegt darüber hinaus, dass nichtepistmisch motiviertes Verhalten unter einem wengistens teilweise auf epistemischen Werten basierenden Belohnungssystem zurückgedrängt wird, ohne jedoch vollständig zu verschwinden. Die Verwendung agentenbasierter Modellierung und Simulation lässt sich insbesondere durch die epistemischen Eigenschaften der Methode rechtfertigen. Anders als Computersimulationen im Allgemeinen sind Modelle epistemisch transparent, das heißt nicht opak. Sie können außerdem unter den richtigen Bedingungen auch Bestätigung liefern. Gepaart mit der großen Flexibilität in der Modellierung handelt es sich daher ABM um ein wertvolles Werkzeug für ingenieursmäßig betriebene Philosophie. Dieser Ansatz strebt konkrete Lösungen für spezifische philosophische Probleme an, ohne vorher die Rechtfertigung einer fundamentalen Theorie zu fordern. Philosophische Probleme sind real und allgegenwärtig und verlangen daher Lösungen; die obigen Untersuchungen schlagen solche Lösungen vor.
Social Epistemology, Mathematical Philosophy, Social Norms, Belief Revision, Agent-Based Modeling and Simulation, Epistemology of Computer Simulation
Merdes, Christoph
2018
Englisch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Merdes, Christoph (2018): Collective irrationality: an agent-based approach. Dissertation, LMU München: Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft
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Abstract

Kollektive Irrationalität durchdringt alle Bereiche des sozialen Lebens. Von der Herdenbildung an Börsen zur politischen Polarisierung und sogar bis in die epistemische Gemeinschaft der Wissenschaft misslingt es Gruppen, die optimalen Mittel zu wählen, um ihre Ziele zu erreichen. Der Begriff der kollektiven Rationalität lässt sich präzise fassen durch eine Analyse der Argumente, die seine Zuschreibung rechtfertigen. Dazu ist es erforderlich, die Entscheidungsumgebung, die ablaufenden sozialen Prozesse und die relevanten normativen Standards zu erfassen, wozu sich insbesondere agentenbasierte Modellierung und Simulationen eignen. Diese Methode wird auf zwei Fallstudien angewendet, jeweils eines aus dem Bereich der theoretischen und eines aus dem der praktischen Rationalität. Die erste Fallstudie beschreibt die Entstehung sogenannter \textit{unpopular social norms}, also solcher sozialer Normen, die dem Interesse der überwiegenden Mehrheit der Gruppe zuwiderlaufen. Die Analyse eines entsprechenden Modells, in dem begrenzt rationale Akteure mit eingeschränkter Information versuchen, eine optimale Norm zu wählen, zeigt, dass der zugrundeliegende Prozess zwar ineffiziente Normen generieren kann, häufig jedoch effiziente Ergebnisse liefert. Das unmittelbare Urteil der kollektiven Irrationalität muss daher zurückgewiesen werden. In der zweiten Fallstudie wird der Einfluss strategischen Verhaltens in einer Gruppe von Agenten, die Informationen aggregieren, untersucht. Simulationen unterstützen die These, dass es keine universell optimale epistemische Strategie gibt: Agenten, die unter idealen Bedingungen erfolgreich sind, unterliegen im Falle strategischer Einflüsse konkurrierenden Agenten, die wiederum unter idealen Bedingungen suboptimale Ergebnisse erzielen. Eine evolutionäre Analyse des Modells belegt darüber hinaus, dass nichtepistmisch motiviertes Verhalten unter einem wengistens teilweise auf epistemischen Werten basierenden Belohnungssystem zurückgedrängt wird, ohne jedoch vollständig zu verschwinden. Die Verwendung agentenbasierter Modellierung und Simulation lässt sich insbesondere durch die epistemischen Eigenschaften der Methode rechtfertigen. Anders als Computersimulationen im Allgemeinen sind Modelle epistemisch transparent, das heißt nicht opak. Sie können außerdem unter den richtigen Bedingungen auch Bestätigung liefern. Gepaart mit der großen Flexibilität in der Modellierung handelt es sich daher ABM um ein wertvolles Werkzeug für ingenieursmäßig betriebene Philosophie. Dieser Ansatz strebt konkrete Lösungen für spezifische philosophische Probleme an, ohne vorher die Rechtfertigung einer fundamentalen Theorie zu fordern. Philosophische Probleme sind real und allgegenwärtig und verlangen daher Lösungen; die obigen Untersuchungen schlagen solche Lösungen vor.