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Vom frühholozänen Wildschaf zum modernen Hausschaf. Geometrisch Morphometrische Analysen am distalen Humerus
Vom frühholozänen Wildschaf zum modernen Hausschaf. Geometrisch Morphometrische Analysen am distalen Humerus
Ausgangspunkt für diese Arbeit war die dem Langzeitprojekt „Die prähistorische Gesellschaft Obermesopotamiens und ihre Subsistenz“ zugrundeliegende Frage, wie und warum die Menschen in Südwestasien ab 10000 v. Chr. von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise übergingen. Da zur Klärung dieser fundamentalen Fragen zunächst Daten erarbeitet werden müssen, die die Prozesse im Detail nachzeichnen, wurde ein Fokus in diesem Projekt auf das Schaf gerichtet und am Beispiel dieser Art die Prozesse mithilfe verschiedener Methoden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet (vgl. u.a.: Peters, Arbuckle und Pöllath, 2014; Pöllath u. a., 2018b, 2019; Zimmermann u. a., 2018; Zimmermann, 2019). Aus dem aktuellen Stand der Domestikations- und Ausbreitungsgeschichte des Hausschafes ergibt sich eine Reihe von Fragen: Wo und wann begannen Menschen Wildschafe zu isolieren und dadurch zu domestizieren? Geschah dies an mehreren Orten und zu verschiedenen Zeiten? Wie und auf welchen Wegen verbreitete sich die Schafshaltung von den Ursprungsgebieten aus? Wann, wo und wie kam es zur Entstehung der vielen verschiedenen Schafstypen, die zu unterschiedlichen Zwecken (Fleisch, Milch, Fett) genutzt wurden und werden? Diese Arbeit liefert nun weitere Puzzlestücke, die das Bild um wichtige Aspekte ergänzen und in Teilen präzisieren. Mit der Geometrischen Morphologie (GMM) wurde ein immer noch relativ junger Forschungsansatz gewählt, mit dessen Hilfe es möglich ist, feine und feinste Gestaltunterschiede zwischen nahe verwandten Gruppen und Populationen aufzuspüren und somit Abstammungslinien und -verwandtschaften und folglich regionale und diachrone Entwicklungen nachzuzeichnen. Für die 2D-GMM-Analyse wurde als Untersuchungsgegenstand der distale Humerus gewählt, da hier viele bei der Fortbewegung involvierte Muskeln, Sehnen und Bänder ansetzen. Dadurch ist zu erwarten, dass sich (1) langfristige Änderungen in den Lebensbedingungen durch unterschiedliche Beanspruchung in einer plastischen Reaktion morphologisch an diesem Gelenk manifestieren, aber auch dass (2) bei unterschiedlichen Schafrassen durch Zuchtwahl morphologische Ausprägungen im Laufe der Zeit genetisch festgeschrieben wurden und sich Hausschafpopulationen so von denen der Wildvorfahren, aber auch untereinander morphologisch unterscheiden lassen. Als früh synostierender Langknochen, der beim Zerlegen des Schlachtkörpers an seinem distalen Ende nur wenig beschädigt wird und in archäologischen Fundgut häufig vertreten ist, eignet er sich in erster Linie zur vergleichenden Untersuchung der Gestalt in besonderer Weise für diese Studie. Bei der Erarbeitung der Arbeitshypothesen wurde klar, dass zur Erforschung der Gestaltsunterschiede neben den Abstammungslinien und Zuchtrichtungen eine ganze Reihe von weiteren Faktoren zu berücksichtigen sind, die ebenfalls Einfluss auf die Gestalt eines Knochens nehmen können. Daraus ergaben sich folgende Arbeitshypothesen: (1) Die Gestalt des distalen Humerus wird nicht von Alter, Geschlecht und Haltungs- bzw. Lebensbedingungen beeinflusst, sondern (2) von der Abstammung bzw. von der Zugehörigkeit zu einer Population im Sinne von Fortpflanzungsgemeinschaft. Mit der systematischen Auswahl von geeigneten Populationen konnten diese Faktoren überprüft werden. Basis der Untersuchung bilden insgesamt 1026 Humeri aus 8 archäologischen und 8 rezenten Populationen, darunter zwei Populationen archäologischerWildschafe (Göbekli Tepe und Gusir Höyük) und je eine Population modernerWildschafe und Uriale aus dem Iran, zwei Mischpopulationen aus archäologischen Haus- und Wildschafen (Asıklı Höyük Obere Schicht und Asıklı Höyük Untere Schicht), drei prähistorische Hausschafpopulationen aus SW-Asien (Gürcütepe, Güvercinkayası, Tall Munbaqa) und je eine aus Afrika (Syene) und Mitteleuropa (Manching). Die modernen Hausschafpopulationen umfassen Karakulschafe, drei Populationen von Shetlandschafen (Penicuik, Hoy, Halle), Somalischafe und zwei Populationen von Soayschafen (eine freilebende von St. Kilda sowie eine Gruppe von Individuen, die von dort stammen, aber in Zoos und in Gehegen lebten). Die Voruntersuchungen ergaben, dass der Messfehler für die gewählte Landmark- Konfiguration ausreichend klein ist, so dass dieser die Ergebnisse nur in zu vernachlässigendem Maße beeinflusst. Anschließend wurde die Untergrenze der Stichproben ausgelotet, die mindestens nötig ist, um statistisch sinnvolle Ergebnisse zu erzielen, und der Einfluss der statischen Allometrie untersucht. Demnach liegt die Untergrenze für aussagekräftige Stichproben bei N = 35. Letzteres ergab, dass die im gesamten Datensatz enthaltene statische Allometrie bei nahezu allen Gruppen gleichgerichtet ist, abgesehen von der Soayschafpopulation von St. Kilda. Diese weicht in ihrer Richtung ab, weswegen der allometrische Effekt nicht entfernt werden konnte. Da dieser aber insgesamt vergleichsweise klein ist, ist auch hier nicht damit zu rechnen, dass er die Ergebnisse der nachfolgenden Untersuchungen zu stark beeinflusst und die Unterscheidung der Populationen unmöglich macht. Im nächsten Schritt wurden die Arbeitshypothesen untersucht mit folgenden statistisch geprüften Ergebnissen: (1) Der Sexualdimorphismus manifestiert sich nicht in der Gestalt des distalen Humerus, mit Ausnahme der Population rezenter Wildschafe aus dem Iran, bei der ein geringfügiger Einfluss der Geschlechtszugehörigkeit zu konstatieren ist. (2) Das Individualalter zeigt bei keiner der untersuchten Populationen Einfluss auf die Gestalt des distalen Humerus. (3) Unterschiede in den Haltungsbedingungen hingegen üben einen signifikanten Einfluss auf die Gestalt des untersuchten Gelenks aus, wie die Analyse an den beiden Soayschafpopulationen beweist. (4) Der größte Effekt zeigt sich in der Populationszugehörigkeit und ist damit auf die im Genom festgehaltenen Abstammungs- und Zuchtgeschichte zurückzuführen. In der Gesamtschau betrachtet, illustriert der unbewurzelte phänotypische Baum die Geschichte des Schafes in ihrer geographischen und zeitlichen Dimension. Er trennt die Wild- und frühneolithischen Hausschafe SWAsiens von den jüngeren prähistorischen und rezenten Hausschafpopulationen. Wie schon in einer früheren Studie beim Talus dokumentiert, erweist sich das zentralasiatische Karakulschaf, eineWoll- und Fettschwanzrasse, auch beim Humerus morphologisch als völlig abgesondert von den anderen Populationen, ein Hinweis auf eine lange getrennte Entwicklung und Anpassung an seine Umwelt. Die Positionierung der zwei afrikanischen Populationen, also der Schafe aus dem ptolemäisch-römischen Syene bei den Karakulschafen und der Somalischafe bei den europäischen Wollschafpopulationen, konnte nicht letztgültig geklärt werden. Es konnte aber wahrscheinlich gemacht werden, dass die Gruppierung der Somalischafe bei den anderen Schafsrassen aus Halle daher rührt, dass diese unter nahezu identischen Bedingungen gehalten wurden und so dieselben Bewegungsmöglichkeiten und Einschränkungen erfuhren. Beruhend auf dem Abgleich der grundlegenden biomechanischen Abläufe am Ellenbogengelenk mit den Gestaltunterschieden zwischen einzelnen Populationen ließ sich der Einfluss der Lebensbedingungen im jeweiligen Lebensraum auf die Gestalt des distalen Humerus nachvollziehen. Diese Studie hat damit nicht nur wichtige Erkenntnisse für die Domestikations und Zuchtgeschichte des Hausschafes ergeben, sondern auch gezeigt, dass der distale Humerus ein in besonderer Weise geeignetes Studienobjekt für derartige Forschungsfragen ist., The starting point for this work was the question underlying the longterm project "The prehistoric society of Upper Mesopotamia and its subsistence" of how and why people in Southwest Asia switched from an appropriating to a producing economy from 10000 BC. In order to clarify these fundamental questions, data must first be compiled that trace the processes in detail. The focus of this project was directed towards the sheep and, using this species as an example, the processes were examined from various perspectives with the help of different methods (cf. inter alia: Peters, Arbuckle und Pöllath, 2014; Pöllath u. a., 2018b; Pöllath, Schafberg und Peters, 2019; Zimmermann u. a., 2018; Zimmermann, 2019). A number of questions arise from the current state of domestication, as well as the dispersal history of domestic sheep: where and when did humans begin to isolate and thereby domesticate wild sheep? Did this happen in several places and at different times? How and by what means did sheep farming spread from the areas of origin? When, where and how did the many different types of sheep emerge, which were and are still used for different purposes (meat, milk, fat)? This work now provides further pieces of the puzzle that add important aspects to this historic development and make it more precise in certain areas. Geometric Morphometrics (GMM) is still a relatively new research approach that makes it possible to detect fine and subtle shape differences between closely related groups and populations, thus making it possible to trace lineages and relationships, and consequently regional and diachronic developments. For the 2D-GMM analysis, the distal humerus was chosen as the object of study since many muscles, tendons and ligaments involved in locomotion attach here. It is therefore to be expected that (1) long-term changes in living conditions due to different physical stresses manifest themselves morphologically in a plastic reaction at this joint, but also that (2) in different sheep breeds morphological characteristics have been genetically fixed over time through selective breeding and that domestic sheep populations can thus be morphologically distinguished from those of their wild ancestors, but also from each other. As a long bone that undergoes synostosis at an early stage and that is only slightly damaged at its distal end when the carcass is cut up during slaughter, it is frequently represented in archaeological finds. It is particularly suitable for this study, first and foremost for the comparative analysis of shape. When developing the working hypotheses it became clear that, in addition to the lineages and breeding types, a whole series of other factors that can also influence the formation of a bone must be taken into account when researching the differences in shape. This led to the following working hypotheses: (1) the shape of the distal humerus is not influenced by age, sex and husbandry or living conditions, but rather (2) by ancestry or by belonging to a population in the sense of a reproductive community. These factors were examined by systematically selecting suitable populations. The study is based on a total of 1026 humeri from 8 archaeological and 8 recent populations. These include two populations of archaeological wild sheep (Göbekli Tepe and Gusir Höyük) and one population each of modern wild sheep and Urials from Iran, as well as two mixed populations of archaeological domestic and wild sheep (Asıklı Höyük Upper Layer and Asıklı Höyük Lower Layer), three prehistoric domestic sheep populations from SW Asia (Gürcütepe, Güvercinkayası, Tall Munbaqa) and one each from Africa (Syene) and Central Europe (Manching). Modern domestic sheep populations include Karakul sheep, three populations of Shetland sheep (Penicuik, Hoy, Halle), Somali sheep and two populations of Soay sheep (one free-ranging from St. Kilda and a group of individuals that originated there, but lived in zoos and in enclosures). The preliminary investigations showed that the measurement error for the selected landmark configuration is sufficiently small so that it only influences the results to a negligible extent. Subsequently, the lower limit of the samples, which is at least necessary to achieve statistically meaningful results, was determined and the influence of the static allometry was examined. According to this, the lower limit for meaningful samples is N = 35. The latter revealed that the static allometry contained in the entire dataset is directional for almost all groups, except for the St. Kilda soay sheep population. It deviates in its direction, which is why the allometric effect could not be removed. However, since it is comparatively small overall, it is not expected to influence the results of the subsequent investigations to a significant extent and therefore make it impossible to distinguish between the populations. During the next step, the working hypotheses were examined with the following statistically tested results: (1) Sexual dimorphism does not manifest itself in the shape of the distal humerus with the exception of the population of recent wild sheep from Iran, where a slight influence of sex can be stated. (2) Individual age does not influence the shape of the distal humerus in any of the populations studied. (3) Differences in housing conditions on the other hand have a significant influence on the shape of the joint studied as shown by the analysis of the two Soay sheep populations. (4) The greatest effect is seen in the population affiliation and is therefore attributable to the pedigree and breeding history embedded in the genome. In summary, the unrooted phenotypic tree illustrates the history of the sheep in its geographical and temporal dimension. It separates the wild and early Neolithic domestic sheep of Southwest Asia from the more recent prehistoric and recent domestic sheep populations. As documented in an earlier study of the talus, the Central Asian Karakul sheep, a wool and fat-tailed breed, also proves to be morphologically completely separate from the other populations as far as the humerus is concerned. This is an indication of a long, separate development and adaptation to its environment. The positioning of the two African populations - the sheep from Ptolemaic-Roman Syene belonging to the Karakul sheep and the Somali sheep belonging to the European wool sheep populations - could not be clarified definitively. However, it is probable that the grouping of the Somali sheep with the other sheep breeds from Halle is due to the fact that they were kept under almost identical conditions and thus experienced the same possibilities of movement and restrictions. Based on the comparison of the basic biomechanical processes at the elbow joint with the shape differences between individual populations, the influence of the living conditions in the respective habitat on the shape of the distal humerus was reconstructed. This study has not only provided important insights into the domestication and breeding history of domestic sheep, but has also shown that the distal humerus is a particularly suitable object of study for such research questions.
Not available
Eggers, Carina Maria
2021
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Eggers, Carina Maria (2021): Vom frühholozänen Wildschaf zum modernen Hausschaf. Geometrisch Morphometrische Analysen am distalen Humerus. Dissertation, LMU München: Tierärztliche Fakultät
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Abstract

Ausgangspunkt für diese Arbeit war die dem Langzeitprojekt „Die prähistorische Gesellschaft Obermesopotamiens und ihre Subsistenz“ zugrundeliegende Frage, wie und warum die Menschen in Südwestasien ab 10000 v. Chr. von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise übergingen. Da zur Klärung dieser fundamentalen Fragen zunächst Daten erarbeitet werden müssen, die die Prozesse im Detail nachzeichnen, wurde ein Fokus in diesem Projekt auf das Schaf gerichtet und am Beispiel dieser Art die Prozesse mithilfe verschiedener Methoden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet (vgl. u.a.: Peters, Arbuckle und Pöllath, 2014; Pöllath u. a., 2018b, 2019; Zimmermann u. a., 2018; Zimmermann, 2019). Aus dem aktuellen Stand der Domestikations- und Ausbreitungsgeschichte des Hausschafes ergibt sich eine Reihe von Fragen: Wo und wann begannen Menschen Wildschafe zu isolieren und dadurch zu domestizieren? Geschah dies an mehreren Orten und zu verschiedenen Zeiten? Wie und auf welchen Wegen verbreitete sich die Schafshaltung von den Ursprungsgebieten aus? Wann, wo und wie kam es zur Entstehung der vielen verschiedenen Schafstypen, die zu unterschiedlichen Zwecken (Fleisch, Milch, Fett) genutzt wurden und werden? Diese Arbeit liefert nun weitere Puzzlestücke, die das Bild um wichtige Aspekte ergänzen und in Teilen präzisieren. Mit der Geometrischen Morphologie (GMM) wurde ein immer noch relativ junger Forschungsansatz gewählt, mit dessen Hilfe es möglich ist, feine und feinste Gestaltunterschiede zwischen nahe verwandten Gruppen und Populationen aufzuspüren und somit Abstammungslinien und -verwandtschaften und folglich regionale und diachrone Entwicklungen nachzuzeichnen. Für die 2D-GMM-Analyse wurde als Untersuchungsgegenstand der distale Humerus gewählt, da hier viele bei der Fortbewegung involvierte Muskeln, Sehnen und Bänder ansetzen. Dadurch ist zu erwarten, dass sich (1) langfristige Änderungen in den Lebensbedingungen durch unterschiedliche Beanspruchung in einer plastischen Reaktion morphologisch an diesem Gelenk manifestieren, aber auch dass (2) bei unterschiedlichen Schafrassen durch Zuchtwahl morphologische Ausprägungen im Laufe der Zeit genetisch festgeschrieben wurden und sich Hausschafpopulationen so von denen der Wildvorfahren, aber auch untereinander morphologisch unterscheiden lassen. Als früh synostierender Langknochen, der beim Zerlegen des Schlachtkörpers an seinem distalen Ende nur wenig beschädigt wird und in archäologischen Fundgut häufig vertreten ist, eignet er sich in erster Linie zur vergleichenden Untersuchung der Gestalt in besonderer Weise für diese Studie. Bei der Erarbeitung der Arbeitshypothesen wurde klar, dass zur Erforschung der Gestaltsunterschiede neben den Abstammungslinien und Zuchtrichtungen eine ganze Reihe von weiteren Faktoren zu berücksichtigen sind, die ebenfalls Einfluss auf die Gestalt eines Knochens nehmen können. Daraus ergaben sich folgende Arbeitshypothesen: (1) Die Gestalt des distalen Humerus wird nicht von Alter, Geschlecht und Haltungs- bzw. Lebensbedingungen beeinflusst, sondern (2) von der Abstammung bzw. von der Zugehörigkeit zu einer Population im Sinne von Fortpflanzungsgemeinschaft. Mit der systematischen Auswahl von geeigneten Populationen konnten diese Faktoren überprüft werden. Basis der Untersuchung bilden insgesamt 1026 Humeri aus 8 archäologischen und 8 rezenten Populationen, darunter zwei Populationen archäologischerWildschafe (Göbekli Tepe und Gusir Höyük) und je eine Population modernerWildschafe und Uriale aus dem Iran, zwei Mischpopulationen aus archäologischen Haus- und Wildschafen (Asıklı Höyük Obere Schicht und Asıklı Höyük Untere Schicht), drei prähistorische Hausschafpopulationen aus SW-Asien (Gürcütepe, Güvercinkayası, Tall Munbaqa) und je eine aus Afrika (Syene) und Mitteleuropa (Manching). Die modernen Hausschafpopulationen umfassen Karakulschafe, drei Populationen von Shetlandschafen (Penicuik, Hoy, Halle), Somalischafe und zwei Populationen von Soayschafen (eine freilebende von St. Kilda sowie eine Gruppe von Individuen, die von dort stammen, aber in Zoos und in Gehegen lebten). Die Voruntersuchungen ergaben, dass der Messfehler für die gewählte Landmark- Konfiguration ausreichend klein ist, so dass dieser die Ergebnisse nur in zu vernachlässigendem Maße beeinflusst. Anschließend wurde die Untergrenze der Stichproben ausgelotet, die mindestens nötig ist, um statistisch sinnvolle Ergebnisse zu erzielen, und der Einfluss der statischen Allometrie untersucht. Demnach liegt die Untergrenze für aussagekräftige Stichproben bei N = 35. Letzteres ergab, dass die im gesamten Datensatz enthaltene statische Allometrie bei nahezu allen Gruppen gleichgerichtet ist, abgesehen von der Soayschafpopulation von St. Kilda. Diese weicht in ihrer Richtung ab, weswegen der allometrische Effekt nicht entfernt werden konnte. Da dieser aber insgesamt vergleichsweise klein ist, ist auch hier nicht damit zu rechnen, dass er die Ergebnisse der nachfolgenden Untersuchungen zu stark beeinflusst und die Unterscheidung der Populationen unmöglich macht. Im nächsten Schritt wurden die Arbeitshypothesen untersucht mit folgenden statistisch geprüften Ergebnissen: (1) Der Sexualdimorphismus manifestiert sich nicht in der Gestalt des distalen Humerus, mit Ausnahme der Population rezenter Wildschafe aus dem Iran, bei der ein geringfügiger Einfluss der Geschlechtszugehörigkeit zu konstatieren ist. (2) Das Individualalter zeigt bei keiner der untersuchten Populationen Einfluss auf die Gestalt des distalen Humerus. (3) Unterschiede in den Haltungsbedingungen hingegen üben einen signifikanten Einfluss auf die Gestalt des untersuchten Gelenks aus, wie die Analyse an den beiden Soayschafpopulationen beweist. (4) Der größte Effekt zeigt sich in der Populationszugehörigkeit und ist damit auf die im Genom festgehaltenen Abstammungs- und Zuchtgeschichte zurückzuführen. In der Gesamtschau betrachtet, illustriert der unbewurzelte phänotypische Baum die Geschichte des Schafes in ihrer geographischen und zeitlichen Dimension. Er trennt die Wild- und frühneolithischen Hausschafe SWAsiens von den jüngeren prähistorischen und rezenten Hausschafpopulationen. Wie schon in einer früheren Studie beim Talus dokumentiert, erweist sich das zentralasiatische Karakulschaf, eineWoll- und Fettschwanzrasse, auch beim Humerus morphologisch als völlig abgesondert von den anderen Populationen, ein Hinweis auf eine lange getrennte Entwicklung und Anpassung an seine Umwelt. Die Positionierung der zwei afrikanischen Populationen, also der Schafe aus dem ptolemäisch-römischen Syene bei den Karakulschafen und der Somalischafe bei den europäischen Wollschafpopulationen, konnte nicht letztgültig geklärt werden. Es konnte aber wahrscheinlich gemacht werden, dass die Gruppierung der Somalischafe bei den anderen Schafsrassen aus Halle daher rührt, dass diese unter nahezu identischen Bedingungen gehalten wurden und so dieselben Bewegungsmöglichkeiten und Einschränkungen erfuhren. Beruhend auf dem Abgleich der grundlegenden biomechanischen Abläufe am Ellenbogengelenk mit den Gestaltunterschieden zwischen einzelnen Populationen ließ sich der Einfluss der Lebensbedingungen im jeweiligen Lebensraum auf die Gestalt des distalen Humerus nachvollziehen. Diese Studie hat damit nicht nur wichtige Erkenntnisse für die Domestikations und Zuchtgeschichte des Hausschafes ergeben, sondern auch gezeigt, dass der distale Humerus ein in besonderer Weise geeignetes Studienobjekt für derartige Forschungsfragen ist.

Abstract

The starting point for this work was the question underlying the longterm project "The prehistoric society of Upper Mesopotamia and its subsistence" of how and why people in Southwest Asia switched from an appropriating to a producing economy from 10000 BC. In order to clarify these fundamental questions, data must first be compiled that trace the processes in detail. The focus of this project was directed towards the sheep and, using this species as an example, the processes were examined from various perspectives with the help of different methods (cf. inter alia: Peters, Arbuckle und Pöllath, 2014; Pöllath u. a., 2018b; Pöllath, Schafberg und Peters, 2019; Zimmermann u. a., 2018; Zimmermann, 2019). A number of questions arise from the current state of domestication, as well as the dispersal history of domestic sheep: where and when did humans begin to isolate and thereby domesticate wild sheep? Did this happen in several places and at different times? How and by what means did sheep farming spread from the areas of origin? When, where and how did the many different types of sheep emerge, which were and are still used for different purposes (meat, milk, fat)? This work now provides further pieces of the puzzle that add important aspects to this historic development and make it more precise in certain areas. Geometric Morphometrics (GMM) is still a relatively new research approach that makes it possible to detect fine and subtle shape differences between closely related groups and populations, thus making it possible to trace lineages and relationships, and consequently regional and diachronic developments. For the 2D-GMM analysis, the distal humerus was chosen as the object of study since many muscles, tendons and ligaments involved in locomotion attach here. It is therefore to be expected that (1) long-term changes in living conditions due to different physical stresses manifest themselves morphologically in a plastic reaction at this joint, but also that (2) in different sheep breeds morphological characteristics have been genetically fixed over time through selective breeding and that domestic sheep populations can thus be morphologically distinguished from those of their wild ancestors, but also from each other. As a long bone that undergoes synostosis at an early stage and that is only slightly damaged at its distal end when the carcass is cut up during slaughter, it is frequently represented in archaeological finds. It is particularly suitable for this study, first and foremost for the comparative analysis of shape. When developing the working hypotheses it became clear that, in addition to the lineages and breeding types, a whole series of other factors that can also influence the formation of a bone must be taken into account when researching the differences in shape. This led to the following working hypotheses: (1) the shape of the distal humerus is not influenced by age, sex and husbandry or living conditions, but rather (2) by ancestry or by belonging to a population in the sense of a reproductive community. These factors were examined by systematically selecting suitable populations. The study is based on a total of 1026 humeri from 8 archaeological and 8 recent populations. These include two populations of archaeological wild sheep (Göbekli Tepe and Gusir Höyük) and one population each of modern wild sheep and Urials from Iran, as well as two mixed populations of archaeological domestic and wild sheep (Asıklı Höyük Upper Layer and Asıklı Höyük Lower Layer), three prehistoric domestic sheep populations from SW Asia (Gürcütepe, Güvercinkayası, Tall Munbaqa) and one each from Africa (Syene) and Central Europe (Manching). Modern domestic sheep populations include Karakul sheep, three populations of Shetland sheep (Penicuik, Hoy, Halle), Somali sheep and two populations of Soay sheep (one free-ranging from St. Kilda and a group of individuals that originated there, but lived in zoos and in enclosures). The preliminary investigations showed that the measurement error for the selected landmark configuration is sufficiently small so that it only influences the results to a negligible extent. Subsequently, the lower limit of the samples, which is at least necessary to achieve statistically meaningful results, was determined and the influence of the static allometry was examined. According to this, the lower limit for meaningful samples is N = 35. The latter revealed that the static allometry contained in the entire dataset is directional for almost all groups, except for the St. Kilda soay sheep population. It deviates in its direction, which is why the allometric effect could not be removed. However, since it is comparatively small overall, it is not expected to influence the results of the subsequent investigations to a significant extent and therefore make it impossible to distinguish between the populations. During the next step, the working hypotheses were examined with the following statistically tested results: (1) Sexual dimorphism does not manifest itself in the shape of the distal humerus with the exception of the population of recent wild sheep from Iran, where a slight influence of sex can be stated. (2) Individual age does not influence the shape of the distal humerus in any of the populations studied. (3) Differences in housing conditions on the other hand have a significant influence on the shape of the joint studied as shown by the analysis of the two Soay sheep populations. (4) The greatest effect is seen in the population affiliation and is therefore attributable to the pedigree and breeding history embedded in the genome. In summary, the unrooted phenotypic tree illustrates the history of the sheep in its geographical and temporal dimension. It separates the wild and early Neolithic domestic sheep of Southwest Asia from the more recent prehistoric and recent domestic sheep populations. As documented in an earlier study of the talus, the Central Asian Karakul sheep, a wool and fat-tailed breed, also proves to be morphologically completely separate from the other populations as far as the humerus is concerned. This is an indication of a long, separate development and adaptation to its environment. The positioning of the two African populations - the sheep from Ptolemaic-Roman Syene belonging to the Karakul sheep and the Somali sheep belonging to the European wool sheep populations - could not be clarified definitively. However, it is probable that the grouping of the Somali sheep with the other sheep breeds from Halle is due to the fact that they were kept under almost identical conditions and thus experienced the same possibilities of movement and restrictions. Based on the comparison of the basic biomechanical processes at the elbow joint with the shape differences between individual populations, the influence of the living conditions in the respective habitat on the shape of the distal humerus was reconstructed. This study has not only provided important insights into the domestication and breeding history of domestic sheep, but has also shown that the distal humerus is a particularly suitable object of study for such research questions.