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Kant on intuition and experience
Kant on intuition and experience
Anschauung ist einer der bedeutendsten, aber zugleich verwirrendsten Begriffe in Kants Transzendentalphilosophie. In dieser Abhandlung versuche ich die genaue Bedeutung dieses Begriffs zu erklären, indem ich seine systematische Rolle in Kants Theorie bzw. Metaphysik der Erfahrung untersucht. Der kantischen Unterscheidung zwischen Anschauung und Begriff liegt seine Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand zu Grunde, die m.E. dadurch erklärt werden soll, dass man sie mit derselben Unterscheidung bei zwei wichtigsten Vorgängern, nämlich Aristoteles und Leibniz, vergleicht. Sofern Kant Anschauung und Begriff deutlich entgegensetzt, scheint ihre Unterscheidung in naher Beziehung zu der aristotelischen zu stehen. Aber die aristotelische Unterscheidung führt zu vielen schwierigen Problemen, insbesondere dem Problem der Möglichkeit der rationalen Erkenntnisse von sinnlichen Gegenständen, welche Probleme im Rahmen einer strengen Entgegensetzung der Sinnlichkeit zum Verstand nicht zu lösen sind. Dagegen wird die Leibniz’sche Unterscheidung zwischen sinnlichen und intellektuellen Erkenntnissen häufig von Kant kritisiert. Es wird aber gezeigt, dass die meisten Kritiken Kants auf Missverständnisse basiert sind, und dass der Hauptzweck seiner Theorie bzw. Metaphysik der Erfahrung erst dann verständlich wird, wenn man die Leibniz’sche Unterscheidung und Humes Herausforderung an sie genauer betrachtet. Auf den historischen Teil folgt eine kritische Prüfung von Kants Lehre der Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen in Prolegomena sowie ihrer Verwandlung in der B-Deduktion. Es wird gezeigt, dass es trotz vieler wichtigen Einsichten dem gesamten Argument Kants nicht gelingt, eine zufriedene Erklärung für die Natur der bloß subjektiv gültigen und der objektiv gültigen Vorstellungen zu geben und Humes Herausforderung zu beantworten. Meine Kritik bezieht sich hauptsächlich auf zwei Punkte: erstens ist der Zusammenhang zwischen den logischen Formen der Urteilen und den Kategorien besonders fragwürdig, zweitens werden in Kants Argument unterschiedliche Ebenen des Ich bzw. des Selbst involviert, die Kant nicht immer deutlich unterscheidet. Deshalb kann er die Existenz eines durchgängig identischen Ich nicht einfach behaupten. Nach der Kritik an Kants eigenen Argument versuche ich, ein neues, sich aus der Rekonstruktion anhand einiger zentralen Einsichten von Kant ergebendes Argument zu präsentieren, das von allen von mir genannten Problemen frei ist und eine Antwort auf Humes Herausforderung anbieten kann. Zum Schluss schlage ich vor, dass Kants Begriff der Anschauung nach dem Leibniz’schen verworrenen Begriff verstanden werden soll.
Kant, intuition, imagination, judgments of experience, judgments of perception
Nan, Xing
2017
Englisch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Nan, Xing (2017): Kant on intuition and experience. Dissertation, LMU München: Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft
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Abstract

Anschauung ist einer der bedeutendsten, aber zugleich verwirrendsten Begriffe in Kants Transzendentalphilosophie. In dieser Abhandlung versuche ich die genaue Bedeutung dieses Begriffs zu erklären, indem ich seine systematische Rolle in Kants Theorie bzw. Metaphysik der Erfahrung untersucht. Der kantischen Unterscheidung zwischen Anschauung und Begriff liegt seine Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand zu Grunde, die m.E. dadurch erklärt werden soll, dass man sie mit derselben Unterscheidung bei zwei wichtigsten Vorgängern, nämlich Aristoteles und Leibniz, vergleicht. Sofern Kant Anschauung und Begriff deutlich entgegensetzt, scheint ihre Unterscheidung in naher Beziehung zu der aristotelischen zu stehen. Aber die aristotelische Unterscheidung führt zu vielen schwierigen Problemen, insbesondere dem Problem der Möglichkeit der rationalen Erkenntnisse von sinnlichen Gegenständen, welche Probleme im Rahmen einer strengen Entgegensetzung der Sinnlichkeit zum Verstand nicht zu lösen sind. Dagegen wird die Leibniz’sche Unterscheidung zwischen sinnlichen und intellektuellen Erkenntnissen häufig von Kant kritisiert. Es wird aber gezeigt, dass die meisten Kritiken Kants auf Missverständnisse basiert sind, und dass der Hauptzweck seiner Theorie bzw. Metaphysik der Erfahrung erst dann verständlich wird, wenn man die Leibniz’sche Unterscheidung und Humes Herausforderung an sie genauer betrachtet. Auf den historischen Teil folgt eine kritische Prüfung von Kants Lehre der Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen in Prolegomena sowie ihrer Verwandlung in der B-Deduktion. Es wird gezeigt, dass es trotz vieler wichtigen Einsichten dem gesamten Argument Kants nicht gelingt, eine zufriedene Erklärung für die Natur der bloß subjektiv gültigen und der objektiv gültigen Vorstellungen zu geben und Humes Herausforderung zu beantworten. Meine Kritik bezieht sich hauptsächlich auf zwei Punkte: erstens ist der Zusammenhang zwischen den logischen Formen der Urteilen und den Kategorien besonders fragwürdig, zweitens werden in Kants Argument unterschiedliche Ebenen des Ich bzw. des Selbst involviert, die Kant nicht immer deutlich unterscheidet. Deshalb kann er die Existenz eines durchgängig identischen Ich nicht einfach behaupten. Nach der Kritik an Kants eigenen Argument versuche ich, ein neues, sich aus der Rekonstruktion anhand einiger zentralen Einsichten von Kant ergebendes Argument zu präsentieren, das von allen von mir genannten Problemen frei ist und eine Antwort auf Humes Herausforderung anbieten kann. Zum Schluss schlage ich vor, dass Kants Begriff der Anschauung nach dem Leibniz’schen verworrenen Begriff verstanden werden soll.