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Die antennalen Sensillen von Dipterenlarven und Larven verwandter Insektenordnungen. Eine vergleichend-transmissions- und rasterelektronenmikroskopische Untersuchung mit Blick auf die Evolution von Kleinorganen
Die antennalen Sensillen von Dipterenlarven und Larven verwandter Insektenordnungen. Eine vergleichend-transmissions- und rasterelektronenmikroskopische Untersuchung mit Blick auf die Evolution von Kleinorganen
Sensillen sind „Kleinsinnesorgane“ der Arthropoda, die die Wahrnehmung einer Vielzahl unterschiedlicher Reize ermöglichen. Trotz großen Interesses an diesen Sinnesorganen ist die Frage nach den Homologieverhältnissen und der Evolution von Sensillen weitgehend ungeklärt. In der vorliegenden Arbeit werden daher die antennalen Sensillen von Larven aller größeren monophyletischen Gruppen der Diptera, sowie einiger mit den Diptera verwandter Holometabola raster- und transmissionselektronenmikroskopisch untersucht und vergleichend beschrieben. Die larvalen Antennen der Holometabola sind vor allem wegen der verhältnismäßig kleinen Anzahl von Sensillen besonders geeignete Modellobjekte, da dies die ultrastrukturelle Analyse des jeweils gesamten Sensilleninventars der Antennen ermöglicht. Obwohl die REM-Untersuchung der larvalen Antennen eine enorme äußere Vielfalt an Sensillenformen offenbart, zeigt die Analyse der inneren Ultrastruktur, daß die antennalen Sensillen von insgesamt 32 Dipterenarten und vier holometabolen Außengruppenvertretern nach strukturellen Kriterien nur zehn unterschiedlichen Sensillentypen zugeordnet werden können. Darüber hinaus lassen „modalitätsspezifische Strukturen“ Rückschlüsse auf die Funktionen der Sensillen zu. So deuten die Befunde darauf hin, daß es sich bei den Sensillentypen um olfaktorische, kontaktchemosensitive, gustatorische, thermo-, hygro- bzw. thermo-/hygrosensitive Sensillen, sowie um mechanosensitive Extero- und Propriorezeptoren handelt. Die Ergebnisse zeigen also, daß die larvalen Antennen, obwohl sie bei den Diptera durchschnittlich nur mit etwa zehn Sensillen ausgestattet sind, über ein ähnlich breites Spektrum der Reizwahrnehmung verfügen wie die imaginalen Antennen, die einige hundert oder gar tausend Sensillen besitzen. Rasterelektronenmikroskopisch konnten vor allem äußerliche Anpassungen der Antennen und Sensillen z.B. an Habitat und Lebensweise der Larve nachgewiesen werden; so sind lange Antennen, und mit ihnen meist auch überwiegend langgestreckte Sensillen, in aquatischen Lebensräumen eindeutig begünstigt, während terrestrisch lebende Larven, besonders in festen Substraten, wie z.B. Holz, eher kurze oder sogar plattenförmig reduzierte Antennen besitzen. Die vergleichende TEM-Untersuchung zeigt jedoch auch, daß Sensillen des gleichen Typs bei den jeweiligen Tieren sowohl in ihrer Position auf den Antennen, als auch in ihren strukturellen Merkmalen übereinstimmen. Nach dem Lagekriterium und dem Kriterium der spezifischen Qualität konnte so die Homologie einzelner antennaler Sensillen der Dipterenlarven für die gesamte Ordnung und teilweise sogar für die Holometabola wahrscheinlich gemacht werden. Über diesen homologen Sensillensatz hinaus konnte gezeigt werden, daß individuelle Sensillen - also kleinste Sinnesorgane - evolutiven Veränderungen unterliegen, die es erlauben ihr Schicksal im Verlauf der Phylogenese zu verfolgen. So belegen die Ergebnisse beispielsweise, daß der antennale Kontaktchemorezeptor „Peg“, bei den cyclorrhaphen Fliegen im Zusammenhang mit der Evolution des Antennen-Maxillar-Komplexes zum Maxillarpalpus verlagert wurde. Bei der vergleichenden Analyse aller antennalen Sensillen waren evolutive Tendenzen feststellbar, die in vielen Punkten mit den etablierten Stammbäumen der Diptera übereinstimmen, aber auch interessante Anregungen für derzeit noch ungeklärte Verwandtschaftsbeziehungen liefern. Für die meisten monophyletischen Gruppen der Diptera fanden sich charakteristische Merkmalskombinationen, die teilweise sogar als Synapomorphien gedeutet werden können. Bezogen auf offene Fragen der Dipterensystematik legen die Sensillenmerkmale beispielsweise ein Schwestergruppenverhältnis zwischen den Anisopodidae (Fenstermücken) und den „orthorrhaphen Fliegen“ nahe, wobei eine enge Verwandtschaftsbeziehung vor allem mit den Tabanomorpha (ohne die Vermileonidae) wahrscheinlich ist. Darüber hinaus führte ein Außengruppenvergleich zwischen den Diptera und einigen anderen Holometabola zu dem Ergebnis, daß der „Cone“ als Komplexchemosensillum ebenso zu den Grundplanmerkmalen holometaboler Insektenlarven gehört, wie zwei Thermo-/Hygrorezeptoren (lS3-Sensillen). Das bedeutet, daß diese individuellen Sensillen über fast 300 Mio. Jahre Evolution bis ins frühe Perm zurückverfolgt werden können.
Not available
Nicastro, Daniela
2000
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Nicastro, Daniela (2000): Die antennalen Sensillen von Dipterenlarven und Larven verwandter Insektenordnungen: Eine vergleichend-transmissions- und rasterelektronenmikroskopische Untersuchung mit Blick auf die Evolution von Kleinorganen. Dissertation, LMU München: Fakultät für Biologie
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Abstract

Sensillen sind „Kleinsinnesorgane“ der Arthropoda, die die Wahrnehmung einer Vielzahl unterschiedlicher Reize ermöglichen. Trotz großen Interesses an diesen Sinnesorganen ist die Frage nach den Homologieverhältnissen und der Evolution von Sensillen weitgehend ungeklärt. In der vorliegenden Arbeit werden daher die antennalen Sensillen von Larven aller größeren monophyletischen Gruppen der Diptera, sowie einiger mit den Diptera verwandter Holometabola raster- und transmissionselektronenmikroskopisch untersucht und vergleichend beschrieben. Die larvalen Antennen der Holometabola sind vor allem wegen der verhältnismäßig kleinen Anzahl von Sensillen besonders geeignete Modellobjekte, da dies die ultrastrukturelle Analyse des jeweils gesamten Sensilleninventars der Antennen ermöglicht. Obwohl die REM-Untersuchung der larvalen Antennen eine enorme äußere Vielfalt an Sensillenformen offenbart, zeigt die Analyse der inneren Ultrastruktur, daß die antennalen Sensillen von insgesamt 32 Dipterenarten und vier holometabolen Außengruppenvertretern nach strukturellen Kriterien nur zehn unterschiedlichen Sensillentypen zugeordnet werden können. Darüber hinaus lassen „modalitätsspezifische Strukturen“ Rückschlüsse auf die Funktionen der Sensillen zu. So deuten die Befunde darauf hin, daß es sich bei den Sensillentypen um olfaktorische, kontaktchemosensitive, gustatorische, thermo-, hygro- bzw. thermo-/hygrosensitive Sensillen, sowie um mechanosensitive Extero- und Propriorezeptoren handelt. Die Ergebnisse zeigen also, daß die larvalen Antennen, obwohl sie bei den Diptera durchschnittlich nur mit etwa zehn Sensillen ausgestattet sind, über ein ähnlich breites Spektrum der Reizwahrnehmung verfügen wie die imaginalen Antennen, die einige hundert oder gar tausend Sensillen besitzen. Rasterelektronenmikroskopisch konnten vor allem äußerliche Anpassungen der Antennen und Sensillen z.B. an Habitat und Lebensweise der Larve nachgewiesen werden; so sind lange Antennen, und mit ihnen meist auch überwiegend langgestreckte Sensillen, in aquatischen Lebensräumen eindeutig begünstigt, während terrestrisch lebende Larven, besonders in festen Substraten, wie z.B. Holz, eher kurze oder sogar plattenförmig reduzierte Antennen besitzen. Die vergleichende TEM-Untersuchung zeigt jedoch auch, daß Sensillen des gleichen Typs bei den jeweiligen Tieren sowohl in ihrer Position auf den Antennen, als auch in ihren strukturellen Merkmalen übereinstimmen. Nach dem Lagekriterium und dem Kriterium der spezifischen Qualität konnte so die Homologie einzelner antennaler Sensillen der Dipterenlarven für die gesamte Ordnung und teilweise sogar für die Holometabola wahrscheinlich gemacht werden. Über diesen homologen Sensillensatz hinaus konnte gezeigt werden, daß individuelle Sensillen - also kleinste Sinnesorgane - evolutiven Veränderungen unterliegen, die es erlauben ihr Schicksal im Verlauf der Phylogenese zu verfolgen. So belegen die Ergebnisse beispielsweise, daß der antennale Kontaktchemorezeptor „Peg“, bei den cyclorrhaphen Fliegen im Zusammenhang mit der Evolution des Antennen-Maxillar-Komplexes zum Maxillarpalpus verlagert wurde. Bei der vergleichenden Analyse aller antennalen Sensillen waren evolutive Tendenzen feststellbar, die in vielen Punkten mit den etablierten Stammbäumen der Diptera übereinstimmen, aber auch interessante Anregungen für derzeit noch ungeklärte Verwandtschaftsbeziehungen liefern. Für die meisten monophyletischen Gruppen der Diptera fanden sich charakteristische Merkmalskombinationen, die teilweise sogar als Synapomorphien gedeutet werden können. Bezogen auf offene Fragen der Dipterensystematik legen die Sensillenmerkmale beispielsweise ein Schwestergruppenverhältnis zwischen den Anisopodidae (Fenstermücken) und den „orthorrhaphen Fliegen“ nahe, wobei eine enge Verwandtschaftsbeziehung vor allem mit den Tabanomorpha (ohne die Vermileonidae) wahrscheinlich ist. Darüber hinaus führte ein Außengruppenvergleich zwischen den Diptera und einigen anderen Holometabola zu dem Ergebnis, daß der „Cone“ als Komplexchemosensillum ebenso zu den Grundplanmerkmalen holometaboler Insektenlarven gehört, wie zwei Thermo-/Hygrorezeptoren (lS3-Sensillen). Das bedeutet, daß diese individuellen Sensillen über fast 300 Mio. Jahre Evolution bis ins frühe Perm zurückverfolgt werden können.