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Vestibulo-zerebelläre Mechanismen der menschlichen Haltungsregulation. dynamische Stabilität und Stürze in Patienten mit Kleinhirnerkrankungen und vestibulären Störungen
Vestibulo-zerebelläre Mechanismen der menschlichen Haltungsregulation. dynamische Stabilität und Stürze in Patienten mit Kleinhirnerkrankungen und vestibulären Störungen
Die menschliche Lokomotionskontrolle ist sowohl durch eine hohe dynamische Stabilität als auch durch einen hohen Grad and Flexibilität und Adaptabilität gekennzeichnet. Stabilität und Adaptabilität sind für die jeweilige Anpassung des Gangmusters an externe Umweltbedingungen verantwortlich. Hierbei spielen neben passiven, biomechanischen Eigenschaften des Haltungsapparates vor allem sensorische, vestibuläre Rückkopplungsprozesse eine wesentliche Rolle. Kommt es zu Störungen der vestibulären Afferenz bzw. zu Erkrankungen des Kleinhirns so resultiert regelhaft eine Störung der posturalen Kontrolle mit dem Auftreten einer Gangataxie (Palliyath et al., 1998), wobei je nach Schädigungsort unterschiedliche Funktionen des Gehens gestört sein können (Morton et al., 2004, Morton and Bastian, 2007). Häufig steht die Gangataxie im Mittelpunkt der Symptombeschreibung der Patienten und hat weitreichende Konsequenzen für die Mobilität und soziale Teilhabe (Fonteyn et al., 2010). Zudem führt eine Gangataxie zu einem erhöhten Risiko für Stürze. Populationsbasierte Studien gehen von einer Sturzprävalenz von bis zu 70% in Patienten mit vestibulären und zerebellären Erkrankungen aus (Gazzola et al., 2006, Schlick et al., 2016). Für die klinische Versorgung von Patienten mit chronischen vestibulären oder zerebellären Erkrankungen sind die Behandlung der Gangstörung zur Verbesserung der Mobilität und das Vermeiden von Sturzereignissen wesentlich. Vorrausetzung hierfür ist das Wissen über die funktionelle Anatomie und Verbindung von vestibulärem System und Kleinhirn. Das vestibuläre System erfasst Rotationsbeschleunigungen über die Bogengänge und Linearbeschleunigungen sowie Schwerkraft über die Otholithenorgane (Benson et al., 1990). Es ist damit ganz wesentlich an der Stabilisierung der aufrechten menschlichen Haltung beteiligt. Hauptintegrationspunkt vestibulärer Haltungskontrolle sind die Vestibulariskerngebiete im Pons. Von hier laufen deszendierende Fasern zur den ipsilateralen γ- und α-Motoneurone und unterstützen dabei Halte- und Stellreflexe. Dabei scheint ein enge Kopplung and propriozeptive Afferenzen auf spinaler Ebene zu bestehen (Dietz et al., 1984, Keck et al., 1998). Neben den vestibulospinalen Funktionen bestehen enge anatomische und funktionelle Verbindungen des Vestibulariskerngebiets zur den okulomotorischen Zentren des Hirnstamms. Diese anatomische Verbindung dient der direkten vestibulo-okulären Reflexkontrolle, welche v.a. bei schnellen Kopfbewegungen relevant wird (Zee and Leigh, 1983). Weitere Projektionsbahnen des vestibulären Systems ziehen zu Thalamus (Dieterich and Brandt, 2001) und Inselregion (Dieterich and Brandt, 1993) und repräsentieren höhere vestibuläre Funktionen, wie z.B. die Vertikalenwahrnehmung (Brandt and Dieterich, 2000) oder Raumwahrnehmung. Das Kleinhirn erhält wesentlichen sensorischen Input aus dem propriozeptiven, somatosensiblen System, aus dem visuellen und aus dem vestibulären System. Vor allem in mittelliniennahen Strukturen des Kleinhirns, vornehmlich in Vermis und Flokkulus/Nodulus werden sensorische Informationen integriert und über die tiefen Kleinhirnkerne wieder in unterschiedliche motorische Subsysteme verschaltet (Voogd and Glickstein, 1998). Die Kleinhirnhemisphären sind sowohl in spinale, pontine und kortikale, primär motorische Kontrollschleifen involviert. Diese scheinen an der zeitlichen Präzision, der Mehrgelenkskoordination und in der Erzeugung von Afferenz/Efferenzkopie Systemen beteiligt zu sein (Mori et al., 2004). Somit stellt das Kleinhirn die wesentliche zerebrale Kontrollstruktur für Koordination und sensorische Integration während menschlicher Haltungskontrolle dar. Die Schwerpunkte der für die Habilitation relevanten wissenschaftlichen Arbeiten liegen in der Evaluation des Stellenwerts der Bewegungsanalyse zur Charakterisierung von Stabilität während des Gehens in Patienten mit vestibulären und zerebellären Erkrankungen und in deren klinischer Evaluation für Diagnose und Therapiesteuerung. 1. Untersuchung funktioneller Zusammenhänge zwischen vestibulärer Signalverarbeitung, zerebellärer Haltungsregulation und Extremitätenkoordination während des Gehens sowie deren Auswirkungen auf die dynamische Stabilität von Patienten. Übergeordnetes Ziel dieses Projektarms ist die Identifikation von neurophysiologischen Risikofaktoren für Sturzereignisse in Patienten mit vestibulären und zerebellären Störungen. 2. Untersuchung der Anwendbarkeit von Markern der dynamischen Stabilität während des Gehens zur differentialdiagnostischen Unterscheidung vestibulo-zerebellärer Gangstörungen. Zudem sollte die Möglichkeit zur Etablierung von Stabilitätsparametern zur Erfassung von therapierelevanten Veränderungen im Rahmen von Interventionsstudien evaluiert werden. 3. Untersuchung eines neuen Therapieansatzes mittels sensorischer Stimulation zur Verbesserung der dynamischen Stabilität in Patienten mit vestibulären Gangstörungen
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Schniepp, Roman
2017
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Schniepp, Roman (2017): Vestibulo-zerebelläre Mechanismen der menschlichen Haltungsregulation: dynamische Stabilität und Stürze in Patienten mit Kleinhirnerkrankungen und vestibulären Störungen. Habilitationsschrift, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Die menschliche Lokomotionskontrolle ist sowohl durch eine hohe dynamische Stabilität als auch durch einen hohen Grad and Flexibilität und Adaptabilität gekennzeichnet. Stabilität und Adaptabilität sind für die jeweilige Anpassung des Gangmusters an externe Umweltbedingungen verantwortlich. Hierbei spielen neben passiven, biomechanischen Eigenschaften des Haltungsapparates vor allem sensorische, vestibuläre Rückkopplungsprozesse eine wesentliche Rolle. Kommt es zu Störungen der vestibulären Afferenz bzw. zu Erkrankungen des Kleinhirns so resultiert regelhaft eine Störung der posturalen Kontrolle mit dem Auftreten einer Gangataxie (Palliyath et al., 1998), wobei je nach Schädigungsort unterschiedliche Funktionen des Gehens gestört sein können (Morton et al., 2004, Morton and Bastian, 2007). Häufig steht die Gangataxie im Mittelpunkt der Symptombeschreibung der Patienten und hat weitreichende Konsequenzen für die Mobilität und soziale Teilhabe (Fonteyn et al., 2010). Zudem führt eine Gangataxie zu einem erhöhten Risiko für Stürze. Populationsbasierte Studien gehen von einer Sturzprävalenz von bis zu 70% in Patienten mit vestibulären und zerebellären Erkrankungen aus (Gazzola et al., 2006, Schlick et al., 2016). Für die klinische Versorgung von Patienten mit chronischen vestibulären oder zerebellären Erkrankungen sind die Behandlung der Gangstörung zur Verbesserung der Mobilität und das Vermeiden von Sturzereignissen wesentlich. Vorrausetzung hierfür ist das Wissen über die funktionelle Anatomie und Verbindung von vestibulärem System und Kleinhirn. Das vestibuläre System erfasst Rotationsbeschleunigungen über die Bogengänge und Linearbeschleunigungen sowie Schwerkraft über die Otholithenorgane (Benson et al., 1990). Es ist damit ganz wesentlich an der Stabilisierung der aufrechten menschlichen Haltung beteiligt. Hauptintegrationspunkt vestibulärer Haltungskontrolle sind die Vestibulariskerngebiete im Pons. Von hier laufen deszendierende Fasern zur den ipsilateralen γ- und α-Motoneurone und unterstützen dabei Halte- und Stellreflexe. Dabei scheint ein enge Kopplung and propriozeptive Afferenzen auf spinaler Ebene zu bestehen (Dietz et al., 1984, Keck et al., 1998). Neben den vestibulospinalen Funktionen bestehen enge anatomische und funktionelle Verbindungen des Vestibulariskerngebiets zur den okulomotorischen Zentren des Hirnstamms. Diese anatomische Verbindung dient der direkten vestibulo-okulären Reflexkontrolle, welche v.a. bei schnellen Kopfbewegungen relevant wird (Zee and Leigh, 1983). Weitere Projektionsbahnen des vestibulären Systems ziehen zu Thalamus (Dieterich and Brandt, 2001) und Inselregion (Dieterich and Brandt, 1993) und repräsentieren höhere vestibuläre Funktionen, wie z.B. die Vertikalenwahrnehmung (Brandt and Dieterich, 2000) oder Raumwahrnehmung. Das Kleinhirn erhält wesentlichen sensorischen Input aus dem propriozeptiven, somatosensiblen System, aus dem visuellen und aus dem vestibulären System. Vor allem in mittelliniennahen Strukturen des Kleinhirns, vornehmlich in Vermis und Flokkulus/Nodulus werden sensorische Informationen integriert und über die tiefen Kleinhirnkerne wieder in unterschiedliche motorische Subsysteme verschaltet (Voogd and Glickstein, 1998). Die Kleinhirnhemisphären sind sowohl in spinale, pontine und kortikale, primär motorische Kontrollschleifen involviert. Diese scheinen an der zeitlichen Präzision, der Mehrgelenkskoordination und in der Erzeugung von Afferenz/Efferenzkopie Systemen beteiligt zu sein (Mori et al., 2004). Somit stellt das Kleinhirn die wesentliche zerebrale Kontrollstruktur für Koordination und sensorische Integration während menschlicher Haltungskontrolle dar. Die Schwerpunkte der für die Habilitation relevanten wissenschaftlichen Arbeiten liegen in der Evaluation des Stellenwerts der Bewegungsanalyse zur Charakterisierung von Stabilität während des Gehens in Patienten mit vestibulären und zerebellären Erkrankungen und in deren klinischer Evaluation für Diagnose und Therapiesteuerung. 1. Untersuchung funktioneller Zusammenhänge zwischen vestibulärer Signalverarbeitung, zerebellärer Haltungsregulation und Extremitätenkoordination während des Gehens sowie deren Auswirkungen auf die dynamische Stabilität von Patienten. Übergeordnetes Ziel dieses Projektarms ist die Identifikation von neurophysiologischen Risikofaktoren für Sturzereignisse in Patienten mit vestibulären und zerebellären Störungen. 2. Untersuchung der Anwendbarkeit von Markern der dynamischen Stabilität während des Gehens zur differentialdiagnostischen Unterscheidung vestibulo-zerebellärer Gangstörungen. Zudem sollte die Möglichkeit zur Etablierung von Stabilitätsparametern zur Erfassung von therapierelevanten Veränderungen im Rahmen von Interventionsstudien evaluiert werden. 3. Untersuchung eines neuen Therapieansatzes mittels sensorischer Stimulation zur Verbesserung der dynamischen Stabilität in Patienten mit vestibulären Gangstörungen