Logo Logo
Hilfe
Kontakt
Switch language to English
Recipes for sustainability. understanding social and material impacts of public and private food practices
Recipes for sustainability. understanding social and material impacts of public and private food practices
Dietary practices play a key role in the transition towards a more sustainable food system. Livestock in particular drives environmental impacts such as greenhouse gas emissions, deforestation, and water use. While it is clear that curbing meat demand is vital for life within planetary boundaries, pathways to change remain contested. Contemporary food policy often focuses on guiding individual food choices through education and information, without much success at a societal scale. The sociology of consumption offers an alternative lens that focuses on socially and materially embedded practices beyond the individual. However, recent research lacks an analysis of large-scale changes over time as well as a comparison of the footprint of food practices in different social settings. A feminist view can further address neglected links between gender equality, sustainable diets, and domestic foodwork. Based in human geography, this dissertation uses a mixed-methods research design to address these gaps and expand beyond traditional qualitative methods of praxeographic research. Large-scale dietary transitions were studied through secondary analysis of a popular online recipe platform, including over 243,000 recipes with 2.5 million user ratings. An online survey with 420 participants contrasted food consumption at home and out of home, while qualitative interviews helped interpret quantitative results and shed light on underlying meanings. An extensive trend analysis showed a growing interest in and transition to meat-free diets over the past decade. However, extrapolating these trends revealed that the rate of change would not suffice for diets to arrive within planetary boundaries by 2030. Further, sustainable diets do not translate across all sites and social occasions. Eating at a restaurant is more meat-focused than eating at home. Even flexitarians increased their meat consumption when eating out. Eating out and eating meat are both perceived as ‘special’ and ‘treating oneself.’ These related meanings may link eating out to a higher environmental footprint. Even though less meat was eaten at home than at a restaurant, the effect of social eating also permeated the domestic sphere: cooking for guests or even the own household involved more meat than cooking for oneself. A gender perspective further revealed stark differences between omnivorous men and women. Women were largely responsible for foodwork, more skilled at cooking, and consumed fewer animal products. These gender differences were not found for people who adopt a meat- less diet. This part of the analysis thus revealed the significance of meat-less diets as a connector between environmental sustainability and gender equality. The most significant contribution of this dissertation is to emphasize the importance of taking intersecting issues of sustainability – human health, environmental sustainability, and gender equality – into account when studying food practices. Internalizing ecosystem services and social reproduction in current policy is essential for a future beyond an ecological crisis and gender injustice. Socially shared and gendered meanings of appropriate diets can be a significant barrier for sustainable food practices. Therefore, a key challenge will be to frame plant-focused dishes as reflections of ‘the good life,’ appropriate for both eating in and out. Delinking the meat-masculinity as well as the foodwork-femininity nexus may help to promote a bundle of just and environmentally safe food practices for all. A practice-theoretical lens helps bring this interlinkage of sustainable diets, foodwork, and gender to light., Menschliche Ernährungsgewohnheiten spielen eine zentrale Rolle für die Transformation hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem. Besonders die Nutztierhaltung belastet dabei die Umwelt in hohem Maße, unter anderem durch den Ausstoß von Treibhausgasen, Waldrodungen und einen hohen Wasserverbrauch. Daher scheint ein Rückgang der Nachfrage nach Fleisch für ein Leben innerhalb der ökologischen Grenzen der Erde unerlässlich. Wie dies erreicht werden kann ist jedoch umstritten. Politische Maßnahmen zielen aktuell häufig darauf ab, durch Bildung und Informationsbereitstellung individuelle Ernährungsentscheidungen zu beeinflussen. Die so erhofften Verhaltensänderungen auf gesellschaftlicher Ebene sind jedoch bisher weitestgehend ausgelieben. Eine alternative Perspektive auf die Mechanismen, die Konsumentscheidungen zugrunde liegen, bietet die sozialwissenschaftliche Konsumforschung. Statt individueller Handlungen untersucht sie sozial und materiell situierte Praktiken wie beispielsweise auswärts essen oder Gäste bewirten. Bisher wenig Beachtung in praxistheoretischer Forschung fanden allerdings Langzeitstudien zu Veränderungen von Ernährungspraktiken. Zudem fehlen direkte Vergleiche der Ernährungspraktiken in verschiedenen sozialen Situationen, z.B. zu Hause oder auswärts essen, sowie der jeweils zugehörige ökologische Fußabdruck.Durch die Einbeziehung einer feministischen Forschungsperspektive können außerdem Verknüpfungen zwischen Geschlechterrollen, nachhaltiger Ernährung und häuslicher Arbeitsteilung deutlich gemacht werden, die in der bisherigen Forschung vernachlässigt wurden. Zur Untersuchung der genannten Forschungslücken nutzt die vorliegende Dissertation einen ‚mixed-methods‘ Ansatz und geht damit über die traditionell qualitativen Methoden der praxistheoretischen Forschung hinaus. Mithilfe einer Sekundäranalyse der Nutzungsdaten einer populären Online-Rezeptplattform wurden Trends bezogen auf Ernährungspraktiken untersucht. Dafür wurden über 243.000 Rezepte mit 2,5 Millionen Bewertungen von Nutzer*innen ausgewertet. Um Ernährungspraktiken zu Hause und außer Haus zu kontrastieren, wurde eine Online-Umfrage mit 420 Teilnehmer*innen durchgeführt. Zur Vertiefung und kontextuellen Einbettung der quantitativen Ergebnisse wurden außerdem qualitative Interviews geführt. Die Analyse der Nutzungsdaten der Rezeptplattform zeigt ein wachsendes kollektives Interesse an und eine steigende Zahl von individuellen Übergängen zu einer fleischlosen Ernährung während des letzten Jahrzehnts. Überträgt man diese Trends auf die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich jedoch, dass die aktuelle Veränderungsrate nicht ausreicht, damit Deutschland bis 2030 seinen ökologischen Fußabdruck so reduziert, dass die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung innerhalb der ökologischen Grenzen bleiben. Außerdem wird deutlich, dass sich nachhaltige Ernährungspraktiken nicht ohne weiteres auf verschiedene sozio-materielle Arrangements und soziale Anlässe übertragen lassen. So wird laut Umfrageergebnissen beispielsweise bei einem Restaurantbesuch eher Fleisch gegessen als zu Hause. Selbst Flexitarier*innen erhöhen ihren Fleischkonsum wenn sie auswärts essen. Dabei wird sowohl ‚Essen gehen‘ als auch ‚Fleisch essen‘ als etwas Besonderes empfunden. Die Assoziation von Fleischkonsum mit ‚sich etwas gönnen‘ verbindet dadurch das Auswärtsessen mit einem erhöhten Ressourcenverbrauch. Dies beschränkt sich jedoch nicht auf Restaurantbesuche. Die Verknüpfung zwischen sozialem Anlass und Fleisch dringt auch in den häuslichen Bereich vor: Beim Kochen für Haushaltsmitglieder oder Gäste wird mehr Fleisch zubereitet als wenn für sich selbst gekocht wird. Betrachtet man außerdem die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, treten deutliche Unterschiede zwischen omnivoren Männern und Frauen zutage: Frauen die Fleisch essen sind häufiger für die Ernährung zu Hause zuständig, weisen höhere Kochfertigkeiten auf und konsumieren weniger tierische Produkte als männliche Fleischesser. Bei Männern und Frauen die sich fleischlos ernähren konnte keiner dieser skizzierten geschlechtsspezifischen Unterschiede festgestellt werden. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung fleischloser Ernährungspraktiken als eine mögliche Brücke zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und Gleichstellung der Geschlechter. Der wichtigste Beitrag dieser humangeographischen Forschungsarbeit besteht darin, die enge Verzahnung unterschiedlicher Nachhaltigkeitsziele – menschliche Gesundheit, ökologische Nachhaltigkeit und Geschlechtergleichstellung – in Bezug auf Ernährungspraktiken aufzuzeigen. Die Berücksichtigung von Ökosystemleistungen und unbezahlter Reproduktionsarbeit in politischen Zielsetzungen ist unerlässlich für eine Zukunft jenseits einer ökologischen Krise und Geschlechterungleichheiten. Gesellschaftlich verankerte und geschlechtsspezifische Bedeutungen können ein signifikantes Hindernis für eine nachhaltige Ernährung darstellen. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, eine vorwiegend pflanzliche Ernährung in Einklang mit der sozial verankerten Vorstellung eines ‚guten Lebens‘ zu bringen, so dass diese für verschiedene Anlässe gleichermaßen geeignet scheint. Die Entkoppelung von Fleisch und Männlichkeit sowie von Kochen und Weiblichkeit kann dabei den Zugang zu gerechteren und umweltfreundlicheren Ernährungspraktiken ermöglichen. Eine praxistheoretische Sichtweise macht den Zusammenhang zwischen nachhaltiger Ernährung, Essenszubereitung und Geschlechterrollen dabei explizit.
Sustainability, Food, Ernährung, Nachhaltigkeit, Practice Theory
Biermann, Gesa Anna
2021
Englisch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Biermann, Gesa Anna (2021): Recipes for sustainability: understanding social and material impacts of public and private food practices. Dissertation, LMU München: Fakultät für Geowissenschaften
[thumbnail of Biermann_Gesa_Anna.pdf]
Vorschau
PDF
Biermann_Gesa_Anna.pdf

17MB

Abstract

Dietary practices play a key role in the transition towards a more sustainable food system. Livestock in particular drives environmental impacts such as greenhouse gas emissions, deforestation, and water use. While it is clear that curbing meat demand is vital for life within planetary boundaries, pathways to change remain contested. Contemporary food policy often focuses on guiding individual food choices through education and information, without much success at a societal scale. The sociology of consumption offers an alternative lens that focuses on socially and materially embedded practices beyond the individual. However, recent research lacks an analysis of large-scale changes over time as well as a comparison of the footprint of food practices in different social settings. A feminist view can further address neglected links between gender equality, sustainable diets, and domestic foodwork. Based in human geography, this dissertation uses a mixed-methods research design to address these gaps and expand beyond traditional qualitative methods of praxeographic research. Large-scale dietary transitions were studied through secondary analysis of a popular online recipe platform, including over 243,000 recipes with 2.5 million user ratings. An online survey with 420 participants contrasted food consumption at home and out of home, while qualitative interviews helped interpret quantitative results and shed light on underlying meanings. An extensive trend analysis showed a growing interest in and transition to meat-free diets over the past decade. However, extrapolating these trends revealed that the rate of change would not suffice for diets to arrive within planetary boundaries by 2030. Further, sustainable diets do not translate across all sites and social occasions. Eating at a restaurant is more meat-focused than eating at home. Even flexitarians increased their meat consumption when eating out. Eating out and eating meat are both perceived as ‘special’ and ‘treating oneself.’ These related meanings may link eating out to a higher environmental footprint. Even though less meat was eaten at home than at a restaurant, the effect of social eating also permeated the domestic sphere: cooking for guests or even the own household involved more meat than cooking for oneself. A gender perspective further revealed stark differences between omnivorous men and women. Women were largely responsible for foodwork, more skilled at cooking, and consumed fewer animal products. These gender differences were not found for people who adopt a meat- less diet. This part of the analysis thus revealed the significance of meat-less diets as a connector between environmental sustainability and gender equality. The most significant contribution of this dissertation is to emphasize the importance of taking intersecting issues of sustainability – human health, environmental sustainability, and gender equality – into account when studying food practices. Internalizing ecosystem services and social reproduction in current policy is essential for a future beyond an ecological crisis and gender injustice. Socially shared and gendered meanings of appropriate diets can be a significant barrier for sustainable food practices. Therefore, a key challenge will be to frame plant-focused dishes as reflections of ‘the good life,’ appropriate for both eating in and out. Delinking the meat-masculinity as well as the foodwork-femininity nexus may help to promote a bundle of just and environmentally safe food practices for all. A practice-theoretical lens helps bring this interlinkage of sustainable diets, foodwork, and gender to light.

Abstract

Menschliche Ernährungsgewohnheiten spielen eine zentrale Rolle für die Transformation hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem. Besonders die Nutztierhaltung belastet dabei die Umwelt in hohem Maße, unter anderem durch den Ausstoß von Treibhausgasen, Waldrodungen und einen hohen Wasserverbrauch. Daher scheint ein Rückgang der Nachfrage nach Fleisch für ein Leben innerhalb der ökologischen Grenzen der Erde unerlässlich. Wie dies erreicht werden kann ist jedoch umstritten. Politische Maßnahmen zielen aktuell häufig darauf ab, durch Bildung und Informationsbereitstellung individuelle Ernährungsentscheidungen zu beeinflussen. Die so erhofften Verhaltensänderungen auf gesellschaftlicher Ebene sind jedoch bisher weitestgehend ausgelieben. Eine alternative Perspektive auf die Mechanismen, die Konsumentscheidungen zugrunde liegen, bietet die sozialwissenschaftliche Konsumforschung. Statt individueller Handlungen untersucht sie sozial und materiell situierte Praktiken wie beispielsweise auswärts essen oder Gäste bewirten. Bisher wenig Beachtung in praxistheoretischer Forschung fanden allerdings Langzeitstudien zu Veränderungen von Ernährungspraktiken. Zudem fehlen direkte Vergleiche der Ernährungspraktiken in verschiedenen sozialen Situationen, z.B. zu Hause oder auswärts essen, sowie der jeweils zugehörige ökologische Fußabdruck.Durch die Einbeziehung einer feministischen Forschungsperspektive können außerdem Verknüpfungen zwischen Geschlechterrollen, nachhaltiger Ernährung und häuslicher Arbeitsteilung deutlich gemacht werden, die in der bisherigen Forschung vernachlässigt wurden. Zur Untersuchung der genannten Forschungslücken nutzt die vorliegende Dissertation einen ‚mixed-methods‘ Ansatz und geht damit über die traditionell qualitativen Methoden der praxistheoretischen Forschung hinaus. Mithilfe einer Sekundäranalyse der Nutzungsdaten einer populären Online-Rezeptplattform wurden Trends bezogen auf Ernährungspraktiken untersucht. Dafür wurden über 243.000 Rezepte mit 2,5 Millionen Bewertungen von Nutzer*innen ausgewertet. Um Ernährungspraktiken zu Hause und außer Haus zu kontrastieren, wurde eine Online-Umfrage mit 420 Teilnehmer*innen durchgeführt. Zur Vertiefung und kontextuellen Einbettung der quantitativen Ergebnisse wurden außerdem qualitative Interviews geführt. Die Analyse der Nutzungsdaten der Rezeptplattform zeigt ein wachsendes kollektives Interesse an und eine steigende Zahl von individuellen Übergängen zu einer fleischlosen Ernährung während des letzten Jahrzehnts. Überträgt man diese Trends auf die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich jedoch, dass die aktuelle Veränderungsrate nicht ausreicht, damit Deutschland bis 2030 seinen ökologischen Fußabdruck so reduziert, dass die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung innerhalb der ökologischen Grenzen bleiben. Außerdem wird deutlich, dass sich nachhaltige Ernährungspraktiken nicht ohne weiteres auf verschiedene sozio-materielle Arrangements und soziale Anlässe übertragen lassen. So wird laut Umfrageergebnissen beispielsweise bei einem Restaurantbesuch eher Fleisch gegessen als zu Hause. Selbst Flexitarier*innen erhöhen ihren Fleischkonsum wenn sie auswärts essen. Dabei wird sowohl ‚Essen gehen‘ als auch ‚Fleisch essen‘ als etwas Besonderes empfunden. Die Assoziation von Fleischkonsum mit ‚sich etwas gönnen‘ verbindet dadurch das Auswärtsessen mit einem erhöhten Ressourcenverbrauch. Dies beschränkt sich jedoch nicht auf Restaurantbesuche. Die Verknüpfung zwischen sozialem Anlass und Fleisch dringt auch in den häuslichen Bereich vor: Beim Kochen für Haushaltsmitglieder oder Gäste wird mehr Fleisch zubereitet als wenn für sich selbst gekocht wird. Betrachtet man außerdem die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, treten deutliche Unterschiede zwischen omnivoren Männern und Frauen zutage: Frauen die Fleisch essen sind häufiger für die Ernährung zu Hause zuständig, weisen höhere Kochfertigkeiten auf und konsumieren weniger tierische Produkte als männliche Fleischesser. Bei Männern und Frauen die sich fleischlos ernähren konnte keiner dieser skizzierten geschlechtsspezifischen Unterschiede festgestellt werden. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung fleischloser Ernährungspraktiken als eine mögliche Brücke zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und Gleichstellung der Geschlechter. Der wichtigste Beitrag dieser humangeographischen Forschungsarbeit besteht darin, die enge Verzahnung unterschiedlicher Nachhaltigkeitsziele – menschliche Gesundheit, ökologische Nachhaltigkeit und Geschlechtergleichstellung – in Bezug auf Ernährungspraktiken aufzuzeigen. Die Berücksichtigung von Ökosystemleistungen und unbezahlter Reproduktionsarbeit in politischen Zielsetzungen ist unerlässlich für eine Zukunft jenseits einer ökologischen Krise und Geschlechterungleichheiten. Gesellschaftlich verankerte und geschlechtsspezifische Bedeutungen können ein signifikantes Hindernis für eine nachhaltige Ernährung darstellen. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, eine vorwiegend pflanzliche Ernährung in Einklang mit der sozial verankerten Vorstellung eines ‚guten Lebens‘ zu bringen, so dass diese für verschiedene Anlässe gleichermaßen geeignet scheint. Die Entkoppelung von Fleisch und Männlichkeit sowie von Kochen und Weiblichkeit kann dabei den Zugang zu gerechteren und umweltfreundlicheren Ernährungspraktiken ermöglichen. Eine praxistheoretische Sichtweise macht den Zusammenhang zwischen nachhaltiger Ernährung, Essenszubereitung und Geschlechterrollen dabei explizit.