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Generationen bei der Grenzarbeit. Journalistenschüler:innen im Medienwandel
Generationen bei der Grenzarbeit. Journalistenschüler:innen im Medienwandel
Diese Studie fragt nach der Ausbildung journalistischer Haltung. Und zwar unter den Bedingungen des digitalen Medienwandels in einer ambivalenten Moderne, die permanent Irritationen erzeugt. Haltung wird hier als Produzentin und zugleich Produkt in einem Prozess zwischen Können und Anerkennung verstanden. Konkreter Gegenstand der Untersuchung ist eine wichtige Teilpopulation der Berufsgruppe: Abgänger:innen der Deutsche Journalistenschule München, einer traditionsreichen und mediensystemrelevanten Institution. Ihre Alumni wurden hinsichtlich Kapitalausstattung, Feldstrategien sowie Handlungsmodus vermessen. Dazu wurde im triadischen Denkstil eine Praxeologie der journalistischen Berufsausbildung entworfen. Diese Praxeologie verknüpft in einem iterativen Forschungsprozess die individuelle Kapital-Disposition (Ressourcen) über die Metaebene des Habituellen (Haltung) mit der kollektiven Feld-Position (Ver-/Handlung). Sozialisation wird hierbei als produktive Realitätsverarbeitung betrachtet und Medienwandel als hochfrequentes Zusammenwirken von Innovationsimpulsen und Reproduktionsreflexen in gesellschaftlichen, kulturellen, ökonomischen und technologischen Diskursen konzipiert. Auf dieser theoretischen Basis entstand mithilfe von Vorwissen (Forschungsstand) und einer Vorstudie (Leitfadengespräche) ein Analyserahmen. Mit ihm konnten elitäre Stellung, generationelle Stellungnahme sowie professionelle Haltung der Journalistenschüler:innen im Deutungsringen um ihren Beruf empirisch untersucht werden. Im Zentrum stand dabei eine Online-Befragung von 41 Lehrredaktionsjahrgängen der DJS Ende 2016 (nicht vollständig realisierte Vollerhebung; Rücklaufquote der ermittelten Grundgesamtheit: 61%, n=907). Die quantitative Erhebung wurde in einem Mixed Methods-Design von qualitativen Verfahren flankiert (Leitfadeninterviews, Diskursbeobachtungen). Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass die Alumni überwiegend eine bildungsbürgerliche Herkunft haben und selten einen Migrationshintergrund. In ihrer Laufbahn haben sie sich gut etabliert, überdurchschnittlich häufig im öffentlich-rechtlichen System und in Leitmedien. Ihre Journalistenschulausbildung hat sie mit klassischen praktischen Qualifikationen und vor allem mit hoher Reputation ausgestattet. Deren Wert ist ihnen bewusst und ihre Sicherung ein Anliegen. Im Metadiskurs um den Journalismus zeigen die Abgänger:innen daher eine starke Präsenz. Argumentativ setzen sie dabei auf eher traditionelle Paradigmen. Exzellenz wird postuliert und angestrebt, um die eigene Befugnis im Mediensystem zu legitimieren. Habituell lässt sich ein mehrheitlicher Modus erkennen: sachorientiert, selbstbewusst und den Nutzer:innen gegenüber distanziert. Insgesamt positionieren sich die Abgänger:innen mit einer Anspruchshaltung. Sie sehen sich als besonders befähigt, befugt und berufen, die Grenzen ihres Berufes maßgeblich mitzugestalten. Überwiegend liegt dem eine systemstabilisierende, pädagogische Haltung zugrunde. Aber auch Minderheiten- und Außenseiterposition wurden festgesellt: systemkritische Haltungen, die vom Branchen-Mainstream abweichen. Vergleiche der DJS-Daten mit solchen der gesamten Journalismus-Population haben – bei aller gebotenen Vorsicht aufgrund methodischer Unterschiede – starke Ähnlichkeiten ergeben. Das betrifft beispielsweise den bildungsbürgerlichen Hintergrund der Elternhäuser oder die hohe Zustimmung zum Rollenverständnis "objektive:r Beobachter:in". Aber es gab auch Abweichungen, etwa der große Anteil von DJS-Alumni im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder eine geringere Neigung zu Inhalten für ein breites Publikum. Die Kausalitäten sind nicht eindeutig zu klären. Es darf jedoch begründet vermutete werden, dass aus der Journalistenschule heraus auch das Aufgabenverständnis der anderen Akteurinnen und Akteure im Journalismus mitgeprägt wird. Gravierende Unterschiede zwischen den Generationsgruppen konnten nicht festgestellt werden. Noch herrscht den hier erhobenen Daten zufolge ein pragmatisch-solidarisches Verhältnis zwischen den Kohorten Boom („Baby Boomer"), Übergang („Generation X") und Zukunft („Millennials"). Konfliktlinien deuten sich lediglich an, insbesondere was ein Verhältnis auf Augenhöhe zum Publikum betrifft. Dies ist den Jüngeren ein größeres Anliegen als den Älteren. Ergänzende Beobachtungen sprechen dafür, dass aktivistische Haltungsformen das Potenzial zur Generationsbildung haben, z.B. bei den Themen Diversity und Klima. Um diesen Gedanken empirisch zu verfolgen, bedarf es weiterer Untersuchungen, die auch die Generation Z einbeziehen müssten. Als Forschungsdesiderata wird die Entwicklung von methodischen Ansätzen vorgeschlagen, um spezifische journalistische Medienstile, insbesondere auf Social Media-Plattformen empirisch zu greifen. Die hier vorgelegte Studie lässt, trotz mancher Limitationen, darauf schließen, dass die Ausbildungssituation an der Deutschen Journalistenschule in ihren Abgänger:innen eine Habitus-Komponente des Anspruchs ausgeprägt hat: auf die Deutungshoheit bei der Abgrenzung des eigenen Berufes.
Deutsche Journalistenschule München, Bourdieu, Befragung, Haltung, Generationen, Elite, Habitus, Medienwandel, Informatisierung, Polarisierung, Berufssozialisation, Journalismus, Ausbildung, Praxeologie, Werner-Friedmann-Institut, Boundary Work, Paradigm Building, Reputation Management
Hansen, Dirk
2023
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Hansen, Dirk (2023): Generationen bei der Grenzarbeit: Journalistenschüler:innen im Medienwandel. Dissertation, LMU München: Sozialwissenschaftliche Fakultät
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Abstract

Diese Studie fragt nach der Ausbildung journalistischer Haltung. Und zwar unter den Bedingungen des digitalen Medienwandels in einer ambivalenten Moderne, die permanent Irritationen erzeugt. Haltung wird hier als Produzentin und zugleich Produkt in einem Prozess zwischen Können und Anerkennung verstanden. Konkreter Gegenstand der Untersuchung ist eine wichtige Teilpopulation der Berufsgruppe: Abgänger:innen der Deutsche Journalistenschule München, einer traditionsreichen und mediensystemrelevanten Institution. Ihre Alumni wurden hinsichtlich Kapitalausstattung, Feldstrategien sowie Handlungsmodus vermessen. Dazu wurde im triadischen Denkstil eine Praxeologie der journalistischen Berufsausbildung entworfen. Diese Praxeologie verknüpft in einem iterativen Forschungsprozess die individuelle Kapital-Disposition (Ressourcen) über die Metaebene des Habituellen (Haltung) mit der kollektiven Feld-Position (Ver-/Handlung). Sozialisation wird hierbei als produktive Realitätsverarbeitung betrachtet und Medienwandel als hochfrequentes Zusammenwirken von Innovationsimpulsen und Reproduktionsreflexen in gesellschaftlichen, kulturellen, ökonomischen und technologischen Diskursen konzipiert. Auf dieser theoretischen Basis entstand mithilfe von Vorwissen (Forschungsstand) und einer Vorstudie (Leitfadengespräche) ein Analyserahmen. Mit ihm konnten elitäre Stellung, generationelle Stellungnahme sowie professionelle Haltung der Journalistenschüler:innen im Deutungsringen um ihren Beruf empirisch untersucht werden. Im Zentrum stand dabei eine Online-Befragung von 41 Lehrredaktionsjahrgängen der DJS Ende 2016 (nicht vollständig realisierte Vollerhebung; Rücklaufquote der ermittelten Grundgesamtheit: 61%, n=907). Die quantitative Erhebung wurde in einem Mixed Methods-Design von qualitativen Verfahren flankiert (Leitfadeninterviews, Diskursbeobachtungen). Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass die Alumni überwiegend eine bildungsbürgerliche Herkunft haben und selten einen Migrationshintergrund. In ihrer Laufbahn haben sie sich gut etabliert, überdurchschnittlich häufig im öffentlich-rechtlichen System und in Leitmedien. Ihre Journalistenschulausbildung hat sie mit klassischen praktischen Qualifikationen und vor allem mit hoher Reputation ausgestattet. Deren Wert ist ihnen bewusst und ihre Sicherung ein Anliegen. Im Metadiskurs um den Journalismus zeigen die Abgänger:innen daher eine starke Präsenz. Argumentativ setzen sie dabei auf eher traditionelle Paradigmen. Exzellenz wird postuliert und angestrebt, um die eigene Befugnis im Mediensystem zu legitimieren. Habituell lässt sich ein mehrheitlicher Modus erkennen: sachorientiert, selbstbewusst und den Nutzer:innen gegenüber distanziert. Insgesamt positionieren sich die Abgänger:innen mit einer Anspruchshaltung. Sie sehen sich als besonders befähigt, befugt und berufen, die Grenzen ihres Berufes maßgeblich mitzugestalten. Überwiegend liegt dem eine systemstabilisierende, pädagogische Haltung zugrunde. Aber auch Minderheiten- und Außenseiterposition wurden festgesellt: systemkritische Haltungen, die vom Branchen-Mainstream abweichen. Vergleiche der DJS-Daten mit solchen der gesamten Journalismus-Population haben – bei aller gebotenen Vorsicht aufgrund methodischer Unterschiede – starke Ähnlichkeiten ergeben. Das betrifft beispielsweise den bildungsbürgerlichen Hintergrund der Elternhäuser oder die hohe Zustimmung zum Rollenverständnis "objektive:r Beobachter:in". Aber es gab auch Abweichungen, etwa der große Anteil von DJS-Alumni im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder eine geringere Neigung zu Inhalten für ein breites Publikum. Die Kausalitäten sind nicht eindeutig zu klären. Es darf jedoch begründet vermutete werden, dass aus der Journalistenschule heraus auch das Aufgabenverständnis der anderen Akteurinnen und Akteure im Journalismus mitgeprägt wird. Gravierende Unterschiede zwischen den Generationsgruppen konnten nicht festgestellt werden. Noch herrscht den hier erhobenen Daten zufolge ein pragmatisch-solidarisches Verhältnis zwischen den Kohorten Boom („Baby Boomer"), Übergang („Generation X") und Zukunft („Millennials"). Konfliktlinien deuten sich lediglich an, insbesondere was ein Verhältnis auf Augenhöhe zum Publikum betrifft. Dies ist den Jüngeren ein größeres Anliegen als den Älteren. Ergänzende Beobachtungen sprechen dafür, dass aktivistische Haltungsformen das Potenzial zur Generationsbildung haben, z.B. bei den Themen Diversity und Klima. Um diesen Gedanken empirisch zu verfolgen, bedarf es weiterer Untersuchungen, die auch die Generation Z einbeziehen müssten. Als Forschungsdesiderata wird die Entwicklung von methodischen Ansätzen vorgeschlagen, um spezifische journalistische Medienstile, insbesondere auf Social Media-Plattformen empirisch zu greifen. Die hier vorgelegte Studie lässt, trotz mancher Limitationen, darauf schließen, dass die Ausbildungssituation an der Deutschen Journalistenschule in ihren Abgänger:innen eine Habitus-Komponente des Anspruchs ausgeprägt hat: auf die Deutungshoheit bei der Abgrenzung des eigenen Berufes.