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Klinisch-Neuropsychologische Charakteristika von Mild Cognitive Impairment (MCI) und Depression
Klinisch-Neuropsychologische Charakteristika von Mild Cognitive Impairment (MCI) und Depression
Das Konzept des Mild Cognitive Impairment (MCI) dient zur Beschreibung von kognitiven Beeinträchtigungen, die zwischen dem als normal geltenden Leistungsprofil Älterer und der Schwelle einer Demenz anzusiedeln sind. Vor dem Hintergrund einer prognostizierten Überalterung der Bevölkerungsstruktur und einem damit verbundenen Anstieg der Prävalenz von dementiellen Erkrankungen besteht in Forschung und klinischer Praxis wachsendes Interesse an diesem Übergangsbereich. Aufgrund des Fehlens einer einheitlichen Definition sowie internationaler klinischer Diagnosekriterien handelt es sich bei MCI um ein sehr vages Konzept. Zudem können MCI-Patienten im klinischen Alltag nicht befriedigend von Depressiven mit kognitiven Einbußen abgegrenzt werden. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung war es, die klinisch-neuropsychologischen Charakteristika von MCI und Depression herauszuarbeiten. Zur empirischen Begründung einer möglichen Differentialdiagnose sollten darüber hinaus Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit zwischen MCI-Patienten und kognitiv beeinträchtigten Depressiven erfasst werden. Die Stichprobe umfasste 24 MCI-Patienten, 50 Patienten mit Depression sowie 20 gesunde Kontrollprobanden im Alter zwischen 55 und 74 Jahren. Mithilfe standardisierter neuropsychologischer Testverfahren wurden die kognitiven Bereiche Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen untersucht. Beide Patientengruppen wiesen im Vergleich zur Kontrollgruppe in allen kognitiven Domänen schlechtere Leistungen auf. MCI-Patienten und Depressive unterschieden sich in keinem der Testverfahren signifikant voneinander. Auch hinsichtlich der Anzahl der beeinträchtigten Patienten in den verschiedenen Verfahren bestand kein signifikanter Gruppenunterschied. Um Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit über die Zeit hinweg zu verfolgen, wurde bei einem Teil der Patienten eine Verlaufsuntersuchung mit allen neuropsychologischen Testverfahren durchgeführt. Diese fand bei depressiven Patienten kurz vor Entlassung aus der stationären Behandlung, bei MCI-Patienten nach 6 Monaten statt. Trotz Besserung der affektiven Symptomatik zeigten sich bei den Depressiven keine signifikanten Leistungssteigerungen. Auch bei den MCI-Patienten fanden sich keine Leistungsveränderungen. Wurden allerdings die bei der Kontrollgruppe beobachteten „Übungseffekte“ in die Verlaufsleistungen der MCI-Patienten einbezogen, so ergaben sich Leistungsabfälle im verbalen Lernen sowie in der unmittelbaren und verzögerten Textreproduktion. Zusätzlich wurden in der vorliegenden Untersuchung Messinstrumente eingesetzt, um die Patientengruppen hinsichtlich der Selbsteinschätzung kognitiver Leistungen und der Fähigkeit zur Bewältigung von Aktivitäten des täglichen Lebens zu betrachten. Dabei gaben depressive Patienten im Vergleich zu Gesunden stärkere Beeinträchtigungen in der Alltagsbewältigung an. Die beiden Patientengruppen unterschieden sich hinsichtlich dieses Aspekts nicht voneinander. Bei der Selbsteinschätzung der Kognition wurden die häufigsten und größten Probleme im Bereich Gedächtnis berichtet. Das gezielte Fragen nach subjektiven Einbußen scheint vor allem in den Bereichen Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen wichtig zu sein. Grundsätzlich ist unklar, welchen Gütemaßstab Patienten bei der Beurteilung ihrer kognitiven Funktionen einsetzen. Die Ähnlichkeit von MCI und Depression in der kognitiven Leistungsfähigkeit könnte ein Hinweis darauf sein, dass beiden Erkrankungen vergleichbare neuronale Veränderungen zugrunde liegen. Eine besondere Rolle scheint in diesem Zusammenhang der Fehlfunktion der HPA-Achse und einem daraus resultierenden Hypercortisolismus zuzukommen. Aufgrund der Ähnlichkeit von MCI und Depression auf neuropsychologischer Ebene wäre die Vergabe der Diagnosen „Depression mit/ohne MCI“ denkbar. In weiterführenden Untersuchungen muss geklärt werden, welche Auswirkung das Alter auf kognitive Leistungen depressiver Patienten tatsächlich hat. Um mögliche Gemeinsamkeiten von MCI und Depression aufzuzeigen, sollte weiterhin besonderes Augenmerk auf die neurobiologischen Auffälligkeiten der beiden Erkrankungen gelegt werden. Festgestellte Minderleistungen können bei Depression ebenso wie bei MCI ein Hinweis für eine beginnende pathologische Altersentwicklung sein und dürfen in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Vor dem Hintergrund sozioökonomischer und medizinischer Aspekte sowie der Lebensqualität der Betroffenen, sollte die Identifikation von Prädiktoren dementieller Entwicklungen ein zentrales Anliegen der Forschung sein.
Neuropsychologie, Psychiatrie, Neuropsychiatrie, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen
Thum, Sonja
2008
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Thum, Sonja (2008): Klinisch-Neuropsychologische Charakteristika von Mild Cognitive Impairment (MCI) und Depression. Dissertation, LMU München: Fakultät für Psychologie und Pädagogik
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Abstract

Das Konzept des Mild Cognitive Impairment (MCI) dient zur Beschreibung von kognitiven Beeinträchtigungen, die zwischen dem als normal geltenden Leistungsprofil Älterer und der Schwelle einer Demenz anzusiedeln sind. Vor dem Hintergrund einer prognostizierten Überalterung der Bevölkerungsstruktur und einem damit verbundenen Anstieg der Prävalenz von dementiellen Erkrankungen besteht in Forschung und klinischer Praxis wachsendes Interesse an diesem Übergangsbereich. Aufgrund des Fehlens einer einheitlichen Definition sowie internationaler klinischer Diagnosekriterien handelt es sich bei MCI um ein sehr vages Konzept. Zudem können MCI-Patienten im klinischen Alltag nicht befriedigend von Depressiven mit kognitiven Einbußen abgegrenzt werden. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung war es, die klinisch-neuropsychologischen Charakteristika von MCI und Depression herauszuarbeiten. Zur empirischen Begründung einer möglichen Differentialdiagnose sollten darüber hinaus Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit zwischen MCI-Patienten und kognitiv beeinträchtigten Depressiven erfasst werden. Die Stichprobe umfasste 24 MCI-Patienten, 50 Patienten mit Depression sowie 20 gesunde Kontrollprobanden im Alter zwischen 55 und 74 Jahren. Mithilfe standardisierter neuropsychologischer Testverfahren wurden die kognitiven Bereiche Aufmerksamkeit, Gedächtnis und exekutive Funktionen untersucht. Beide Patientengruppen wiesen im Vergleich zur Kontrollgruppe in allen kognitiven Domänen schlechtere Leistungen auf. MCI-Patienten und Depressive unterschieden sich in keinem der Testverfahren signifikant voneinander. Auch hinsichtlich der Anzahl der beeinträchtigten Patienten in den verschiedenen Verfahren bestand kein signifikanter Gruppenunterschied. Um Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit über die Zeit hinweg zu verfolgen, wurde bei einem Teil der Patienten eine Verlaufsuntersuchung mit allen neuropsychologischen Testverfahren durchgeführt. Diese fand bei depressiven Patienten kurz vor Entlassung aus der stationären Behandlung, bei MCI-Patienten nach 6 Monaten statt. Trotz Besserung der affektiven Symptomatik zeigten sich bei den Depressiven keine signifikanten Leistungssteigerungen. Auch bei den MCI-Patienten fanden sich keine Leistungsveränderungen. Wurden allerdings die bei der Kontrollgruppe beobachteten „Übungseffekte“ in die Verlaufsleistungen der MCI-Patienten einbezogen, so ergaben sich Leistungsabfälle im verbalen Lernen sowie in der unmittelbaren und verzögerten Textreproduktion. Zusätzlich wurden in der vorliegenden Untersuchung Messinstrumente eingesetzt, um die Patientengruppen hinsichtlich der Selbsteinschätzung kognitiver Leistungen und der Fähigkeit zur Bewältigung von Aktivitäten des täglichen Lebens zu betrachten. Dabei gaben depressive Patienten im Vergleich zu Gesunden stärkere Beeinträchtigungen in der Alltagsbewältigung an. Die beiden Patientengruppen unterschieden sich hinsichtlich dieses Aspekts nicht voneinander. Bei der Selbsteinschätzung der Kognition wurden die häufigsten und größten Probleme im Bereich Gedächtnis berichtet. Das gezielte Fragen nach subjektiven Einbußen scheint vor allem in den Bereichen Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen wichtig zu sein. Grundsätzlich ist unklar, welchen Gütemaßstab Patienten bei der Beurteilung ihrer kognitiven Funktionen einsetzen. Die Ähnlichkeit von MCI und Depression in der kognitiven Leistungsfähigkeit könnte ein Hinweis darauf sein, dass beiden Erkrankungen vergleichbare neuronale Veränderungen zugrunde liegen. Eine besondere Rolle scheint in diesem Zusammenhang der Fehlfunktion der HPA-Achse und einem daraus resultierenden Hypercortisolismus zuzukommen. Aufgrund der Ähnlichkeit von MCI und Depression auf neuropsychologischer Ebene wäre die Vergabe der Diagnosen „Depression mit/ohne MCI“ denkbar. In weiterführenden Untersuchungen muss geklärt werden, welche Auswirkung das Alter auf kognitive Leistungen depressiver Patienten tatsächlich hat. Um mögliche Gemeinsamkeiten von MCI und Depression aufzuzeigen, sollte weiterhin besonderes Augenmerk auf die neurobiologischen Auffälligkeiten der beiden Erkrankungen gelegt werden. Festgestellte Minderleistungen können bei Depression ebenso wie bei MCI ein Hinweis für eine beginnende pathologische Altersentwicklung sein und dürfen in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Vor dem Hintergrund sozioökonomischer und medizinischer Aspekte sowie der Lebensqualität der Betroffenen, sollte die Identifikation von Prädiktoren dementieller Entwicklungen ein zentrales Anliegen der Forschung sein.