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Entwicklung und erfahrungsabhängige Plastizität neuronaler Mechanismen für Schalllokalisation bei Säugern
Entwicklung und erfahrungsabhängige Plastizität neuronaler Mechanismen für Schalllokalisation bei Säugern
Schalllokalisation ist eine der wichtigsten Aufgaben unseres Hörsystems. Die Position von tieffrequenten Schallquellen wird vor allem auf der Basis von interauralen Zeitdifferenzen (ITD) bestimmt. Die Verarbeitung solcher ITDs findet in der medialen oberen Olive (MSO), einer Struktur des auditorischen Hirnstamms statt (Goldberg and Brown, 1969; Yin and Chan, 1990; Spitzer and Semple, 1995), die zum ersten Mal in der aufsteigenden Hörbahn binaurale akustische Information verarbeitet. Die Zellen in der MSO bekommen von beiden Ohren erregende und hemmende Eingänge. Ein zeitlich präzise abgestimmtes Zusammenspiel dieser vier Eingänge sorgt für die richtige Einstellung der ITD-Empfindlichkeit in der Wüstenrennmaus (Brand et al., 2002). Die Koinzidenz der erregenden Eingängen alleine erzeugt eine ITD-Sensitivität, die bei ca. 0 ITD ihre maximale Antwort hat. Dadurch liegt die maximale Steigung der ITD-Funktion außerhalb des physiologisch relevanten Bereiches. Die Inhibition sorgt dafür, dass die maximale Antwort in den contralateralen Bereich verschoben und somit die maximale Steigung der ITD-Funktion auf den Bereich der physiologisch relevanten ITDs abgestimmt wird. Die glyzinergen inhibitorischen Projektionen zur MSO der Wüstenrennmaus sind vor Hörbeginn noch diffus verteilt und innervieren Somata und Dendriten gleichermaßen. Weniger als zwei Wochen nach Hörbeginn sind diese hemmenden Eingange jedoch auf die Somata der MSO-Neurone beschränkt (Seidl, 1999). Diese Beschränkung ist abhängig von binauraler Aktivität (Kapfer, 1999). In der vorliegenden Arbeit wird gezeigt, dass diese Eliminierung der dendritischen inhibitorischen Eingänge in der Wüstenrennmaus durch die Aufzucht in omnidirektionalem weißem Rauschen während einer kritischen Periode nach Hörbeginn unterdrückt werden kann. Für die normale Entwicklung der räumlichen Verteilung der glyzinergen Synapsen in der MSO ist also normale akustische Erfahrung notwendig. Bei Tieren, die ITDs nicht zur Schalllokalisation verwenden, kommt es zu keiner solchen Entwicklung. Vor Hörbeginn und auch im Erwachsenenstadium sind die inhibitorischen Eingänge auf den Zellen der MSO gleichmäßig über Soma und Dendriten verteilt. Als weiteres Ergebnis wird beschrieben, dass es eine Veränderung der ITD-Empfindlichkeit nach Hörbeginn gibt. Die Abstimmung der maximalen Steigungen der ITD-Funktionen auf den physiologischen Bereich nach Hörbeginn unterbleibt, wenn die räumlichen akustischen Signale durch weißes Rauschen während der kritischen Periode maskiert werden. Diese Entwicklung korreliert mit der Verteilung der glyzinergen Synapsen an MSO-Neuronen. Werden erwachsene Tiere weißem Rauschen ausgesetzt, so kommt es zu einer Änderung der ITD-Empfindlichkeit, die reversibel ist, aber nicht mit der unterdrückten Entwicklung nach Hörbeginn vergleichbar ist. Diese Arbeit zeigt, dass die korrekte strukturelle Entwicklung inhibitorischer Synapsen notwendig ist um die biophysikalische Grundlage für Schalllokalisationsmechanismen zu schaffen. Diese Entwicklung ist abhängig von der Erfahrung räumlicher akustischer Signale. Somit ist sie ein Beispiel für ein System, das sich direkt durch die Information die es später verarbeitet, selbst abstimmt und optimiert.
Neurobiologie, Schalllokalisation, Entwicklung, akustische Erfahrung
Seidl, Armin
2003
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Seidl, Armin (2003): Entwicklung und erfahrungsabhängige Plastizität neuronaler Mechanismen für Schalllokalisation bei Säugern. Dissertation, LMU München: Fakultät für Biologie
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Abstract

Schalllokalisation ist eine der wichtigsten Aufgaben unseres Hörsystems. Die Position von tieffrequenten Schallquellen wird vor allem auf der Basis von interauralen Zeitdifferenzen (ITD) bestimmt. Die Verarbeitung solcher ITDs findet in der medialen oberen Olive (MSO), einer Struktur des auditorischen Hirnstamms statt (Goldberg and Brown, 1969; Yin and Chan, 1990; Spitzer and Semple, 1995), die zum ersten Mal in der aufsteigenden Hörbahn binaurale akustische Information verarbeitet. Die Zellen in der MSO bekommen von beiden Ohren erregende und hemmende Eingänge. Ein zeitlich präzise abgestimmtes Zusammenspiel dieser vier Eingänge sorgt für die richtige Einstellung der ITD-Empfindlichkeit in der Wüstenrennmaus (Brand et al., 2002). Die Koinzidenz der erregenden Eingängen alleine erzeugt eine ITD-Sensitivität, die bei ca. 0 ITD ihre maximale Antwort hat. Dadurch liegt die maximale Steigung der ITD-Funktion außerhalb des physiologisch relevanten Bereiches. Die Inhibition sorgt dafür, dass die maximale Antwort in den contralateralen Bereich verschoben und somit die maximale Steigung der ITD-Funktion auf den Bereich der physiologisch relevanten ITDs abgestimmt wird. Die glyzinergen inhibitorischen Projektionen zur MSO der Wüstenrennmaus sind vor Hörbeginn noch diffus verteilt und innervieren Somata und Dendriten gleichermaßen. Weniger als zwei Wochen nach Hörbeginn sind diese hemmenden Eingange jedoch auf die Somata der MSO-Neurone beschränkt (Seidl, 1999). Diese Beschränkung ist abhängig von binauraler Aktivität (Kapfer, 1999). In der vorliegenden Arbeit wird gezeigt, dass diese Eliminierung der dendritischen inhibitorischen Eingänge in der Wüstenrennmaus durch die Aufzucht in omnidirektionalem weißem Rauschen während einer kritischen Periode nach Hörbeginn unterdrückt werden kann. Für die normale Entwicklung der räumlichen Verteilung der glyzinergen Synapsen in der MSO ist also normale akustische Erfahrung notwendig. Bei Tieren, die ITDs nicht zur Schalllokalisation verwenden, kommt es zu keiner solchen Entwicklung. Vor Hörbeginn und auch im Erwachsenenstadium sind die inhibitorischen Eingänge auf den Zellen der MSO gleichmäßig über Soma und Dendriten verteilt. Als weiteres Ergebnis wird beschrieben, dass es eine Veränderung der ITD-Empfindlichkeit nach Hörbeginn gibt. Die Abstimmung der maximalen Steigungen der ITD-Funktionen auf den physiologischen Bereich nach Hörbeginn unterbleibt, wenn die räumlichen akustischen Signale durch weißes Rauschen während der kritischen Periode maskiert werden. Diese Entwicklung korreliert mit der Verteilung der glyzinergen Synapsen an MSO-Neuronen. Werden erwachsene Tiere weißem Rauschen ausgesetzt, so kommt es zu einer Änderung der ITD-Empfindlichkeit, die reversibel ist, aber nicht mit der unterdrückten Entwicklung nach Hörbeginn vergleichbar ist. Diese Arbeit zeigt, dass die korrekte strukturelle Entwicklung inhibitorischer Synapsen notwendig ist um die biophysikalische Grundlage für Schalllokalisationsmechanismen zu schaffen. Diese Entwicklung ist abhängig von der Erfahrung räumlicher akustischer Signale. Somit ist sie ein Beispiel für ein System, das sich direkt durch die Information die es später verarbeitet, selbst abstimmt und optimiert.