Ulmer-Stein, Lisa (2025): Die Situation von schwangeren und stillenden Tierärztinnen in Deutschland - eine qualitative Studie. Dissertation, LMU München: Tierärztliche Fakultät |
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Abstract
Mit der Novellierung des Mutterschutzgesetzes 2018 sollte die Weiterbeschäftigung schwangerer und stillender Frauen erleichtert werden. Die Gefährdungsbeurteilung spielt hierbei eine zentrale Rolle. Die Tiermedizin ist im Gesundheitswesen das Berufsfeld, mit den meisten chemischen, biologischen und physischen Gefahren. Im Zusammenhang mit der Feminisierung der Tiermedizin, stellen diese Faktoren das Berufsfeld zunehmend vor Herausforderungen. Während sich in der Humanmedizin bereits negative Effekte durch die vorschnelle Aussprache von absoluten Beschäftigungsverboten gezeigt haben, fehlen in der Veterinärmedizin bisher umfassenden Untersuchungen hierzu. Auch ist wenig zur Situation von selbstständig tätigen Müttern bekannt, die im gesetzlichen Mutterschutz nicht berücksichtigt werden. Ziel dieser Studie war es, die Situation von schwangeren und selbstständigen Tierärztinnen in Deutschland darzustellen. Hierbei lag der Fokus auf der Umsetzung des Mutterschutzgesetzes in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern. Daraus abgeleitet sollte ein Einblick in die psychosozialen und beruflichen Folgen gegeben werden, verursacht durch einerseits den Einsatz eines ausgiebigen Mutterschutzes anhand von Beschäftigungsverboten und andererseits dem Mangel an gesetzlichen Regelungen für selbstständig tätige Frauen. Des Weiteren wurde untersucht, ob absolute Beschäftigungsverbote eine mögliche Ursache für den Fachkräftemangel sein könnte. Hierfür wurde ein qualitatives Studiendesign gewählt, in dem 14 Tierärztinnen aus den Tätigkeitsfeldern Praxis, öffentlicher Dienst, Forschung und Industrie, deren (erste) Schwangerschaft mindestens 4 Jahre zurücklag, anhand von problemzentrierten Interviews befragt wurden. Die Aussagen wurden nach dem Schema der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Von den 14 befragten Tierärztinnen waren 12 vor der ersten Schwangerschaft in der kurativen Praxis angestellt. Alle äußerten bereits damals Zweifel an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hauptgründe dafür waren überlange Arbeitszeiten, viele Überstunden, schlechte Bezahlung, fehlende Anerkennung und ein hoher Leistungsdruck seitens der Arbeitgebenden und der Gesellschaft. Dies führte bei sieben dieser 12 Tierärztinnen zu einem Berufsfeldwechsel nach der der Familiengründung. Bezüglich der Umsetzung des Mutterschutzgesetzes durch die Arbeitgebenden zeigte sich, dass die Zufriedenheit der Tierärztinnen stark vom Grad des Beschäftigungsverbotes und der Mitbestimmung bei der Aufgabenverteilung abhing. Der Tierkontakt wurde bei vier Tierärztinnen, beschäftigt im Veterinäramt oder in der Forschung, reduziert und nicht vollständig unterbunden. Acht Tierärztinnen in der kurativen Praxis oder mit Tätigkeit am Schlachthof erhielten mit der Schwangerschaftsmitteilung ein absolutes Beschäftigungsverbot. Sechs dieser Tierärztinnen hatten ihre Familienpläne im Vorfeld offen mit ihren Arbeitgebenden besprochen, um eine bessere Vorbereitung auf die neue Situation zu ermöglichen. Dennoch führte dies in den meisten Fällen nicht zu einer Umgestaltung des Arbeitsplatzes. Begründungen der Arbeitgebenden hierfür waren, dass das Risiko einer Weiterbeschäftigung für sie zu hoch oder dass die Anpassung des Arbeitsplatzes finanziell nicht attraktiv sei. Auf die Schwangerschaftsmitteilung folgte häufig eine negative Veränderung des kollegialen Verhältnisses. Von den acht Tierärztinnen wurden sechs auch während ihrer gesamten Stillzeit von der Arbeit freigestellt. Zwei Tierärztinnen wurden während ihres Beschäftigungsverbotes in der Stillzeit gekündigt. Die Frage nach dem Wunsch einer Weiterbeschäftigung während der Schwangerschaft wurde bis auf eine Ausnahme bejaht. Zentral stand hierbei die Möglichkeit, die Art ihrer Tätigkeiten mitzubestimmen. Die Ablehnung durch die Arbeitgebenden führte bei vielen zu einem Gefühl des Selbstbestimmungsverlustes. Vier der befragten Tierärztinnen entschieden sich deshalb dazu, ihre Schwangerschaft zunächst zu verschweigen, um kein Beschäftigungsverbot zu riskieren. Hierbei ergriffen die Tierärztinnen eigenständig Schutzmaßnahmen. Bei knapp 60 % der angestellten Tierärztinnen riefen die Beschäftigungsverbote vor allem Sorgen bezüglich der beruflichen Zukunft hervor. Die Sorge vor einem Kompetenzverlust durch die lange Abwesenheit vom Beruf sorgte für einen Verlust des Selbstvertrauens. Hierdurch orientierten sich einige Tierärztinnen in andere Richtungen, fernab der kurativen Praxis. Die Arbeitgeberinnen zeigten großen Respekt vor der Verantwortung, die eine Weiterbeschäftigung schwangerer Mitarbeiterinnen im gewohnten Tätigkeitsfeld mit sich bringt. Hierbei spielte die Sorge um die Schuldfrage eine große Rolle. Auch große Unsicherheiten bezüglich der Gefährdungsbeurteilungen wurden deutlich. Zwei Arbeitgeberinnen wurde von der Weiterbeschäftigung einer schwangeren Mitarbeiterin durch die Tierärztekammer abgeraten. Die Arbeitgeberinnen hatten auch die Erfahrung gemacht, dass manche Arbeitnehmerinnen ein Beschäftigungsverbot wünschen. Die Familiengründung während einer Selbstständigkeit stellte sich bei den befragten Tierärztinnen als herausfordernd heraus. Zentral hierbei standen die fehlende finanzielle Kompensation bei Arbeitsausfall, der Fachkräftemangel und ein hoher Druck der Kundschaft, der Familie und den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Selbstständige Tierärztinnen setzten während ihrer Schwangerschaften erhöhte Schutzkonzepte um und delegierten riskante Tätigkeiten an Kolleg:innen. Sie nahmen ihre Praxistätigkeiten noch im Wochenbett wieder auf. Dies hatte für zwei der Tierärztinnen körperliche Konsequenzen. Rückblickend würden sich die niedergelassenen Tierärztinnen nicht mehr vor oder während der Familiengründung selbstständig machen. Alle Tierärztinnen kamen bei der Frage zu dem idealen Arbeitsplatz während der Schwangerschaft und Stillzeit einstimmig zu der Erkenntnis, dass dieser selbstbestimmt sein muss. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Beschäftigungsverbote bei den Befragten durch mangelhafte Gefährdungsbeurteilung zu leichtfertig ausgesprochen wurden. Hierbei wird den Frauen die Möglichkeit zur Selbstbestimmung genommen, was zu der Anwendung von Ausstiegsstrategien führt – einem Berufsfeldwechsel oder dem Verschweigen einer Schwangerschaft. Auch die Arbeitsbedingungen für Mütter in der kurativen Praxis sind nicht attraktiv. Demgegenüber stehen die selbstständig tätigen Tierärztinnen, die, wenn sie ihren Betrieb erhalten wollen, ohne Mutterschutzfristen arbeiten müssen. Es bedarf demnach eines Wandels in der von Frauen dominierten Tiermedizin, in der frauengerechtere Arbeitsbedingungen zentral stehen sollten, um ein Fortbestehen dieses Berufsstandes garantieren zu können.
Abstract
With the amendment of the Maternity Protection Act in 2018, the aim was to facilitate the continued employment of pregnant and breastfeeding women. The risk assessment plays a central role in this context. Veterinary medicine is the field within healthcare with the most chemical, biological, and physical hazards. In connection with the feminization of veterinary medicine, these factors are increasingly posing challenges to the profession. While negative effects due to the premature imposition of absolute employment bans have already been observed in human medicine, comprehensive studies on this issue are still lacking in veterinary medicine. Moreover, little is known about the situation of self-employed mothers, who are not covered by statutory maternity protection. The aim of this study was to present the situation of pregnant and self-employed female veterinarians in Germany, with a focus on the implementation of the Maternity Protection Act across different professional fields. Based on this, the study sought to provide insights into the psychosocial and professional consequences caused by, on the one hand, extensive maternity protection through employment bans, and on the other hand, the lack of legal regulations for self-employed women. Furthermore, it was examined whether absolute employment bans could be a potential cause of the shortage of skilled workers. For this purpose, a qualitative study design was chosen, in which 14 female veterinarians from the fields of practice, public service, research, and industry, whose (first) pregnancy was at least 4 years ago, were interviewed using problem-centered interviews. The statements were evaluated using the qualitative content analysis method by Mayring. Of the 14 interviewed veterinarians, 12 were employed in curative practice before their first pregnancy. All of them expressed doubts at that time about the compatibility of family and career. The main reasons for this were excessively long working hours, many overtime hours, poor pay, lack of recognition, and high performance pressure from employers and society. As a result, seven of these 12 veterinarians changed their career field after starting a family. Regarding the implementation of the Maternity Protection Act by employers, it was found that the veterinarians' satisfaction depended largely on the degree of employment ban and their involvement in task allocation. Contact with animals was reduced but not completely prohibited for four veterinarians working in the veterinary office or in research. Eight veterinarians in curative practice or working in slaughterhouses received an absolute employment ban upon reporting their pregnancy. Six of these veterinarians had openly discussed their family plans with their employers in advance to better prepare for the new situation. Nevertheless, in most cases, this did not lead to workplace adjustments. Employers justified this by citing the high risk of continued employment or the financial unattractiveness of workplace adjustments. Reporting the pregnancy often led to a negative change in collegial relationships. Of the eight veterinarians, six were also released from work for the entire duration of breastfeeding. Two veterinarians were dismissed during their employment ban in the breastfeeding period. The question of whether they wished to continue working during pregnancy was affirmed by all but one. Central to this was the opportunity to have a say in the nature of their tasks. The rejection by employers led many to feel a loss of self-determination. Four of the interviewed veterinarians therefore chose to hide their pregnancy initially to avoid the risk of an employment ban. In these cases, they independently implemented protective measures. For nearly 60% of the employed veterinarians, the employment bans primarily raised concerns about their professional future. The fear of losing competence due to prolonged absence from work led to a loss of self-confidence. As a result, some veterinarians redirected their careers away from curative practice. The employers expressed great respect for the responsibility that continued employment of pregnant employees in their usual field of work entails. Concerns about liability played a significant role in this. Considerable uncertainties regarding risk assessments also became evident. Two employers were advised by the veterinary chamber against the continued employment of a pregnant employee. Employers also noted that some employees wished for an employment ban. Starting a family during self-employment proved to be challenging for the interviewed veterinarians. Central to this were the lack of financial compensation in case of work absence, the shortage of skilled workers, and the high pressure from clients, family, and their own expectations. Self-employed veterinarians implemented enhanced protection measures during their pregnancies and delegated risky tasks to colleagues. They resumed their practice activities during the postpartum period. This had physical consequences for two of the veterinarians. Looking back, the self-employed veterinarians would no longer choose to become self-employed before or during starting a family. All veterinarians agreed that the ideal workplace during pregnancy and breastfeeding must be one where they can make their own decisions. The results clearly show that employment bans were imposed too readily on the interviewed veterinarians due to inadequate risk assessments. This deprived the women of the opportunity for self-determination, leading to the adoption of exit strategies, such as changing professions or concealing a pregnancy. Moreover, the working conditions for mothers in curative practice are not attractive. In contrast, self-employed veterinarians, if they wish to maintain their practice, must work without maternity leave. Therefore, a change is needed in the female-dominated veterinary profession, where more women-friendly working conditions should be central to ensuring the future of this profession.
Dokumententyp: | Dissertationen (Dissertation, LMU München) |
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Themengebiete: | 500 Naturwissenschaften und Mathematik
500 Naturwissenschaften und Mathematik > 590 Tiere (Zoologie) |
Fakultäten: | Tierärztliche Fakultät |
Sprache der Hochschulschrift: | Deutsch |
Datum der mündlichen Prüfung: | 8. Februar 2025 |
1. Berichterstatter:in: | Knubben-Schweizer, Gabriela |
MD5 Prüfsumme der PDF-Datei: | 2d8b28ff2f46751649f77bbb338d6ae8 |
Signatur der gedruckten Ausgabe: | 0001/UMC 31153 |
ID Code: | 35188 |
Eingestellt am: | 17. Apr. 2025 13:50 |
Letzte Änderungen: | 17. Apr. 2025 13:51 |