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Ästhetik, Zeitwahrnehmung und Gesundheit
Ästhetik, Zeitwahrnehmung und Gesundheit
Ästhetische Qualitäten des Umfelds üben durch sensorische und sensomotorisch-leibräumliche Erfahrung und deren Deutung nachweislich einen beständigen Einfluss auf die psychisch-physische Gesamtverfassung von Individuen und auf deren soziale Praktiken aus. Eine systematische, metadisziplinäre Abwägung und wissenschaftliche Einordnung von ästhetischen Wirkparametern – besonders in Hinblick auf salutogenetische Gestaltung – wäre also ein hilfreicher, qualitätssteigernder Aspekt der gestalterischen Konzeptentwicklung innerhalb von Design-Professionen wie Städtebau, Architektur, Innenarchitektur, Produkt- und Kommunikationsdesign. Die Voraussetzung dafür, nämlich eine wissenschaftliche Einordnung und vereinheitlichende theoretische Konzeptbildung ästhetischen Erlebens, steht innerhalb des heterogenen Ansatz-Clusters der „Designtheorie“ aber noch aus. Die vorliegende Arbeit untersucht daher zunächst ästhetikrelevante Aussagen (insbesondere zu visueller Wahrnehmung und deren ästhetischer Deutung) aus der abendländischen Philosophie- und Wissenschaftskultur und integriert deren gemeinsame Positionen in einen relational und kategorial geordneten Gesamthorizont. Kernaspekte ästhetischer Wirksamkeit werden identifiziert, formuliert und zu einem komplementären Kompendium sich ergänzender Gesetzmäßigkeiten verdichtet, das als strukturiertes Instrumentarium für didaktische Fragestellungen innerhalb der Gestaltungslehre eingesetzt werden kann. Der zweite Teil der Arbeit ist der Frage gewidmet, wie ästhetisches Empfinden und das intuitive Bewerten von visueller Wahrnehmung mit Funktionen der Zeitwahrnehmung und der Herstellung eines temporal kohärenten Erlebensflusses gekoppelt ist. Im ästhetischen Empfinden verschränken und verdichten sich exogene und endogene Faktoren der Steuerung von Handlungsbereitschaften und Verhalten zu einem multisensuellen Gesamttableau und ermöglichen dadurch erst die intuitive Konstruktion zeitlicher Antizipationen und Rekonstruktionen. Durch diese temporale Extrapolation wird ein zeitliches Narrativ konstruiert, innerhalb dessen das erlebende Subjekt durch Kausalattributionen und die Identifizierung von Prozesslinien seine Interaktion mit der Umwelt prospektiv ausrichten und an mutmaßliche Entwicklungen anpassen kann. Dieser Prozess schließt affektionale Reaktionen und rationale Deutungen gleichermaßen mit ein. In speziellem Bezug auf visuelle Instrumentarien der Gestaltung wird die antizipativ und rekonstruktiv wirksame Wechselwirkung von sinnlich-phänomenalen Qualitäten eines Umfelds mit einem erlebenden Subjekt – und dessen Wahrnehmungsmustern – als „Morphodynamik“ konzeptionalisiert, begründet und zu verschiedenen wissenschaftlich-disziplinären Perspektiven auf Wahrnehmung und Bewusstsein in Beziehung gesetzt. Eine kunst- und gestaltungshistorische Betrachtung des Phänomens der Morphodynamik sowie grafische Visualisierungen exemplifizieren und veranschaulichen das Konzept. Im dritten Teil der Arbeit wird schließlich das dargestellte Potential ästhetischen Erlebens in Bezug auf gesundheitsförderliche Umgebungsgestaltung thematisiert. Der Abschnitt reflektiert den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Zusammenhang zwischen Ästhetik und Gesundheit und identifiziert Schnittstellen, an denen gestalterische Interventionen in hohem Maße zu Wohlbefinden und Heilungserwartung von Patienten/Klienten wie auch zu einer Effizienz der Prozessabläufe sowie der Personalzufriedenheit beitragen können. Dabei tritt die modulatorische Wirkung von Erwartungshorizonten auf Wohlbefinden und Gesundheit in den Fokus der Betrachtung. Ziel dieses metadisziplinären designtheoretischen Konzeptrahmens ist es, nicht nur die Relevanz visuell-ästhetischer Wahrnehmung und Deutung für das allgemeine Welt- und Zeiterleben, für menschliches Wohlbefinden und psycho-physische Gesamtbefindlichkeit zu dokumentieren und entsprechende Wirkbeziehungen strukturiert darzustellen, sondern auch ein entsprechendes Instrumentarium an Fragestellungen für Gestaltungsdidaktik und Gestaltungsanwendung zur Verfügung zu stellen., Through sensory and sensorimotor spatial experience and its interpretation, the aesthetic qualities of the environment have been shown to have a consistent influence on the psycho-physical constitution of individuals and their social practices. A systematic, metadisciplinary examination and scientific classification of aesthetic parameters - especially with regard to salutogenic design - seems therefore an indispensable aspect of the design concept development within design professions such as urban planning, architecture, interior design, and product and communication design, but is still pending in the field of so-called „Design Studies“. In this light, the present work first examines aesthetic-relevant statements (specifically on visual perception and its aesthetic interpretation) from Western philosophy and science and integrates their common positions into a relational and categorically ordered paradigm. Core aspects of aesthetic effectiveness are identified, formulated and condensed into a compendium of complementary laws, which can be used as a structured instrument for didactic questions within design theory. The second part of the work is devoted to the question of how aesthetic perception and the intuitive evaluation of visual perception are coupled with functions of time perception and the creation of a temporally coherent flow of experience. In aesthetic perception, exogenous and endogenous factors of the control of preparedness for action and behaviour interlock and condense into a multisensory tableau and thus enable intuitive construction of temporal anticipations and reconstructions. This temporal extrapolation establishes a temporally-based narrative within which the experiencing subject can use causal attributions and the identification of process lines to prospectively align their interaction with the environment and adapt it to presumed developments. The process includes a relatively equal measure of affective reactions and rational interpretations. In a special reference to visual instruments of design, this „time-creating“ relationship of sensory-phenomenal qualities of an environment to an experiencing subject and its perception patterns is conceptualized as "morphodynamics", justified and compared to different scientific disciplinary perspectives on perception and consciousness. The concept is exemplified and illustrated by a historical examination of morphodynamics in art and design and, furthermore, by graphic visualizations. The third and final part of the work deals with the described potential of aesthetic experience in relation to health-promoting (i.e., salutogenic) environmental design. This section reflects the current state of scientific knowledge on the relationship between aesthetics and health and identifies interfaces at which creative interventions can contribute to both a high level of well-being and the healing expectations of patients/clients, as well as to the efficiency of process flow and personnel satisfaction. The modulatory effect of expectation horizons on well-being and health is the focus of examination. The overall aim of this metadisciplinary design theoretical concept framework is to both document the relevance of visual-aesthetic perception and interpretation for the experience of world and time, for human well-being and overall psycho-physical constitution, and to present the corresponding impact relationships in a structured way, as well as to provide an appropriate set of methodical approaches for design didactics and design application.
Ästhetik, Designtheorie, Gestaltungsgrundlagen
Heinrich, Michael
2018
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Heinrich, Michael (2018): Ästhetik, Zeitwahrnehmung und Gesundheit. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Ästhetische Qualitäten des Umfelds üben durch sensorische und sensomotorisch-leibräumliche Erfahrung und deren Deutung nachweislich einen beständigen Einfluss auf die psychisch-physische Gesamtverfassung von Individuen und auf deren soziale Praktiken aus. Eine systematische, metadisziplinäre Abwägung und wissenschaftliche Einordnung von ästhetischen Wirkparametern – besonders in Hinblick auf salutogenetische Gestaltung – wäre also ein hilfreicher, qualitätssteigernder Aspekt der gestalterischen Konzeptentwicklung innerhalb von Design-Professionen wie Städtebau, Architektur, Innenarchitektur, Produkt- und Kommunikationsdesign. Die Voraussetzung dafür, nämlich eine wissenschaftliche Einordnung und vereinheitlichende theoretische Konzeptbildung ästhetischen Erlebens, steht innerhalb des heterogenen Ansatz-Clusters der „Designtheorie“ aber noch aus. Die vorliegende Arbeit untersucht daher zunächst ästhetikrelevante Aussagen (insbesondere zu visueller Wahrnehmung und deren ästhetischer Deutung) aus der abendländischen Philosophie- und Wissenschaftskultur und integriert deren gemeinsame Positionen in einen relational und kategorial geordneten Gesamthorizont. Kernaspekte ästhetischer Wirksamkeit werden identifiziert, formuliert und zu einem komplementären Kompendium sich ergänzender Gesetzmäßigkeiten verdichtet, das als strukturiertes Instrumentarium für didaktische Fragestellungen innerhalb der Gestaltungslehre eingesetzt werden kann. Der zweite Teil der Arbeit ist der Frage gewidmet, wie ästhetisches Empfinden und das intuitive Bewerten von visueller Wahrnehmung mit Funktionen der Zeitwahrnehmung und der Herstellung eines temporal kohärenten Erlebensflusses gekoppelt ist. Im ästhetischen Empfinden verschränken und verdichten sich exogene und endogene Faktoren der Steuerung von Handlungsbereitschaften und Verhalten zu einem multisensuellen Gesamttableau und ermöglichen dadurch erst die intuitive Konstruktion zeitlicher Antizipationen und Rekonstruktionen. Durch diese temporale Extrapolation wird ein zeitliches Narrativ konstruiert, innerhalb dessen das erlebende Subjekt durch Kausalattributionen und die Identifizierung von Prozesslinien seine Interaktion mit der Umwelt prospektiv ausrichten und an mutmaßliche Entwicklungen anpassen kann. Dieser Prozess schließt affektionale Reaktionen und rationale Deutungen gleichermaßen mit ein. In speziellem Bezug auf visuelle Instrumentarien der Gestaltung wird die antizipativ und rekonstruktiv wirksame Wechselwirkung von sinnlich-phänomenalen Qualitäten eines Umfelds mit einem erlebenden Subjekt – und dessen Wahrnehmungsmustern – als „Morphodynamik“ konzeptionalisiert, begründet und zu verschiedenen wissenschaftlich-disziplinären Perspektiven auf Wahrnehmung und Bewusstsein in Beziehung gesetzt. Eine kunst- und gestaltungshistorische Betrachtung des Phänomens der Morphodynamik sowie grafische Visualisierungen exemplifizieren und veranschaulichen das Konzept. Im dritten Teil der Arbeit wird schließlich das dargestellte Potential ästhetischen Erlebens in Bezug auf gesundheitsförderliche Umgebungsgestaltung thematisiert. Der Abschnitt reflektiert den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Zusammenhang zwischen Ästhetik und Gesundheit und identifiziert Schnittstellen, an denen gestalterische Interventionen in hohem Maße zu Wohlbefinden und Heilungserwartung von Patienten/Klienten wie auch zu einer Effizienz der Prozessabläufe sowie der Personalzufriedenheit beitragen können. Dabei tritt die modulatorische Wirkung von Erwartungshorizonten auf Wohlbefinden und Gesundheit in den Fokus der Betrachtung. Ziel dieses metadisziplinären designtheoretischen Konzeptrahmens ist es, nicht nur die Relevanz visuell-ästhetischer Wahrnehmung und Deutung für das allgemeine Welt- und Zeiterleben, für menschliches Wohlbefinden und psycho-physische Gesamtbefindlichkeit zu dokumentieren und entsprechende Wirkbeziehungen strukturiert darzustellen, sondern auch ein entsprechendes Instrumentarium an Fragestellungen für Gestaltungsdidaktik und Gestaltungsanwendung zur Verfügung zu stellen.

Abstract

Through sensory and sensorimotor spatial experience and its interpretation, the aesthetic qualities of the environment have been shown to have a consistent influence on the psycho-physical constitution of individuals and their social practices. A systematic, metadisciplinary examination and scientific classification of aesthetic parameters - especially with regard to salutogenic design - seems therefore an indispensable aspect of the design concept development within design professions such as urban planning, architecture, interior design, and product and communication design, but is still pending in the field of so-called „Design Studies“. In this light, the present work first examines aesthetic-relevant statements (specifically on visual perception and its aesthetic interpretation) from Western philosophy and science and integrates their common positions into a relational and categorically ordered paradigm. Core aspects of aesthetic effectiveness are identified, formulated and condensed into a compendium of complementary laws, which can be used as a structured instrument for didactic questions within design theory. The second part of the work is devoted to the question of how aesthetic perception and the intuitive evaluation of visual perception are coupled with functions of time perception and the creation of a temporally coherent flow of experience. In aesthetic perception, exogenous and endogenous factors of the control of preparedness for action and behaviour interlock and condense into a multisensory tableau and thus enable intuitive construction of temporal anticipations and reconstructions. This temporal extrapolation establishes a temporally-based narrative within which the experiencing subject can use causal attributions and the identification of process lines to prospectively align their interaction with the environment and adapt it to presumed developments. The process includes a relatively equal measure of affective reactions and rational interpretations. In a special reference to visual instruments of design, this „time-creating“ relationship of sensory-phenomenal qualities of an environment to an experiencing subject and its perception patterns is conceptualized as "morphodynamics", justified and compared to different scientific disciplinary perspectives on perception and consciousness. The concept is exemplified and illustrated by a historical examination of morphodynamics in art and design and, furthermore, by graphic visualizations. The third and final part of the work deals with the described potential of aesthetic experience in relation to health-promoting (i.e., salutogenic) environmental design. This section reflects the current state of scientific knowledge on the relationship between aesthetics and health and identifies interfaces at which creative interventions can contribute to both a high level of well-being and the healing expectations of patients/clients, as well as to the efficiency of process flow and personnel satisfaction. The modulatory effect of expectation horizons on well-being and health is the focus of examination. The overall aim of this metadisciplinary design theoretical concept framework is to both document the relevance of visual-aesthetic perception and interpretation for the experience of world and time, for human well-being and overall psycho-physical constitution, and to present the corresponding impact relationships in a structured way, as well as to provide an appropriate set of methodical approaches for design didactics and design application.