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Schaf- und Ziegenhaltung in der Tiergestützten Intervention. Schwerpunkt Jugendfarmen und verwandte Einrichtungen
Schaf- und Ziegenhaltung in der Tiergestützten Intervention. Schwerpunkt Jugendfarmen und verwandte Einrichtungen
Schafe und Ziegen werden regelmäßig im Rahmen tiergestützter Interventionen (TGI) eingesetzt. Obwohl tiergestützt arbeitende Projekte in Deutschland seit langem existieren, wurde erst durch die in den letzten Jahren angestrebte Professionalisierung dieses Arbeitsfeldes deutlich, wie wenig Informationen über diese Nutzungsform bisher vorhanden sind, die z.B. von den veterinärmedizinischen Überwachungsbehörden oder Praktikern genutzt werden können. Daher soll diese Arbeit darstellen, warum eine Haltung von Schafen und Ziegen in der TGI sinnvoll ist, wie sich solche Haltung und Nutzung aktuell gestaltet, ob sie die Tiere in besonderem Maße belastet, ob Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit nötig sind und ob die rechtliche Einordnung der Einrichtungen geeignet ist, das Wohlbefinden der Tiere zu schützen. Zu diesem Zweck wurde zunächst die Relevanz und rechtliche Stellung tiergestützter Arbeit mit Schafen und Ziegen anhand der zum Thema vorhandenen Literatur erarbeitet. Im Folgenden wurden neun Jugendfarmen und Aktivspielplätze in Bayern und Baden-Württemberg besucht (insgesamt 25 Schafe, 32 Ziegen), um durch die Beantwortung eines Fragebogens und eigene Beobachtungen vor Ort einen Eindruck von der ‚Arbeit‘ und Haltung der Tiere in den Einrichtungen zu gewinnen. Um festzustellen, ob Einsatz oder Haltungspraxis die Tiere belasten, wurden der allgemeine Gesundheitszustand und parasitologische Status der Tiere, ihr Grund- und Sozialverhalten und dessen Beeinflussung durch die Anwesenheit von Personen (Direktbeobachtungen), ihr Verhalten gegenüber dem Menschen (Direktbeob-achtungen, Reaktionsproben) sowie ihre Herzfrequenz und Herzratenvariabilität und die Kotkortisolmetabolitenkonzentration über 24-Stunden erfasst. Untersuchungen auf potentielle Zoonoseerreger lieferten Informationen zur Reservoirfunktion der Tiere. Die Schafe und Ziegen werden in den Einrichtungen vorwiegend passiv genutzt. Durch die Übernahme von Verantwortung bei ihrer Versorgung sollen Kinder und Jugendliche im urbanen Umfeld in ihrer Entwicklung gefördert werden, Erfahrungen mit Nutztieren machen und den Tierschutzgedanken verinnerlichen. Die gemeinnützigen Nutztierhaltungen fallen nicht unter die Erlaubnis- und Sachkundepflicht nach §11 TierSchG, sondern unterliegen nur der Beaufsichtigung nach §16 TierSchG. Die besuchten Haltungen sind überwiegend als tiergerecht zu bezeichnen. Die Tiere zeigten keine Verhaltensstörungen und artgemäßes Grundverhalten (z.B. Wiederkauzeit/24-Stunden: Ziegen im Mittel 7 ¾ Stunden, Schafe 9 Stunden). Direkte Personenkontakte waren in allen Einrichtungen deutlich seltener als erwartet (ca. 2 Stunden/Öffnungstag direkter Mensch-Tier-Kontakt möglich). Die Anwesenheit von Personen führte zu keiner signifikanten Zunahme antagonistischer Interaktionen. Der überwiegende Teil der Tiere zeigt eine neutrale bis positive Einstellung gegenüber dem Menschen (z.B. Voluntary-Approach-Test: Annäherung 42,1% der Tiere; sich nicht nähernde Tiere: 24,2% ängstlich, 75,8% desinteressiert). Die Ergebnisse der Kotkortisolmetabolitenbestimmungen stützen die in den Verhaltensbeobachtungen gewonnenen Erkenntnisse. Im Median lag die Kotkortisolmetabolitenkonzentration über 24 Stunden bei Ziegen bei 267 ng/g, bei Schafen bei 244 ng/g. Während der Öffnungszeiten (zusätzliche Bewegungs-möglichkeiten, min. 1 Fütterung) lagen die Werte signifikant höher als vor der Öffnung (Ziegen: 256 ng/g bzw. 353 ng/g, p = 0,003; Schafe: 224 ng/g bzw. 281 ng/g, p = 0,016). Insgesamt ergaben sich keine eindeutigen Hinweise auf eine besondere Belastung. STEC wurden sehr häufig nachgewiesen (Schafe: 100%; Ziegen: 89,3%). Während weder Salmonella spp. noch Coxiella burnetii gefunden wurden, gelang der Nachweis von Staphylococcus spp. bei jeweils 75% der Tiere. Ein Anteil von 25% der Schafe bzw. 14,3% der Ziegen erwiesen sich als Träger von Campylobacter spp. Beide Tierarten sind somit Reservoir für potentielle Zoonoseerreger. Aus den Untersuchungen ist zu schließen, dass für die tiergestützte Arbeit mit Schafen und Ziegen ein gesonderter rechtlicher Rahmen (Betreuungsverträge, Kennzeichnung) sinnvoll ist. Die Art der Nutzung und Haltung der kleinen Wiederkäuer gefährdet das Wohlbefinden der Tiere nicht grundsätzlich und kann neben den förderlichen Effekten für den Menschen zu einer Verbesserung der Stellung von Nutztieren in der Gesellschaft führen. Die Auswahl der Schafe und Ziegen für eine TGI muss das artspezifische und individuelle Verhalten beachten, um ihre Eignung für den angestrebten Einsatz zu gewährleisten. Eine Sensibilisierung tiergestützt Arbeitender für die Thematik Zoonosen und die Implementierung betriebsindividueller Hygiene- und Impfkonzepte ist sinnvoll.
kleine Wiederkäuer, Schaf, Ziege, Tiergestützte Intervention, Haltung, Belastung, Zoonosen, Jugendfarmen
Schilling, Anna-Katarina
2013
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Schilling, Anna-Katarina (2013): Schaf- und Ziegenhaltung in der Tiergestützten Intervention: Schwerpunkt Jugendfarmen und verwandte Einrichtungen. Dissertation, LMU München: Tierärztliche Fakultät
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Abstract

Schafe und Ziegen werden regelmäßig im Rahmen tiergestützter Interventionen (TGI) eingesetzt. Obwohl tiergestützt arbeitende Projekte in Deutschland seit langem existieren, wurde erst durch die in den letzten Jahren angestrebte Professionalisierung dieses Arbeitsfeldes deutlich, wie wenig Informationen über diese Nutzungsform bisher vorhanden sind, die z.B. von den veterinärmedizinischen Überwachungsbehörden oder Praktikern genutzt werden können. Daher soll diese Arbeit darstellen, warum eine Haltung von Schafen und Ziegen in der TGI sinnvoll ist, wie sich solche Haltung und Nutzung aktuell gestaltet, ob sie die Tiere in besonderem Maße belastet, ob Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit nötig sind und ob die rechtliche Einordnung der Einrichtungen geeignet ist, das Wohlbefinden der Tiere zu schützen. Zu diesem Zweck wurde zunächst die Relevanz und rechtliche Stellung tiergestützter Arbeit mit Schafen und Ziegen anhand der zum Thema vorhandenen Literatur erarbeitet. Im Folgenden wurden neun Jugendfarmen und Aktivspielplätze in Bayern und Baden-Württemberg besucht (insgesamt 25 Schafe, 32 Ziegen), um durch die Beantwortung eines Fragebogens und eigene Beobachtungen vor Ort einen Eindruck von der ‚Arbeit‘ und Haltung der Tiere in den Einrichtungen zu gewinnen. Um festzustellen, ob Einsatz oder Haltungspraxis die Tiere belasten, wurden der allgemeine Gesundheitszustand und parasitologische Status der Tiere, ihr Grund- und Sozialverhalten und dessen Beeinflussung durch die Anwesenheit von Personen (Direktbeobachtungen), ihr Verhalten gegenüber dem Menschen (Direktbeob-achtungen, Reaktionsproben) sowie ihre Herzfrequenz und Herzratenvariabilität und die Kotkortisolmetabolitenkonzentration über 24-Stunden erfasst. Untersuchungen auf potentielle Zoonoseerreger lieferten Informationen zur Reservoirfunktion der Tiere. Die Schafe und Ziegen werden in den Einrichtungen vorwiegend passiv genutzt. Durch die Übernahme von Verantwortung bei ihrer Versorgung sollen Kinder und Jugendliche im urbanen Umfeld in ihrer Entwicklung gefördert werden, Erfahrungen mit Nutztieren machen und den Tierschutzgedanken verinnerlichen. Die gemeinnützigen Nutztierhaltungen fallen nicht unter die Erlaubnis- und Sachkundepflicht nach §11 TierSchG, sondern unterliegen nur der Beaufsichtigung nach §16 TierSchG. Die besuchten Haltungen sind überwiegend als tiergerecht zu bezeichnen. Die Tiere zeigten keine Verhaltensstörungen und artgemäßes Grundverhalten (z.B. Wiederkauzeit/24-Stunden: Ziegen im Mittel 7 ¾ Stunden, Schafe 9 Stunden). Direkte Personenkontakte waren in allen Einrichtungen deutlich seltener als erwartet (ca. 2 Stunden/Öffnungstag direkter Mensch-Tier-Kontakt möglich). Die Anwesenheit von Personen führte zu keiner signifikanten Zunahme antagonistischer Interaktionen. Der überwiegende Teil der Tiere zeigt eine neutrale bis positive Einstellung gegenüber dem Menschen (z.B. Voluntary-Approach-Test: Annäherung 42,1% der Tiere; sich nicht nähernde Tiere: 24,2% ängstlich, 75,8% desinteressiert). Die Ergebnisse der Kotkortisolmetabolitenbestimmungen stützen die in den Verhaltensbeobachtungen gewonnenen Erkenntnisse. Im Median lag die Kotkortisolmetabolitenkonzentration über 24 Stunden bei Ziegen bei 267 ng/g, bei Schafen bei 244 ng/g. Während der Öffnungszeiten (zusätzliche Bewegungs-möglichkeiten, min. 1 Fütterung) lagen die Werte signifikant höher als vor der Öffnung (Ziegen: 256 ng/g bzw. 353 ng/g, p = 0,003; Schafe: 224 ng/g bzw. 281 ng/g, p = 0,016). Insgesamt ergaben sich keine eindeutigen Hinweise auf eine besondere Belastung. STEC wurden sehr häufig nachgewiesen (Schafe: 100%; Ziegen: 89,3%). Während weder Salmonella spp. noch Coxiella burnetii gefunden wurden, gelang der Nachweis von Staphylococcus spp. bei jeweils 75% der Tiere. Ein Anteil von 25% der Schafe bzw. 14,3% der Ziegen erwiesen sich als Träger von Campylobacter spp. Beide Tierarten sind somit Reservoir für potentielle Zoonoseerreger. Aus den Untersuchungen ist zu schließen, dass für die tiergestützte Arbeit mit Schafen und Ziegen ein gesonderter rechtlicher Rahmen (Betreuungsverträge, Kennzeichnung) sinnvoll ist. Die Art der Nutzung und Haltung der kleinen Wiederkäuer gefährdet das Wohlbefinden der Tiere nicht grundsätzlich und kann neben den förderlichen Effekten für den Menschen zu einer Verbesserung der Stellung von Nutztieren in der Gesellschaft führen. Die Auswahl der Schafe und Ziegen für eine TGI muss das artspezifische und individuelle Verhalten beachten, um ihre Eignung für den angestrebten Einsatz zu gewährleisten. Eine Sensibilisierung tiergestützt Arbeitender für die Thematik Zoonosen und die Implementierung betriebsindividueller Hygiene- und Impfkonzepte ist sinnvoll.