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„Außerklinische Ethikberatung“ in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land. eine explorativ-empirische Evaluation des Implementierungsprozesses und des ethischen Beratungsangebots
„Außerklinische Ethikberatung“ in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land. eine explorativ-empirische Evaluation des Implementierungsprozesses und des ethischen Beratungsangebots
Hintergrund und Ziele: Aufgrund des medizinischen Fortschritts sehen sich Ärzte, Patienten und deren Angehörige vermehrt mit der Frage konfrontiert, welche medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden sollen und welche Therapiemaßnahmen, gerade am Lebensende, abzulehnen sind. Um Personen eine Anlaufstelle für derartige ethische Fragestellungen zu ermöglichen, wurden in den vergangenen 20 Jahren in deutschen Kliniken Ethikkomitees implementiert. Während Ethikkomitees bereits in vielen Klinken etabliert sind, gibt es für den außerklinischen Bereich (z.B. Seniorenheime, Hospize, Versorgung durch niedergelassene Ärzte) bisher wenig vergleichbare Beratungsangebote. Insbesondere ist bislang noch kaum wissenschaftlich untersucht, wie Ethikberatung im außerklinischen Bereich implementiert werden kann und welches Beratungsangebot für den Bedarf an ethischer Entscheidungsunterstützung angemessen ist. Als eine der ersten Initiativen bundesweit wurde 2012 in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land eine „Außerklinischen Ethikberatung“ für die Patientenversorgung außerhalb des Krankenhauses etabliert. Sie bot damit einen idealen Untersuchungsgegenstand für die vorliegende, von 2013 bis 2015 durchgeführte explorativ-empirische Evaluationsstudie. Die übergreifende Zielsetzung bestand darin, die Erfahrungen bei der Implementierung und Durchführung des Beratungsangebots systematisch wissenschaftlich zu untersuchen und damit wesentliche Erkenntnisse für die Weiterentwicklung von ethischen Beratungsangeboten in der nicht-klinischen Patientenversorgung zu gewinnen. Methode: Für die wissenschaftliche Untersuchung der „Außerklinischen Ethikberatung“ wurde ein achtstufiges Evaluationsmodell in Anlehnung an die Responsive Evaluation nach Stake sowie die Fourth Generation Evaluation nach Guba und Lincoln entwickelt. Sie umfasste sowohl qualitative als auch quantitative sozialempirische Elemente. Im Rahmen der Evaluation wurden drei Experteninterviews, 19 Interviews mit Mitgliedern der „Außerklinischen Ethikberatung“ sowie zehn Interviews mit ratsuchenden Personen (Angehörige und gesetzliche Betreuer) durchgeführt. Des Weiteren erfolgte eine Fragebogenerhebung, an der 58 in der Region praktizierende Allgemeinmediziner teilnahmen. Ergebnisse: Die Gründer und die Mitglieder der „Außerklinischen Ethikberatung“ gaben an, dass das Beratungsangebot erfolgreich implementiert werden konnte und überwiegend gut angenommen werde. Dies spiegelte sich in der Anzahl der durchgeführten Beratungen wider. Insgesamt erfolgten seit Gründung 48 ethische Fallgespräche. Den vorhandenen Bedarf an einem ethischen Beratungsangebot im außerklinischen Bereich bestätigten die Ergebnisse der Fragebogenerhebung. Insgesamt gaben 96,6% der befragten Hausärzte an, dass sie mit ethischen Fragestellungen konfrontiert würden. Dabei stehen vor allem ethische Fragen bei der Behandlung von Patienten in hohem Alter und bei der palliativmedizinischen Versorgung sowie die Vermeidung unangemessener Hospitalisationen im Vordergrund. 17 der 58 befragten Hausärzte gaben an, das Angebot einer ethischen Fallberatung bereits genutzt zu haben. 16 Hausärzte sowie 9 ratsuchende Personen, die bereits an einem Fallgespräch teilgenommen hatten, bewerteten das Beratungsangebot positiv. Besonders hervorzuheben ist die empfundene Entlastung der Hausärzte sowie der Angehörigen durch die kompetente Moderation. Ein Allgemeinmediziner sowie eine ratsuchende Person äußerten aber auch Kritik. Zum einen wäre eine Beantwortung der ethischen Fragestellung auch ohne Beratung möglich gewesen, zum anderen hätten sich die Ethikberater instrumentalisieren lassen und keine neutrale Beratung durchgeführt. Fazit: Die Ergebnisse bestätigen den Eindruck, dass ein Bedarf an ethischen Beratungsangeboten im außerklinischen Bereich vorhanden ist. Aufgrund dieser Aussagen sollten die Erfahrungen zur Implementierung und zum Aufbau der Beratung weitergegeben werden und von wissenschaftlicher Seite unterstützt werden., Background and Aims: As a result of the rapid growth of medical knowledge, physicians, patients and their family caregivers increasingly face difficult decisions about the most appropriate course of treatment in the given context. Particularly in the case of patients who approach the end of their lives, deciding which of the available life-sustaining treatments should be carried out – and which should be rejected – is a challenging task. Over the past 20 years, clinical ethics committees have been set up in German hospitals to provide guidance on how to approach these ethical issues. While such committees are now quite well established in hospitals, relatively little ethics support is available in non-clinical settings, such as nursing homes, hospices and doctors’ offices. Especially, there has not yet been investigated how ethics consultations in the outpatient area may be implemented. In addition, it has not yet been researched which type of consultation is appropriate for the need of ethical decision support. In 2012, a group of local professionals in Traunstein and Berchtesgaden launched the initiative „Außerklinischen Ethikberatung“ (out-patient ethics consultation) as one of the first initiatives nationwide, with the goal to provide such support and advice for all those involved in the non-clinical health care sector. During the period 2013-2015, the initiative was a perfect subject to the explorative empirical evaluation. The primary aim of this study was to elicit and document the experiences with the implementation of this new consultation service. In addition, general experiences with the out-patient ethics consultation should be scientifical documented for getting some findings about the development of consultation services in the out-patient area. Methods: For the study, an eight-part evaluation model was developed, which incorporates elements of Stake’s Responsive Evaluation and the so-called Fourth Generation Evaluation method after Guba and Lincoln. It includes both qualitative and quantitative content. In the course of the evaluation, interviews were conducted with three experts in the field, 19 members of the initiative and 10 caregivers (relatives and legal guardians) who had used the service. In addition, 58 general practitioners (GPs) in the area served by the initiative responded to a questionnaire on the subject. Results: Both the founders of the initiative and its members reported that the initial implementation phase had progressed smoothly, and that the ethics counseling services have predominantly been well accepted. This is reflected in the number of consultations that have been held. In all, 48 cases had been considered since the service went into operation. The questionnaire-based data confirmed the need for ethics consultation in non-clinical settings. Overall, 96.6% of the participating GPs stated that they had been confronted with ethical problems. The main topics are issues in patient care at old age, palliative care issues and the avoidance of unreasonable hospitalization. Of the 58 GPs who responded to the questionnaire, 17 stated that they had already used the service. Sixteen of the GPs and 9 of the relatives/guardians interviewed rated the interaction positively, citing in particular how the involvement of competent moderators can relief the burdens placed on both physicians and family caregivers in this context. However, one GP and one of those who had sought advice offered wide-ranging criticisms of the system. These included the assertions that a similar solution of the ethical problem could have been reached without expert advice, and that counselors had allowed themselves to be unduly influenced and had not conducted the consultation in an unbiased fashion. Conclusion: The results suggest that there is indeed a need for counseling services in medical ethics in non-clinical settings. Hence, the data relating to their implementation and development collected in this study should be circulated as widely as possible, with the support of the medical profession.
Außerklinische Ethikberatung, Implementierung, Aufgabengebiet, Evaluation, qualitative Forschung, quantitative Forschung
Thiersch, Sandra Magdalena
2017
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Thiersch, Sandra Magdalena (2017): „Außerklinische Ethikberatung“ in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land: eine explorativ-empirische Evaluation des Implementierungsprozesses und des ethischen Beratungsangebots. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Hintergrund und Ziele: Aufgrund des medizinischen Fortschritts sehen sich Ärzte, Patienten und deren Angehörige vermehrt mit der Frage konfrontiert, welche medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden sollen und welche Therapiemaßnahmen, gerade am Lebensende, abzulehnen sind. Um Personen eine Anlaufstelle für derartige ethische Fragestellungen zu ermöglichen, wurden in den vergangenen 20 Jahren in deutschen Kliniken Ethikkomitees implementiert. Während Ethikkomitees bereits in vielen Klinken etabliert sind, gibt es für den außerklinischen Bereich (z.B. Seniorenheime, Hospize, Versorgung durch niedergelassene Ärzte) bisher wenig vergleichbare Beratungsangebote. Insbesondere ist bislang noch kaum wissenschaftlich untersucht, wie Ethikberatung im außerklinischen Bereich implementiert werden kann und welches Beratungsangebot für den Bedarf an ethischer Entscheidungsunterstützung angemessen ist. Als eine der ersten Initiativen bundesweit wurde 2012 in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land eine „Außerklinischen Ethikberatung“ für die Patientenversorgung außerhalb des Krankenhauses etabliert. Sie bot damit einen idealen Untersuchungsgegenstand für die vorliegende, von 2013 bis 2015 durchgeführte explorativ-empirische Evaluationsstudie. Die übergreifende Zielsetzung bestand darin, die Erfahrungen bei der Implementierung und Durchführung des Beratungsangebots systematisch wissenschaftlich zu untersuchen und damit wesentliche Erkenntnisse für die Weiterentwicklung von ethischen Beratungsangeboten in der nicht-klinischen Patientenversorgung zu gewinnen. Methode: Für die wissenschaftliche Untersuchung der „Außerklinischen Ethikberatung“ wurde ein achtstufiges Evaluationsmodell in Anlehnung an die Responsive Evaluation nach Stake sowie die Fourth Generation Evaluation nach Guba und Lincoln entwickelt. Sie umfasste sowohl qualitative als auch quantitative sozialempirische Elemente. Im Rahmen der Evaluation wurden drei Experteninterviews, 19 Interviews mit Mitgliedern der „Außerklinischen Ethikberatung“ sowie zehn Interviews mit ratsuchenden Personen (Angehörige und gesetzliche Betreuer) durchgeführt. Des Weiteren erfolgte eine Fragebogenerhebung, an der 58 in der Region praktizierende Allgemeinmediziner teilnahmen. Ergebnisse: Die Gründer und die Mitglieder der „Außerklinischen Ethikberatung“ gaben an, dass das Beratungsangebot erfolgreich implementiert werden konnte und überwiegend gut angenommen werde. Dies spiegelte sich in der Anzahl der durchgeführten Beratungen wider. Insgesamt erfolgten seit Gründung 48 ethische Fallgespräche. Den vorhandenen Bedarf an einem ethischen Beratungsangebot im außerklinischen Bereich bestätigten die Ergebnisse der Fragebogenerhebung. Insgesamt gaben 96,6% der befragten Hausärzte an, dass sie mit ethischen Fragestellungen konfrontiert würden. Dabei stehen vor allem ethische Fragen bei der Behandlung von Patienten in hohem Alter und bei der palliativmedizinischen Versorgung sowie die Vermeidung unangemessener Hospitalisationen im Vordergrund. 17 der 58 befragten Hausärzte gaben an, das Angebot einer ethischen Fallberatung bereits genutzt zu haben. 16 Hausärzte sowie 9 ratsuchende Personen, die bereits an einem Fallgespräch teilgenommen hatten, bewerteten das Beratungsangebot positiv. Besonders hervorzuheben ist die empfundene Entlastung der Hausärzte sowie der Angehörigen durch die kompetente Moderation. Ein Allgemeinmediziner sowie eine ratsuchende Person äußerten aber auch Kritik. Zum einen wäre eine Beantwortung der ethischen Fragestellung auch ohne Beratung möglich gewesen, zum anderen hätten sich die Ethikberater instrumentalisieren lassen und keine neutrale Beratung durchgeführt. Fazit: Die Ergebnisse bestätigen den Eindruck, dass ein Bedarf an ethischen Beratungsangeboten im außerklinischen Bereich vorhanden ist. Aufgrund dieser Aussagen sollten die Erfahrungen zur Implementierung und zum Aufbau der Beratung weitergegeben werden und von wissenschaftlicher Seite unterstützt werden.

Abstract

Background and Aims: As a result of the rapid growth of medical knowledge, physicians, patients and their family caregivers increasingly face difficult decisions about the most appropriate course of treatment in the given context. Particularly in the case of patients who approach the end of their lives, deciding which of the available life-sustaining treatments should be carried out – and which should be rejected – is a challenging task. Over the past 20 years, clinical ethics committees have been set up in German hospitals to provide guidance on how to approach these ethical issues. While such committees are now quite well established in hospitals, relatively little ethics support is available in non-clinical settings, such as nursing homes, hospices and doctors’ offices. Especially, there has not yet been investigated how ethics consultations in the outpatient area may be implemented. In addition, it has not yet been researched which type of consultation is appropriate for the need of ethical decision support. In 2012, a group of local professionals in Traunstein and Berchtesgaden launched the initiative „Außerklinischen Ethikberatung“ (out-patient ethics consultation) as one of the first initiatives nationwide, with the goal to provide such support and advice for all those involved in the non-clinical health care sector. During the period 2013-2015, the initiative was a perfect subject to the explorative empirical evaluation. The primary aim of this study was to elicit and document the experiences with the implementation of this new consultation service. In addition, general experiences with the out-patient ethics consultation should be scientifical documented for getting some findings about the development of consultation services in the out-patient area. Methods: For the study, an eight-part evaluation model was developed, which incorporates elements of Stake’s Responsive Evaluation and the so-called Fourth Generation Evaluation method after Guba and Lincoln. It includes both qualitative and quantitative content. In the course of the evaluation, interviews were conducted with three experts in the field, 19 members of the initiative and 10 caregivers (relatives and legal guardians) who had used the service. In addition, 58 general practitioners (GPs) in the area served by the initiative responded to a questionnaire on the subject. Results: Both the founders of the initiative and its members reported that the initial implementation phase had progressed smoothly, and that the ethics counseling services have predominantly been well accepted. This is reflected in the number of consultations that have been held. In all, 48 cases had been considered since the service went into operation. The questionnaire-based data confirmed the need for ethics consultation in non-clinical settings. Overall, 96.6% of the participating GPs stated that they had been confronted with ethical problems. The main topics are issues in patient care at old age, palliative care issues and the avoidance of unreasonable hospitalization. Of the 58 GPs who responded to the questionnaire, 17 stated that they had already used the service. Sixteen of the GPs and 9 of the relatives/guardians interviewed rated the interaction positively, citing in particular how the involvement of competent moderators can relief the burdens placed on both physicians and family caregivers in this context. However, one GP and one of those who had sought advice offered wide-ranging criticisms of the system. These included the assertions that a similar solution of the ethical problem could have been reached without expert advice, and that counselors had allowed themselves to be unduly influenced and had not conducted the consultation in an unbiased fashion. Conclusion: The results suggest that there is indeed a need for counseling services in medical ethics in non-clinical settings. Hence, the data relating to their implementation and development collected in this study should be circulated as widely as possible, with the support of the medical profession.