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Begutachtungsmedizin in Deutschland am Beispiel Bayern. eine Befragung unter 548 medizinischen und psychologischen Sachverständigen in Bayern 2013
Begutachtungsmedizin in Deutschland am Beispiel Bayern. eine Befragung unter 548 medizinischen und psychologischen Sachverständigen in Bayern 2013
Das medizinische und psychologische Begutachtungswesen steht aufgrund seiner Bedeutung immer wieder in der Diskussion. Dabei steht besonders die Frage im Raum, inwieweit Gutachten objektiv, unabhängig und neutral sind. Auch die derzeitige Bundesregierung nimmt sich diesem Thema an und formuliert in ihrem Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten.“ vom 16.12.2013 folgendes Vorhaben: „Wir wollen […] die Neutralität gerichtlich beigezogener Sachverständiger gewährleisten und in Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden die Qualität von Gutachten insbesondere im familiengerichtlichen Bereich verbessern.“ (CDU/CSU - SPD - Regierung 2013: 107). Für dieses Vorhaben fehlte es vor der vorliegenden Studie an aktueller wissenschaftlicher Basis. Die bis dato existenten Daten stammten aus dem Jahre 1991 und beschränkten sich mit einer Fallzahl von 79 Personen auf die Sicht der Psychologie und Kriminalistik (vgl. Böttger et al. 1991). Ziel der vorliegenden Dissertationsarbeit war es, die Daten von Böttger et al. bezüglich ihrer Aktualität zu überprüfen und eine aktuelle, breite wissenschaftliche Basis für die Bewertung und ggf. Neuregelung des Gutachterwesens in den Bereichen Medizin, Zahnmedizin und Psychologie zu schaffen – aus der Sicht der Medizin. Hierzu wurde im Rahmen der vorliegenden Dissertation im November 2013 eine Studie zur „Begutachtungsmedizin in Deutschland am Beispiel Bayern“ durchgeführt. Im Zuge dieser Untersuchung wurden an 583 über das Internet ermittelte medizinische und psychologische Gutachter in Bayern Fragebogen versandt. 548 Briefe waren zustellbar; 252 Personen (161 Ärzte – darunter 55 Psychiater, 49 Zahnmediziner und 42 Psychologen) beteiligten sich an der Umfrage. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 46,0 Prozent. Neben der hohen Beteiligung an der Umfrage zeigen vor allem die zahlreich ergänzten Anmerkungen und Vorschläge, die auf den Fragebogen vermerkt wurden, die Aktualität und Brisanz dieses Themas. Bei der Befragung gab nahezu jeder vierte gutachterlich tätige Sachverständige im medizinisch/psychologischen Bereich an, bei einem von einem Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten schon einmal „in Einzelfällen“ oder „häufig“ (wenige Nennungen) bei einem Gutachtensauftrag eine Tendenz signalisiert bekommen zu haben. Unter humanmedizinischen Gutachtern gab dies knapp jeder Fünfte, unter psychologischen Gutachtern fast jeder Zweite an. Darüber hinaus teilten 33,6 Prozent mit, aus dem Kollegenkreis schon einmal davon gehört zu haben, dass „in Einzelfällen“ oder „häufig“ bei einem gerichtlichen Gutachtensauftrag eine Tendenz genannt wurde. Zudem zeigte sich, dass unter den Gutachtern, die bei gerichtlich in Auftrag gegebenen Gutachten „in Einzelfällen“ oder „häufig“ eine Tendenz signalisiert bekommen haben, durchschnittlich 40,7 Prozent angaben, mehr als 50 Prozent ihrer Einnahmen aus gutachterlichen Tätigkeiten zu beziehen. Die der vorliegenden Studie zu entnehmenden Zahlen und Aussagen beruhen auf schriftlichen Äußerungen von Ärzten und Psychologen, die als Sachverständige für Privatpersonen, Versicherungen und Gerichte im Bundesland Bayern tätig sind. Sie geben Anstoß zur Diskussion, insbesondere bezüglich der Häufigkeit der Tendenzsignalisierung sowie der vergleichsweise hohen wirtschaftlichen Abhängigkeit vieler Gutachter von Gutachtensaufträgen. Grundsätzlich müssen Gutachter ihre Gutachten unbeeinflusst erstellen. Die Signalisierung einer Tendenz bei Auftragserteilung durch den Auftraggeber steht diesem Grundsatz entgegen. Kommt eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Sachverständigen von Gutachtensaufträgen dazu, wovon bei einem Anteil von mehr als 50 Prozent Gutachtenhonoraren an den Gesamteinnahmen auszugehen ist, ist die geforderte Neutralität gefährdet. Es besteht ganz offensichtlich Handlungsbedarf und es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, für die Unabhängigkeit und Neutralität des Gutachterwesens Sorge zu tragen, damit das Vertrauen in das Gutachterwesen und in die Funktionsfähigkeit unseres Rechtssystems auch künftig erhalten bleibt. Ein entsprechender Vorschlag zur gesetzlichen Regelung des Begutachtungswesens wird deshalb im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt.
Gutachter, Sachverständiger
Jordan, Benedikt
2016
German
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Jordan, Benedikt (2016): Begutachtungsmedizin in Deutschland am Beispiel Bayern: eine Befragung unter 548 medizinischen und psychologischen Sachverständigen in Bayern 2013. Dissertation, LMU München: Faculty of Medicine
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Abstract

Das medizinische und psychologische Begutachtungswesen steht aufgrund seiner Bedeutung immer wieder in der Diskussion. Dabei steht besonders die Frage im Raum, inwieweit Gutachten objektiv, unabhängig und neutral sind. Auch die derzeitige Bundesregierung nimmt sich diesem Thema an und formuliert in ihrem Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten.“ vom 16.12.2013 folgendes Vorhaben: „Wir wollen […] die Neutralität gerichtlich beigezogener Sachverständiger gewährleisten und in Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden die Qualität von Gutachten insbesondere im familiengerichtlichen Bereich verbessern.“ (CDU/CSU - SPD - Regierung 2013: 107). Für dieses Vorhaben fehlte es vor der vorliegenden Studie an aktueller wissenschaftlicher Basis. Die bis dato existenten Daten stammten aus dem Jahre 1991 und beschränkten sich mit einer Fallzahl von 79 Personen auf die Sicht der Psychologie und Kriminalistik (vgl. Böttger et al. 1991). Ziel der vorliegenden Dissertationsarbeit war es, die Daten von Böttger et al. bezüglich ihrer Aktualität zu überprüfen und eine aktuelle, breite wissenschaftliche Basis für die Bewertung und ggf. Neuregelung des Gutachterwesens in den Bereichen Medizin, Zahnmedizin und Psychologie zu schaffen – aus der Sicht der Medizin. Hierzu wurde im Rahmen der vorliegenden Dissertation im November 2013 eine Studie zur „Begutachtungsmedizin in Deutschland am Beispiel Bayern“ durchgeführt. Im Zuge dieser Untersuchung wurden an 583 über das Internet ermittelte medizinische und psychologische Gutachter in Bayern Fragebogen versandt. 548 Briefe waren zustellbar; 252 Personen (161 Ärzte – darunter 55 Psychiater, 49 Zahnmediziner und 42 Psychologen) beteiligten sich an der Umfrage. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 46,0 Prozent. Neben der hohen Beteiligung an der Umfrage zeigen vor allem die zahlreich ergänzten Anmerkungen und Vorschläge, die auf den Fragebogen vermerkt wurden, die Aktualität und Brisanz dieses Themas. Bei der Befragung gab nahezu jeder vierte gutachterlich tätige Sachverständige im medizinisch/psychologischen Bereich an, bei einem von einem Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten schon einmal „in Einzelfällen“ oder „häufig“ (wenige Nennungen) bei einem Gutachtensauftrag eine Tendenz signalisiert bekommen zu haben. Unter humanmedizinischen Gutachtern gab dies knapp jeder Fünfte, unter psychologischen Gutachtern fast jeder Zweite an. Darüber hinaus teilten 33,6 Prozent mit, aus dem Kollegenkreis schon einmal davon gehört zu haben, dass „in Einzelfällen“ oder „häufig“ bei einem gerichtlichen Gutachtensauftrag eine Tendenz genannt wurde. Zudem zeigte sich, dass unter den Gutachtern, die bei gerichtlich in Auftrag gegebenen Gutachten „in Einzelfällen“ oder „häufig“ eine Tendenz signalisiert bekommen haben, durchschnittlich 40,7 Prozent angaben, mehr als 50 Prozent ihrer Einnahmen aus gutachterlichen Tätigkeiten zu beziehen. Die der vorliegenden Studie zu entnehmenden Zahlen und Aussagen beruhen auf schriftlichen Äußerungen von Ärzten und Psychologen, die als Sachverständige für Privatpersonen, Versicherungen und Gerichte im Bundesland Bayern tätig sind. Sie geben Anstoß zur Diskussion, insbesondere bezüglich der Häufigkeit der Tendenzsignalisierung sowie der vergleichsweise hohen wirtschaftlichen Abhängigkeit vieler Gutachter von Gutachtensaufträgen. Grundsätzlich müssen Gutachter ihre Gutachten unbeeinflusst erstellen. Die Signalisierung einer Tendenz bei Auftragserteilung durch den Auftraggeber steht diesem Grundsatz entgegen. Kommt eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Sachverständigen von Gutachtensaufträgen dazu, wovon bei einem Anteil von mehr als 50 Prozent Gutachtenhonoraren an den Gesamteinnahmen auszugehen ist, ist die geforderte Neutralität gefährdet. Es besteht ganz offensichtlich Handlungsbedarf und es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, für die Unabhängigkeit und Neutralität des Gutachterwesens Sorge zu tragen, damit das Vertrauen in das Gutachterwesen und in die Funktionsfähigkeit unseres Rechtssystems auch künftig erhalten bleibt. Ein entsprechender Vorschlag zur gesetzlichen Regelung des Begutachtungswesens wird deshalb im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt.