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Evidenz-basierte Belastungseinschätzung des Forced Swim Test in der Ratte
Evidenz-basierte Belastungseinschätzung des Forced Swim Test in der Ratte
Der Forced Swim Test ist ein seit über 40 Jahren eingesetzter Test zur Bestimmung der antidepressiven Wirkung von Substanzen. Weltweit konnte bis vor einigen Jahren ein zunehmender Anstieg veröffentlichter Studien, die den FST verwendet haben, verzeichnet werden. Der FST basiert auf der Analyse des Schwimmverhaltens in einer unausweichbaren Situation. Durch Gabe von Antidepressiva kommt es während des Testverlaufs zu einer Verhaltensänderung. Aufgrund der limitierten Therapieoptionen für Patienten mit einer depressiven Störung und der häufigen Rückfallraten sind Verfahren, die zur Entwicklung neuer Therapeutika führen können, von hoher Relevanz. In den vergangenen Jahren sind Diskussionen aufgekommen, die eine starke Belastung und Gefährdung der Tiere in dem Test vermuten. Dies könnte eine mögliche Folge auf die frühere Bezeichnung des passiven Verhaltens als „Verzweiflungsverhalten“ sein. Im europäischen Raum erfordert die Richtlinie 2010/63/EU eine Klassifikation der Belastung der Tiere im Versuch bereits bei der Antragstellung. Für den Forced Swim Test lag bis zum aktuellen Zeitpunkt keine evidenz-basierte Belastungseinschätzung vor. Um diese Lücke zu schließen, wurde für die Belastungseinschätzung von Ratten ein multimodaler Ansatz bestehend aus speziesspezifischen (Wühlverhalten, Nest Score, Nestbauverhalten), verhaltensbiologischen (Explorationsverhalten, Saccharinpräferenz), biochemischen (fäkale Kortikosteronmetaboliten) und physiologischen Parametern (innere Körpertemperatur, Körpergewicht, Körpergewichtsveränderung, Futter- und Wasseraufnahme) gewählt, um so viele Dimensionen einer potentiellen Belastung wie möglich aufzeigen zu können. Die Belastungsparameter wurden in drei separaten Versuchsansätzen untersucht. Die vier bzw. fünf Vergleichsgruppen bestanden aus einer FST-Gruppe, einer FST + Imipramin-Gruppe, einer FST + Kochsalzlösung-Gruppe, einer Handling-Gruppe sowie bei der Bestimmung der FCM zusätzlich einer Gruppe zur Kontrolle der circadianen Variation. Bei dem untersuchten Schwimmprotokoll handelt es sich um ein sehr gängiges, zweitägiges Protokoll für die Spezies Ratte. Die Tiere wurden am ersten Tag 15 min und am zweiten Tag fünf Minuten in 25 °C temperierten Wasser getestet. Im ersten Versuch wurden die fäkalen Kortikosteronkonzentrationen ermittelt (n=18 pro Gruppe und Geschlecht). Im zweiten Versuchsansatz wurde das Wühlverhalten der Ratten sowie die rektale Körpertemperatur unmittelbar nach der Testung untersucht (n=12 pro Gruppe und Geschlecht). Der letzte Versuchsansatz umfasste die Parameter Saccharinpräferenz, Latenz bis zur Interaktion mit dem Nestmaterial-Test, den Nest Score sowie die Analyse des Verhaltens im Open Field (n=12 pro Gruppe und Geschlecht). Die Zeit zum Wiedererlangen einer physiologischen Körpertemperatur wurde in einem zusätzlichen Experiment in weiblichen Ratten untersucht (n=5). Der einzig messbare Effekt des FST auf die Tiere in dieser Studie war eine moderate, aber nur sehr kurz anhaltende Hypothermie. Die Ratten, die zusätzlich zweifach mit Imipramin, einem trizyklischen Antidepressivum, behandelt wurden, wiesen transiente nachteilige Effekte auf das Körpergewicht und die Futteraufnahme sowie eine Erhöhung von Kortikosteron-Derivaten im Kot auf. Langanhaltende Effekte des FST auf die Belastung der Tiere konnten in dieser Studie nicht nachgewiesen werden. Die weiteren Parameter zur Belastungseinschätzung haben keine signifikanten Abweichungen in den FST-Gruppen im Vergleich zu den Kontrollgruppen gezeigt. Dies bedeutet entweder, dass der FST neben der Hypothermie keine Belastung verursacht oder dass die verwendeten Parameter nicht sensitiv genug waren. Die Analyse des Wühlverhaltens sowie des Nestbauverhalten erwiesen sich in dieser Studie aufgrund einer starken beobachteten Variabilität als nicht aussagekräftige Parameter. Eine Verwendung wärmeren Wassers oder eine Verkürzung der Testzeit können mögliche Refinement-Optionen für den FST darstellen, müssen aber weiter untersucht werden. Zukünftige detailliertere Untersuchungen zu der akuten Belastung während des und unmittelbar nach dem FST könnten zudem weitere Schlussfolgerungen zu dem Schweregrad des Tests ermöglichen., The Forced Swim Test has been used for over 40 years to determine the antidepressant effect of substances. Until a few years ago, an increasing number of published studies using the FST were recorded worldwide. The FST is based on the analysis of swimming behavior in an inescapable situation. The administration of antidepressants leads to a behavioral change during the course of the test. Due to the limited treatment options for patients suffering from a depressive disorder and the frequent relapse rates, procedures that can lead to the development of new therapeutic agents are highly relevant. In recent years, discussions have arisen that assume that the test is highly stressful and dangerous for the animals. This could be a possible consequence of the earlier designation of passive behavior as "despair behavior". In Europe, Directive 2010/63/EU requires a severity classification of the experiment already at the time of application. For the Forced Swim Test, no evidence-based stress assessment has been available to date. In order to close this gap, a multimodal approach comprising species-specific (burrowing, nest score, nest building behavior), behavioral (exploratory behavior, saccharin preference), biochemical (fecal corticosterone metabolites) and physiological parameters (inner body temperature, body weight, body weight change, food and water intake) was chosen for the severity assessment of rats in order to be able to identify as many dimensions of possible suffering as possible. The severity parameters were examined in three separate test approaches. The four resp. five comparison groups consisted of an FST group, an FST + imipramine group, an FST + saline solution group, a handling group and, for analysis of the FCM, an additional group to control for circadian variation. The swimming protocol investigated is a very common, two-day protocol for the rat species. The animals were tested in water at 25 °C for 15 minutes on the first day and five minutes on the second day. In the first experiment, the fecal corticosterone concentrations were determined (n=18 per group and sex). In the second experiment, burrowing behavior and rectal body temperature immediately after testing were examined (n=12 per group and sex). The last experimental approach comprised the parameters saccharin preference, latency until interaction with nest material test, nest score and the analysis of behavior in the open field (n=12 per group and sex). The time to regain a physiological inner body temperature was investigated in an additional experiment in female rats (n=5). The only measurable effect of FST on the animals in this study was a moderate but very short- lasting hypothermia. The rats that were additionally treated twice with imipramine, a tricyclic antidepressant, showed transient adverse effects on body weight and food intake as well as an increase in corticosterone derivatives in the feces. Long-lasting effects of the FST on the burden of the animals could not be demonstrated in this study. The other parameters for severity assessment showed no significant differences in the FST groups compared to the control groups. This means either that the FST does not cause stress in addition to hypothermia or that the parameters used were not sensitive enough. The analysis of burrowing behavior and nest-building behavior did not prove to be reliable parameters in this study due to the high variability observed. Using warmer water or shortening the test time may represent possible refinement options for the FST, but need to be further investigated. In the future, more detailed studies on acute stress during and immediately after the FST could also allow further conclusions to be drawn about the severity classification of the test.
forced swim test, animal science, animal welfare, psychiatry, animal models
Becker, Laura
2024
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Becker, Laura (2024): Evidenz-basierte Belastungseinschätzung des Forced Swim Test in der Ratte. Dissertation, LMU München: Tierärztliche Fakultät
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Abstract

Der Forced Swim Test ist ein seit über 40 Jahren eingesetzter Test zur Bestimmung der antidepressiven Wirkung von Substanzen. Weltweit konnte bis vor einigen Jahren ein zunehmender Anstieg veröffentlichter Studien, die den FST verwendet haben, verzeichnet werden. Der FST basiert auf der Analyse des Schwimmverhaltens in einer unausweichbaren Situation. Durch Gabe von Antidepressiva kommt es während des Testverlaufs zu einer Verhaltensänderung. Aufgrund der limitierten Therapieoptionen für Patienten mit einer depressiven Störung und der häufigen Rückfallraten sind Verfahren, die zur Entwicklung neuer Therapeutika führen können, von hoher Relevanz. In den vergangenen Jahren sind Diskussionen aufgekommen, die eine starke Belastung und Gefährdung der Tiere in dem Test vermuten. Dies könnte eine mögliche Folge auf die frühere Bezeichnung des passiven Verhaltens als „Verzweiflungsverhalten“ sein. Im europäischen Raum erfordert die Richtlinie 2010/63/EU eine Klassifikation der Belastung der Tiere im Versuch bereits bei der Antragstellung. Für den Forced Swim Test lag bis zum aktuellen Zeitpunkt keine evidenz-basierte Belastungseinschätzung vor. Um diese Lücke zu schließen, wurde für die Belastungseinschätzung von Ratten ein multimodaler Ansatz bestehend aus speziesspezifischen (Wühlverhalten, Nest Score, Nestbauverhalten), verhaltensbiologischen (Explorationsverhalten, Saccharinpräferenz), biochemischen (fäkale Kortikosteronmetaboliten) und physiologischen Parametern (innere Körpertemperatur, Körpergewicht, Körpergewichtsveränderung, Futter- und Wasseraufnahme) gewählt, um so viele Dimensionen einer potentiellen Belastung wie möglich aufzeigen zu können. Die Belastungsparameter wurden in drei separaten Versuchsansätzen untersucht. Die vier bzw. fünf Vergleichsgruppen bestanden aus einer FST-Gruppe, einer FST + Imipramin-Gruppe, einer FST + Kochsalzlösung-Gruppe, einer Handling-Gruppe sowie bei der Bestimmung der FCM zusätzlich einer Gruppe zur Kontrolle der circadianen Variation. Bei dem untersuchten Schwimmprotokoll handelt es sich um ein sehr gängiges, zweitägiges Protokoll für die Spezies Ratte. Die Tiere wurden am ersten Tag 15 min und am zweiten Tag fünf Minuten in 25 °C temperierten Wasser getestet. Im ersten Versuch wurden die fäkalen Kortikosteronkonzentrationen ermittelt (n=18 pro Gruppe und Geschlecht). Im zweiten Versuchsansatz wurde das Wühlverhalten der Ratten sowie die rektale Körpertemperatur unmittelbar nach der Testung untersucht (n=12 pro Gruppe und Geschlecht). Der letzte Versuchsansatz umfasste die Parameter Saccharinpräferenz, Latenz bis zur Interaktion mit dem Nestmaterial-Test, den Nest Score sowie die Analyse des Verhaltens im Open Field (n=12 pro Gruppe und Geschlecht). Die Zeit zum Wiedererlangen einer physiologischen Körpertemperatur wurde in einem zusätzlichen Experiment in weiblichen Ratten untersucht (n=5). Der einzig messbare Effekt des FST auf die Tiere in dieser Studie war eine moderate, aber nur sehr kurz anhaltende Hypothermie. Die Ratten, die zusätzlich zweifach mit Imipramin, einem trizyklischen Antidepressivum, behandelt wurden, wiesen transiente nachteilige Effekte auf das Körpergewicht und die Futteraufnahme sowie eine Erhöhung von Kortikosteron-Derivaten im Kot auf. Langanhaltende Effekte des FST auf die Belastung der Tiere konnten in dieser Studie nicht nachgewiesen werden. Die weiteren Parameter zur Belastungseinschätzung haben keine signifikanten Abweichungen in den FST-Gruppen im Vergleich zu den Kontrollgruppen gezeigt. Dies bedeutet entweder, dass der FST neben der Hypothermie keine Belastung verursacht oder dass die verwendeten Parameter nicht sensitiv genug waren. Die Analyse des Wühlverhaltens sowie des Nestbauverhalten erwiesen sich in dieser Studie aufgrund einer starken beobachteten Variabilität als nicht aussagekräftige Parameter. Eine Verwendung wärmeren Wassers oder eine Verkürzung der Testzeit können mögliche Refinement-Optionen für den FST darstellen, müssen aber weiter untersucht werden. Zukünftige detailliertere Untersuchungen zu der akuten Belastung während des und unmittelbar nach dem FST könnten zudem weitere Schlussfolgerungen zu dem Schweregrad des Tests ermöglichen.

Abstract

The Forced Swim Test has been used for over 40 years to determine the antidepressant effect of substances. Until a few years ago, an increasing number of published studies using the FST were recorded worldwide. The FST is based on the analysis of swimming behavior in an inescapable situation. The administration of antidepressants leads to a behavioral change during the course of the test. Due to the limited treatment options for patients suffering from a depressive disorder and the frequent relapse rates, procedures that can lead to the development of new therapeutic agents are highly relevant. In recent years, discussions have arisen that assume that the test is highly stressful and dangerous for the animals. This could be a possible consequence of the earlier designation of passive behavior as "despair behavior". In Europe, Directive 2010/63/EU requires a severity classification of the experiment already at the time of application. For the Forced Swim Test, no evidence-based stress assessment has been available to date. In order to close this gap, a multimodal approach comprising species-specific (burrowing, nest score, nest building behavior), behavioral (exploratory behavior, saccharin preference), biochemical (fecal corticosterone metabolites) and physiological parameters (inner body temperature, body weight, body weight change, food and water intake) was chosen for the severity assessment of rats in order to be able to identify as many dimensions of possible suffering as possible. The severity parameters were examined in three separate test approaches. The four resp. five comparison groups consisted of an FST group, an FST + imipramine group, an FST + saline solution group, a handling group and, for analysis of the FCM, an additional group to control for circadian variation. The swimming protocol investigated is a very common, two-day protocol for the rat species. The animals were tested in water at 25 °C for 15 minutes on the first day and five minutes on the second day. In the first experiment, the fecal corticosterone concentrations were determined (n=18 per group and sex). In the second experiment, burrowing behavior and rectal body temperature immediately after testing were examined (n=12 per group and sex). The last experimental approach comprised the parameters saccharin preference, latency until interaction with nest material test, nest score and the analysis of behavior in the open field (n=12 per group and sex). The time to regain a physiological inner body temperature was investigated in an additional experiment in female rats (n=5). The only measurable effect of FST on the animals in this study was a moderate but very short- lasting hypothermia. The rats that were additionally treated twice with imipramine, a tricyclic antidepressant, showed transient adverse effects on body weight and food intake as well as an increase in corticosterone derivatives in the feces. Long-lasting effects of the FST on the burden of the animals could not be demonstrated in this study. The other parameters for severity assessment showed no significant differences in the FST groups compared to the control groups. This means either that the FST does not cause stress in addition to hypothermia or that the parameters used were not sensitive enough. The analysis of burrowing behavior and nest-building behavior did not prove to be reliable parameters in this study due to the high variability observed. Using warmer water or shortening the test time may represent possible refinement options for the FST, but need to be further investigated. In the future, more detailed studies on acute stress during and immediately after the FST could also allow further conclusions to be drawn about the severity classification of the test.