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Untersuchungen zur Rolle des endogenen Cannabinoidsystems bei der Anpassung an aversive Situationen
Untersuchungen zur Rolle des endogenen Cannabinoidsystems bei der Anpassung an aversive Situationen
Ziel der vorliegenden Arbeit war es zu untersuchen, auf welche Art und Weise das endogene Cannabinoidsystem die Extinktion konditionierter Furcht vermittelt. Dabei gliedert sich diese Arbeit in vier Teile. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Modulation intrazellulärer Signalkaskaden durch den CB1 Cannabinoidrezeptor während der Extinktion konditionierter Furcht. Dafür wurden CB1 Cannabinoidrezeptor-knockout Mäuse einer Furchtkonditionierung und deren Extinktion unterzogen und danach der Phosphorylierungsstatus der Kinasen p42, p44 sowie der Proteinkinase B und das Expressionslevel der Phosphatase Calcineurin im basolateralen und zentralen Nucleus der Amygdala, im ventromedialen präfrontalen Cortex sowie im dorsalen und ventralen Hippocampus dieser Tiere gemessen. Die untersuchten Enzyme zeigten sich in diesen Hirnregionen, die in die Extinktion konditionierter Furcht involviert sind, im Vergleich zu Wildtyp-Mäusen unterschiedlich reguliert. Diese Studie legt den Schluss nahe, dass Endocannabinoide die Extinktion konditionierter Furcht über die Modulation intrazellulärer Signalkaskaden vermitteln, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Hirnstruktur unterschiedlich einbezogen sind. Da bisherige Arbeiten zur allgemeinen Rolle von CB1 in verschiedenen Lernaufgaben kontroverse Ergebnisse lieferten und allein die Einbeziehung des Endocannabinoidsystems in die Extinktion konditionierter Furcht übereinstimmend gezeigt wurde, wird im zweiten Teil dieser Arbeit untersucht, inwieweit sich die Furchtkonditionierung von anderen Lernparadigmen unterscheidet. In diesem Zusammenhang wurde in der vorliegenden Arbeit erstmalig nachgewiesen, dass die bei der Furchtkonditionierung auftretende unabdingbare, stark aversive Situation neben der klassischen Konditionierung auch eine Stress-Sensitivierung hervorrufen kann. Hierfür wurde gezeigt, dass bereits die Applikation eines milden elektrischen Fußschocks per se ausreicht, um eine unspezifische Erhöhung der Reaktivität des Tieres zu erzielen. Auf der Verhaltensebene zeigten schocksensitivierte Tiere beispielsweise eine Furchtreaktion auf Töne, wie sie ebenfalls für die Furchtkonditionierung verwendet wurden, aber auch ein verstärktes angstähnliches Verhalten im Hell-Dunkel-Meidetest. In einer Reihe von Experimenten wurde demonstriert, dass sich diese Erhöhung der Furchtantworten nach Applikation eines Fußschocks nicht auf eine Kontextgeneralisierung, d.h. auf kontextuelles assoziatives Lernen, zurückführen lässt. So zeigten auch Mäuse, die eine Furchtkonditionierung erfahren hatten, neben der Furchtreaktion auf den konditionierten Tonreiz ein verstärktes angstähnliches Verhalten im Hell-Dunkel-Meidetest, was unterstreicht, dass während einer Furchtkonditionierung nicht nur assoziative, sondern auch nicht-assoziative Lernvorgänge, wie die Sensitivierung, induziert werden. Ähnliches gilt für die Extinktion der Furchtkonditionierung, die in derzeitigen Modellen als neue inhibitorische Assoziation zwischen konditioniertem Stimulus und dem Ausbleiben des vorhergesagten ‚Bestrafungsreizes’ beschrieben wird. In der vorliegenden Arbeit wurde dargelegt, dass nicht-assoziative Habituationsprozesse, die bei wiederholter Präsentation des konditionierten Stimulus auftreten, ebenfalls zur Extinktion konditionierter Furcht beitragen. Dieses erstmalig gezeigte Zusammenspiel assoziativer und nicht-assoziativer Prozesse bei der Akquisition und Extinktion konditionierter Furcht wurde in der ‚Zwei-Komponenten-Theorie’ zum Gedächtnis konditionierter Furcht zusammengefasst. Da vorhergehende Studien die Involvierung des Endocannabinoidsystems in die Extinktion konditionierter Furcht belegten, wurde im dritten Teil der vorliegenden Arbeit untersucht, ob Endocannabinoide assoziatives Extinktionslernen oder Habituationsprozesse modulieren. In einer Reihe von Experimenten wurde gezeigt, dass der CB1 Cannabinoidrezeptor assoziatives Sicherheitslernen nicht beeinflusst – für Habituationsprozesse jedoch erforderlich ist. In einigen Experimenten konnte kein Einfluss des CB1 Cannabinoidrezeptors auf die Kurzzeitanpassung festgestellt werden, dennoch vermittelte der CB1 Cannabinoidrezeptor generell, d.h. auch in diesen Fällen, Langzeithabituation an aversive Situationen. Dies deutete darauf hin, dass das Endocannabinoidsystem Kurzzeitanpassung und Langzeithabituation über verschiedene Mechanismen vermittelt. Zusammenfassend wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit das endogene Cannabinoidsystem als erstes molekulares Korrelat der Habituationskomponente der Furchtextinktion identifiziert. Um die unterschiedliche Einbeziehung des Endocannabinoidsystems in die Kurzzeitanpassung an aversive Situationen besser zu verstehen, wurde im letzten Teil der Arbeit die Aversivität der Testsituation, d.h. die Intensität der Fußschocks während der Sensitivierung, systematisch verändert und danach die akute Furchtreaktion auf einen Ton gemessen. Nach geringen und starken Fußschocks waren Endocannabinoide nicht an der Kurzzeitanpassung beteiligt, lediglich die Applikation eines Fußschocks mittlerer Intensität führte dazu, dass Endocannabinoide ihre Furcht reduzierende Wirkung während der darauf folgenden Tonpräsentation entfalten konnten. Um zu erforschen, ob in stark aversiven Situationen der CB1 Cannabinoidrezeptor durch effiziente Endocannabinoid-Wiederaufnahme- und Abbauprozesse nicht genügend stimuliert wird, um Furchtreaktionen zu reduzieren, wurden Endocannabinoid-Wiederaufnahme- und Abbauhemmer appliziert. Dies führte zu einer verbesserten Anpassung an stark aversive Situationen, die sich in einer verringerten Furchtreaktion zeigte und somit eine therapeutische Ansatzmöglichkeit für Angsterkrankungen bilden könnte. Die hier neu gewonnen Erkenntnisse, namentlich dass eine bestimmte Aversivität erreicht werden muss, um das Endocannabinoidsystem zu aktivieren und dass bei sehr starker Aversivität die Furcht reduzierende Wirkung der Endocannabinoide durch effiziente Wiederaufnahme- und Abbauprozesse limitiert wird, wurde in der ‚Hypothese vom kritischen Bereich der Endocannabinoidwirkung’ zusammengefasst. Auf diese Weise gewährleistet das Endocannabinoidsystem eine adäquate Anpassung an aversive Situationen, indem Furchtreaktionen in Situationen mittlerer Aversivität gedämpft werden, starke Aversivität jedoch eine starke Reaktion auslöst, um bei relevanten Stimuli und Ereignissen die Bildung eines Furchtgedächtnisses zu ermöglichen. Zusammenfassend wurde in der vorliegenden Arbeit erstmalig nachgewiesen, dass sowohl bei der Akquisition als auch bei der Extinktion konditionierter Furcht Sensitivierung bzw. Habituation als nicht-assoziative Prozesse mitwirken. Dabei zeigte sich, dass das Endocannabinoidsystem die Extinktion konditionierter Furcht vermittelt, indem es Langzeithabituation ermöglicht und in einigen Fällen auch in die Kurzzeitanpassung involviert ist. Eine solche Einbeziehung des Endocannabinoidsystems in die akute Anpassung an aversive Situationen erwies sich als von der Aversivität der Situation abhängiger Prozess. Der CB1 Cannabinoidrezeptor wurde somit als erstes molekulares Korrelat der Habituationskomponente der Extinktion konditionierter Furcht identifiziert.
Furchtkonditionierung, Extinktion, Endocannabinoide, CB1, Habituation
Kamprath, Kornelia
2006
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Kamprath, Kornelia (2006): Untersuchungen zur Rolle des endogenen Cannabinoidsystems bei der Anpassung an aversive Situationen. Dissertation, LMU München: Fakultät für Biologie
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Abstract

Ziel der vorliegenden Arbeit war es zu untersuchen, auf welche Art und Weise das endogene Cannabinoidsystem die Extinktion konditionierter Furcht vermittelt. Dabei gliedert sich diese Arbeit in vier Teile. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Modulation intrazellulärer Signalkaskaden durch den CB1 Cannabinoidrezeptor während der Extinktion konditionierter Furcht. Dafür wurden CB1 Cannabinoidrezeptor-knockout Mäuse einer Furchtkonditionierung und deren Extinktion unterzogen und danach der Phosphorylierungsstatus der Kinasen p42, p44 sowie der Proteinkinase B und das Expressionslevel der Phosphatase Calcineurin im basolateralen und zentralen Nucleus der Amygdala, im ventromedialen präfrontalen Cortex sowie im dorsalen und ventralen Hippocampus dieser Tiere gemessen. Die untersuchten Enzyme zeigten sich in diesen Hirnregionen, die in die Extinktion konditionierter Furcht involviert sind, im Vergleich zu Wildtyp-Mäusen unterschiedlich reguliert. Diese Studie legt den Schluss nahe, dass Endocannabinoide die Extinktion konditionierter Furcht über die Modulation intrazellulärer Signalkaskaden vermitteln, die in Abhängigkeit von der jeweiligen Hirnstruktur unterschiedlich einbezogen sind. Da bisherige Arbeiten zur allgemeinen Rolle von CB1 in verschiedenen Lernaufgaben kontroverse Ergebnisse lieferten und allein die Einbeziehung des Endocannabinoidsystems in die Extinktion konditionierter Furcht übereinstimmend gezeigt wurde, wird im zweiten Teil dieser Arbeit untersucht, inwieweit sich die Furchtkonditionierung von anderen Lernparadigmen unterscheidet. In diesem Zusammenhang wurde in der vorliegenden Arbeit erstmalig nachgewiesen, dass die bei der Furchtkonditionierung auftretende unabdingbare, stark aversive Situation neben der klassischen Konditionierung auch eine Stress-Sensitivierung hervorrufen kann. Hierfür wurde gezeigt, dass bereits die Applikation eines milden elektrischen Fußschocks per se ausreicht, um eine unspezifische Erhöhung der Reaktivität des Tieres zu erzielen. Auf der Verhaltensebene zeigten schocksensitivierte Tiere beispielsweise eine Furchtreaktion auf Töne, wie sie ebenfalls für die Furchtkonditionierung verwendet wurden, aber auch ein verstärktes angstähnliches Verhalten im Hell-Dunkel-Meidetest. In einer Reihe von Experimenten wurde demonstriert, dass sich diese Erhöhung der Furchtantworten nach Applikation eines Fußschocks nicht auf eine Kontextgeneralisierung, d.h. auf kontextuelles assoziatives Lernen, zurückführen lässt. So zeigten auch Mäuse, die eine Furchtkonditionierung erfahren hatten, neben der Furchtreaktion auf den konditionierten Tonreiz ein verstärktes angstähnliches Verhalten im Hell-Dunkel-Meidetest, was unterstreicht, dass während einer Furchtkonditionierung nicht nur assoziative, sondern auch nicht-assoziative Lernvorgänge, wie die Sensitivierung, induziert werden. Ähnliches gilt für die Extinktion der Furchtkonditionierung, die in derzeitigen Modellen als neue inhibitorische Assoziation zwischen konditioniertem Stimulus und dem Ausbleiben des vorhergesagten ‚Bestrafungsreizes’ beschrieben wird. In der vorliegenden Arbeit wurde dargelegt, dass nicht-assoziative Habituationsprozesse, die bei wiederholter Präsentation des konditionierten Stimulus auftreten, ebenfalls zur Extinktion konditionierter Furcht beitragen. Dieses erstmalig gezeigte Zusammenspiel assoziativer und nicht-assoziativer Prozesse bei der Akquisition und Extinktion konditionierter Furcht wurde in der ‚Zwei-Komponenten-Theorie’ zum Gedächtnis konditionierter Furcht zusammengefasst. Da vorhergehende Studien die Involvierung des Endocannabinoidsystems in die Extinktion konditionierter Furcht belegten, wurde im dritten Teil der vorliegenden Arbeit untersucht, ob Endocannabinoide assoziatives Extinktionslernen oder Habituationsprozesse modulieren. In einer Reihe von Experimenten wurde gezeigt, dass der CB1 Cannabinoidrezeptor assoziatives Sicherheitslernen nicht beeinflusst – für Habituationsprozesse jedoch erforderlich ist. In einigen Experimenten konnte kein Einfluss des CB1 Cannabinoidrezeptors auf die Kurzzeitanpassung festgestellt werden, dennoch vermittelte der CB1 Cannabinoidrezeptor generell, d.h. auch in diesen Fällen, Langzeithabituation an aversive Situationen. Dies deutete darauf hin, dass das Endocannabinoidsystem Kurzzeitanpassung und Langzeithabituation über verschiedene Mechanismen vermittelt. Zusammenfassend wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit das endogene Cannabinoidsystem als erstes molekulares Korrelat der Habituationskomponente der Furchtextinktion identifiziert. Um die unterschiedliche Einbeziehung des Endocannabinoidsystems in die Kurzzeitanpassung an aversive Situationen besser zu verstehen, wurde im letzten Teil der Arbeit die Aversivität der Testsituation, d.h. die Intensität der Fußschocks während der Sensitivierung, systematisch verändert und danach die akute Furchtreaktion auf einen Ton gemessen. Nach geringen und starken Fußschocks waren Endocannabinoide nicht an der Kurzzeitanpassung beteiligt, lediglich die Applikation eines Fußschocks mittlerer Intensität führte dazu, dass Endocannabinoide ihre Furcht reduzierende Wirkung während der darauf folgenden Tonpräsentation entfalten konnten. Um zu erforschen, ob in stark aversiven Situationen der CB1 Cannabinoidrezeptor durch effiziente Endocannabinoid-Wiederaufnahme- und Abbauprozesse nicht genügend stimuliert wird, um Furchtreaktionen zu reduzieren, wurden Endocannabinoid-Wiederaufnahme- und Abbauhemmer appliziert. Dies führte zu einer verbesserten Anpassung an stark aversive Situationen, die sich in einer verringerten Furchtreaktion zeigte und somit eine therapeutische Ansatzmöglichkeit für Angsterkrankungen bilden könnte. Die hier neu gewonnen Erkenntnisse, namentlich dass eine bestimmte Aversivität erreicht werden muss, um das Endocannabinoidsystem zu aktivieren und dass bei sehr starker Aversivität die Furcht reduzierende Wirkung der Endocannabinoide durch effiziente Wiederaufnahme- und Abbauprozesse limitiert wird, wurde in der ‚Hypothese vom kritischen Bereich der Endocannabinoidwirkung’ zusammengefasst. Auf diese Weise gewährleistet das Endocannabinoidsystem eine adäquate Anpassung an aversive Situationen, indem Furchtreaktionen in Situationen mittlerer Aversivität gedämpft werden, starke Aversivität jedoch eine starke Reaktion auslöst, um bei relevanten Stimuli und Ereignissen die Bildung eines Furchtgedächtnisses zu ermöglichen. Zusammenfassend wurde in der vorliegenden Arbeit erstmalig nachgewiesen, dass sowohl bei der Akquisition als auch bei der Extinktion konditionierter Furcht Sensitivierung bzw. Habituation als nicht-assoziative Prozesse mitwirken. Dabei zeigte sich, dass das Endocannabinoidsystem die Extinktion konditionierter Furcht vermittelt, indem es Langzeithabituation ermöglicht und in einigen Fällen auch in die Kurzzeitanpassung involviert ist. Eine solche Einbeziehung des Endocannabinoidsystems in die akute Anpassung an aversive Situationen erwies sich als von der Aversivität der Situation abhängiger Prozess. Der CB1 Cannabinoidrezeptor wurde somit als erstes molekulares Korrelat der Habituationskomponente der Extinktion konditionierter Furcht identifiziert.